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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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VII. Mittelclassen -- lange, lange Pappeln.
davon wären jedoch noch Eigenschaften nöthig, welche die
Wenigsten besitzen, um den rechten Nutzen aus solchen Beob-
achtungen zu ziehen; wir sind darauf beschränkt, Mienen,
Geberden und aufgefangene Worte zu errathen, Aufmerksam-
keit und Fleiß ermüden, und schließlich sagen wir uns, daß
unsre Localstudien auf ebener Erde kaum mehr gefruchtet
haben, als Lord B.'s von oben herab, im Grunde weniger,
denn die Augen seiner Herrlichkeit haben in Genrebildern ge-
schmaust, unsren Augen ist hingegen der Genuß des Landes
hauptsächlich in Form von Staub zu Theil geworden. So
steigen wir denn eine Staffel höher und nehmen Platz an
einem der großen Tische, um den "Mittelclasse" sitzt, trinkt
und plaudert. Der Dialekt tritt schon so weit zurück, daß wir
der Unterhaltung folgen können, wahrscheinlich wird sie in-
deß der Art sein, daß nichts daraus zu schöpfen ist. Einzelne
der Theilnehmer würden vielleicht im Zwiegespräch, oder
wenn einige Fremde unter die Gesellschaft gemischt und nicht
lauter Ortsgenossen zusammen wären, ergiebiger sein, so aber
trottelt die Conversation die breite, von langen, langen
Pappeln eingefaßte Heerstraße einher: Personalien und
Localien gleichgiltigster Art werden abgehandelt.

Einem andern gedruckten Rathe folgend, machen wir dem
Gesandten des Heimatlandes die Aufwartung. Seine
Excellenz empfängt den Ankömmling, wenn er von Rang,
oder sehr reich, oder berühmter Dichter, Gelehrter, Künstler
ist, demgemäß, lädt ihn zum Diner, zum Ball, zu einer
Spazierfahrt ein und bedauert, durch überhäufte Amts-
geschäfte abgehalten zu sein, sich ihm mehr zu widmen. Beim
Consul spielt dasselbe Stück eine Terz tiefer, es sei denn, daß
die Erscheinung und Unterhaltung des Fremden, notabene ohne
Befürchtungen eines Anleiheversuchs aufkommen zu lassen, den
Mann bezauberten. In dem Falle würden möglicherweise
an ihm oder durch ihn gesellige Anknüpfungen förderlicher
Art gewonnen. Nach dieser Seite hin dürfen wir aber immer-
hin keine großen Erwartungen hegen, so wichtig auch die

VII. Mittelclaſſen — lange, lange Pappeln.
davon wären jedoch noch Eigenſchaften nöthig, welche die
Wenigſten beſitzen, um den rechten Nutzen aus ſolchen Beob-
achtungen zu ziehen; wir ſind darauf beſchränkt, Mienen,
Geberden und aufgefangene Worte zu errathen, Aufmerkſam-
keit und Fleiß ermüden, und ſchließlich ſagen wir uns, daß
unſre Localſtudien auf ebener Erde kaum mehr gefruchtet
haben, als Lord B.’s von oben herab, im Grunde weniger,
denn die Augen ſeiner Herrlichkeit haben in Genrebildern ge-
ſchmaust, unſren Augen iſt hingegen der Genuß des Landes
hauptſächlich in Form von Staub zu Theil geworden. So
ſteigen wir denn eine Staffel höher und nehmen Platz an
einem der großen Tiſche, um den „Mittelclaſſe“ ſitzt, trinkt
und plaudert. Der Dialekt tritt ſchon ſo weit zurück, daß wir
der Unterhaltung folgen können, wahrſcheinlich wird ſie in-
deß der Art ſein, daß nichts daraus zu ſchöpfen iſt. Einzelne
der Theilnehmer würden vielleicht im Zwiegeſpräch, oder
wenn einige Fremde unter die Geſellſchaft gemiſcht und nicht
lauter Ortsgenoſſen zuſammen wären, ergiebiger ſein, ſo aber
trottelt die Converſation die breite, von langen, langen
Pappeln eingefaßte Heerſtraße einher: Perſonalien und
Localien gleichgiltigſter Art werden abgehandelt.

