Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.VIII. Passives Empfangen der Eindrücke -- Specialität. und laufen mehr und immer mehr, besichtigen Neues undwieder Neues, immer hastiger und flüchtiger, vermehren die Eindrücke, anstatt sie zu klären, zu befestigen, zu vertiefen und ihnen so eine Frucht abzugewinnen, die auch für den Zurück- gekehrten Werth hat. Darum ist es nothwendig, neben dem allgemeinen nach einem besondern Inhalt für sein Tagewerk zu suchen, und es hängt von Temperament, Begabung, Er- ziehung und Gewohnheiten des Einzelnen ab, welche Ziele ihm erreichbar und dienlich sind. Jede außerhalb jenes Mechanismus und außerhalb gewöhnlicher Zerstreuungen, Geplauders, Spieles liegende Bethätigung, ja schon das Suchen danach bringt Gewinn. Näher betrachtet, bildet dieser Gegenstand ein Hauptstück der Lebenskunst: -- es handelt sich um die große Frage, wie der Einzelne es an- zufangen hat, um dem Theile seines Daseins, welchen der Beruf nicht ausfüllt, einen seiner Persönlichkeit ent- sprechenden Gehalt zu geben, liegt also Allen nahe genug, deren Metier nicht etwa eine der seltenen Ausnahmen ist, welche den Mann ganz ausfüllen und die auch andererseits nicht mit einem Pflanzen- oder Thierleben sich begnügen mögen. Denn jede Lebensreise, auch wenn sie an einem und demselben Orte verläuft, sofern sie nicht vorzeitig ihren Abschluß findet, kann an einem Punkte ankommen, wo die Berufsthätigkeit aufhört, der Tag eine neue Verwendung fordert und die gewohnten "Zeitvertreibe" der Nebenstunden den Dienst versagen, theils sind auch vorher schon Zwischen- zeiten, die dasselbe Verlangen stellen. Viele mißverstehen und mißhandeln dieses Verlangen bei seinen ersten Regungen und fallen so allgemach in den Selbstbetrug, daß ihnen ihr Tagewerk schlechterdings keine Muße verstatte. Diese be- nutzen zu lernen, fehlt es ihnen an ernstem Willen, mehrfach haben sie die Erfahrung gemacht, daß in solchen Stunden das unheimliche Gefühl des leeren Raums sie beschleicht, was nicht der Fall ist, während sie ihr Geschäft treiben oder viel- mehr dieses sie treibt, und so überreden sie sich bald, daß VIII. Paſſives Empfangen der Eindrücke — Specialität. und laufen mehr und immer mehr, beſichtigen Neues undwieder Neues, immer haſtiger und flüchtiger, vermehren die Eindrücke, anſtatt ſie zu klären, zu befeſtigen, zu vertiefen und ihnen ſo eine Frucht abzugewinnen, die auch für den Zurück- gekehrten Werth hat. Darum iſt es nothwendig, neben dem allgemeinen nach einem beſondern Inhalt für ſein Tagewerk zu ſuchen, und es hängt von Temperament, Begabung, Er- ziehung und Gewohnheiten des Einzelnen ab, welche Ziele ihm erreichbar und dienlich ſind. Jede außerhalb jenes Mechanismus und außerhalb gewöhnlicher Zerſtreuungen, Geplauders, Spieles liegende Bethätigung, ja ſchon das Suchen danach bringt Gewinn. Näher betrachtet, bildet dieſer Gegenſtand ein Hauptſtück der Lebenskunſt: — es handelt ſich um die große Frage, wie der Einzelne es an- zufangen hat, um dem Theile ſeines Daſeins, welchen der Beruf nicht ausfüllt, einen ſeiner Perſönlichkeit ent- ſprechenden Gehalt zu geben, liegt alſo Allen nahe genug, deren Metier nicht etwa eine der ſeltenen Ausnahmen iſt, welche den Mann ganz ausfüllen und die auch andererſeits nicht mit einem Pflanzen- oder Thierleben ſich begnügen mögen. Denn jede Lebensreiſe, auch wenn ſie an einem und demſelben Orte verläuft, ſofern ſie nicht vorzeitig