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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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fallen. Und der Mensch erkennts so wenig, geht
dran vorbey, als obs von ungefähr da wäre.
Wenn ich allein spatzieren gehe, dann ist mir kein
Gedanke heiliger und süsser, als die Bewunderung
und Anbetung des Gottes der Liebe. Die Gedan-
kenlosigkeit setzt den Menschen weit zurück; er könn-
te weit srüher Gott ähnlicher werden, und ihm
näher kommen. Daher hab ich immer die Dich-
ter sehr geliebt, weil sie alles Schöne so sehr em-
pfinden, und ihre Leser drauf aufmerksam machen.
Jn der Bibel ists eben so; Christus nimmt fast alle
seine Gleichnisse von den Dingen her, die auf dem
Feld um ihn herum waren. -- Hier wurden alle
Saiten der Seele Siegwarts getroffen, denn nie-
mand war auf die Natur aufmerksamer, als er.

Sie kamen nun dem Kloster nah, und der
alte Siegwart gieng auf sie zu. Sein Sohn eilte
ihm entgegen, und drückte ihm die Hand; Anton
umarmte ihn. Du hast einen lieben Sohn, Sieg-
wart!
sagte er; seine Gesellschaft hat mir diese
Zeit über viel Vergnügen gemacht. Jch seh, du
hast ihn gut erzogen; Gott vergelt es dir! Und
mit dem Kloster, denk ich, hats nun auch seine Rich-
tigkeit; Nicht wahr, Xaver?



fallen. Und der Menſch erkennts ſo wenig, geht
dran vorbey, als obs von ungefaͤhr da waͤre.
Wenn ich allein ſpatzieren gehe, dann iſt mir kein
Gedanke heiliger und ſuͤſſer, als die Bewunderung
und Anbetung des Gottes der Liebe. Die Gedan-
kenloſigkeit ſetzt den Menſchen weit zuruͤck; er koͤnn-
te weit ſruͤher Gott aͤhnlicher werden, und ihm
naͤher kommen. Daher hab ich immer die Dich-
ter ſehr geliebt, weil ſie alles Schoͤne ſo ſehr em-
pfinden, und ihre Leſer drauf aufmerkſam machen.
Jn der Bibel iſts eben ſo; Chriſtus nimmt faſt alle
ſeine Gleichniſſe von den Dingen her, die auf dem
Feld um ihn herum waren. — Hier wurden alle
Saiten der Seele Siegwarts getroffen, denn nie-
mand war auf die Natur aufmerkſamer, als er.

Sie kamen nun dem Kloſter nah, und der
alte Siegwart gieng auf ſie zu. Sein Sohn eilte
ihm entgegen, und druͤckte ihm die Hand; Anton
umarmte ihn. Du haſt einen lieben Sohn, Sieg-
wart!
ſagte er; ſeine Geſellſchaft hat mir dieſe
Zeit uͤber viel Vergnuͤgen gemacht. Jch ſeh, du
haſt ihn gut erzogen; Gott vergelt es dir! Und
mit dem Kloſter, denk ich, hats nun auch ſeine Rich-
tigkeit; Nicht wahr, Xaver?

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[106/0110] fallen. Und der Menſch erkennts ſo wenig, geht dran vorbey, als obs von ungefaͤhr da waͤre. Wenn ich allein ſpatzieren gehe, dann iſt mir kein Gedanke heiliger und ſuͤſſer, als die Bewunderung und Anbetung des Gottes der Liebe. Die Gedan- kenloſigkeit ſetzt den Menſchen weit zuruͤck; er koͤnn- te weit ſruͤher Gott aͤhnlicher werden, und ihm naͤher kommen. Daher hab ich immer die Dich- ter ſehr geliebt, weil ſie alles Schoͤne ſo ſehr em- pfinden, und ihre Leſer drauf aufmerkſam machen. Jn der Bibel iſts eben ſo; Chriſtus nimmt faſt alle ſeine Gleichniſſe von den Dingen her, die auf dem Feld um ihn herum waren. — Hier wurden alle Saiten der Seele Siegwarts getroffen, denn nie- mand war auf die Natur aufmerkſamer, als er. Sie kamen nun dem Kloſter nah, und der alte Siegwart gieng auf ſie zu. Sein Sohn eilte ihm entgegen, und druͤckte ihm die Hand; Anton umarmte ihn. Du haſt einen lieben Sohn, Sieg- wart! ſagte er; ſeine Geſellſchaft hat mir dieſe Zeit uͤber viel Vergnuͤgen gemacht. Jch ſeh, du haſt ihn gut erzogen; Gott vergelt es dir! Und mit dem Kloſter, denk ich, hats nun auch ſeine Rich- tigkeit; Nicht wahr, Xaver?

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/110>, abgerufen am 21.11.2024.