Einem andern gedruckten Rathe folgend, machen wir dem
Geſandten des Heimatlandes die Aufwartung. Seine
Excellenz empfängt den Ankömmling, wenn er von Rang,
oder ſehr reich, oder berühmter Dichter, Gelehrter, Künſtler
iſt, demgemäß, lädt ihn zum Diner, zum Ball, zu einer
Spazierfahrt ein und bedauert, durch überhäufte Amts-
geſchäfte abgehalten zu ſein, ſich ihm mehr zu widmen. Beim
Conſul ſpielt daſſelbe Stück eine Terz tiefer, es ſei denn, daß
die Erſcheinung und Unterhaltung des Fremden, notabene ohne
Befürchtungen eines Anleiheverſuchs aufkommen zu laſſen, den
Mann bezauberten. In dem Falle würden möglicherweiſe
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[228/0242] VII. Mittelclaſſen — lange, lange Pappeln. davon wären jedoch noch Eigenſchaften nöthig, welche die Wenigſten beſitzen, um den rechten Nutzen aus ſolchen Beob- achtungen zu ziehen; wir ſind darauf beſchränkt, Mienen, Geberden und aufgefangene Worte zu errathen, Aufmerkſam- keit und Fleiß ermüden, und ſchließlich ſagen wir uns, daß unſre Localſtudien auf ebener Erde kaum mehr gefruchtet haben, als Lord B.’s von oben herab, im Grunde weniger, denn die Augen ſeiner Herrlichkeit haben in Genrebildern ge- ſchmaust, unſren Augen iſt hingegen der Genuß des Landes hauptſächlich in Form von Staub zu Theil geworden. So ſteigen wir denn eine Staffel höher und nehmen Platz an einem der großen Tiſche, um den „Mittelclaſſe“ ſitzt, trinkt und plaudert. Der Dialekt tritt ſchon ſo weit zurück, daß wir der Unterhaltung folgen können, wahrſcheinlich wird ſie in- deß der Art ſein, daß nichts daraus zu ſchöpfen iſt. Einzelne der Theilnehmer würden vielleicht im Zwiegeſpräch, oder wenn einige Fremde unter die Geſellſchaft gemiſcht und nicht lauter Ortsgenoſſen zuſammen wären, ergiebiger ſein, ſo aber trottelt die Converſation die breite, von langen, langen Pappeln eingefaßte Heerſtraße einher: Perſonalien und Localien gleichgiltigſter Art werden abgehandelt. Einem andern gedruckten Rathe folgend, machen wir dem Geſandten des Heimatlandes die Aufwartung. Seine Excellenz empfängt den Ankömmling, wenn er von Rang, oder ſehr reich, oder berühmter Dichter, Gelehrter, Künſtler iſt, demgemäß, lädt ihn zum Diner, zum Ball, zu einer Spazierfahrt ein und bedauert, durch überhäufte Amts- geſchäfte abgehalten zu ſein, ſich ihm mehr zu widmen. Beim Conſul ſpielt daſſelbe Stück eine Terz tiefer, es ſei denn, daß die Erſcheinung und Unterhaltung des Fremden, notabene ohne Befürchtungen eines Anleiheverſuchs aufkommen zu laſſen, den Mann bezauberten. In dem Falle würden möglicherweiſe an ihm oder durch ihn geſellige Anknüpfungen förderlicher Art gewonnen. Nach dieſer Seite hin dürfen wir aber immer- hin keine großen Erwartungen hegen, ſo wichtig auch die

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/242>, abgerufen am 21.11.2024.