ihren Abſchluß findet, kann an einem Punkte ankommen, wo die Berufsthätigkeit aufhört, der Tag eine neue Verwendung fordert und die gewohnten „Zeitvertreibe“ der Nebenſtunden den Dienſt verſagen, theils ſind auch vorher ſchon Zwiſchen- zeiten, die daſſelbe Verlangen ſtellen. Viele mißverſtehen und mißhandeln dieſes Verlangen bei ſeinen erſten Regungen und fallen ſo allgemach in den Selbſtbetrug, daß ihnen ihr Tagewerk ſchlechterdings keine Muße verſtatte. Dieſe be- nutzen zu lernen, fehlt es ihnen an ernſtem Willen, mehrfach haben ſie die Erfahrung gemacht, daß in ſolchen Stunden das unheimliche Gefühl des leeren Raums ſie beſchleicht, was nicht der Fall iſt, während ſie ihr Geſchäft treiben oder viel- mehr dieſes ſie treibt, und ſo überreden ſie ſich bald, daß <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0265" n="251"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VIII.</hi> Paſſives Empfangen der Eindrücke — Specialität.</fw><lb/> und laufen mehr und immer mehr, beſichtigen Neues und<lb/> wieder Neues, immer haſtiger und flüchtiger, vermehren die<lb/> Eindrücke, anſtatt ſie zu klären, zu befeſtigen, zu vertiefen und<lb/> ihnen ſo eine Frucht abzugewinnen, die auch für den Zurück-<lb/> gekehrten Werth hat. 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VIII. Paſſives Empfangen der Eindrücke — Specialität.
und laufen mehr und immer mehr, beſichtigen Neues und
wieder Neues, immer haſtiger und flüchtiger, vermehren die
Eindrücke, anſtatt ſie zu klären, zu befeſtigen, zu vertiefen und
ihnen ſo eine Frucht abzugewinnen, die auch für den Zurück-
gekehrten Werth hat. Darum iſt es nothwendig, neben dem
allgemeinen nach einem beſondern Inhalt für ſein Tagewerk
zu ſuchen, und es hängt von Temperament, Begabung, Er-
ziehung und Gewohnheiten des Einzelnen ab, welche Ziele
ihm erreichbar und dienlich ſind. Jede außerhalb jenes
Mechanismus und außerhalb gewöhnlicher Zerſtreuungen,
Geplauders, Spieles liegende Bethätigung, ja ſchon das
Suchen danach bringt Gewinn. Näher betrachtet, bildet
dieſer Gegenſtand ein Hauptſtück der Lebenskunſt: — es
handelt ſich um die große Frage, wie der Einzelne es an-
zufangen hat, um dem Theile ſeines Daſeins, welchen der
Beruf nicht ausfüllt, einen ſeiner Perſönlichkeit ent-
ſprechenden Gehalt zu geben, liegt alſo Allen nahe genug,
deren Metier nicht etwa eine der ſeltenen Ausnahmen iſt,
welche den Mann ganz ausfüllen und die auch andererſeits
nicht mit einem Pflanzen- oder Thierleben ſich begnügen
mögen. Denn jede Lebensreiſe, auch wenn ſie an einem und
demſelben Orte verläuft, ſofern ſie nicht vorzeitig ihren
Abſchluß findet, kann an einem Punkte ankommen, wo die
Berufsthätigkeit aufhört, der Tag eine neue Verwendung
fordert und die gewohnten „Zeitvertreibe“ der Nebenſtunden
den Dienſt verſagen, theils ſind auch vorher ſchon Zwiſchen-
zeiten, die daſſelbe Verlangen ſtellen. Viele mißverſtehen
und mißhandeln dieſes Verlangen bei ſeinen erſten Regungen
und fallen ſo allgemach in den Selbſtbetrug, daß ihnen ihr
Tagewerk ſchlechterdings keine Muße verſtatte. Dieſe be-
nutzen zu lernen, fehlt es ihnen an ernſtem Willen, mehrfach
haben ſie die Erfahrung gemacht, daß in ſolchen Stunden
das unheimliche Gefühl des leeren Raums ſie beſchleicht, was
nicht der Fall iſt, während ſie ihr Geſchäft treiben oder viel-
mehr dieſes ſie treibt, und ſo überreden ſie ſich bald, daß
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