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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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werden sieht. Siegwart und Kronhelm bere-
deten sich, bey ihrem Prior anzuhalten, ob sie
nicht auf Ein Zimmer zusammen ziehen dürften?
Der Prior gab es ohne Anstand zu; und Kron-
helm
zog auf Siegwarts Zimmer, das, wegen
seiner herrlichen Aussicht, so vorzüglich war. Die
beyden Freunde fühlten so viele Uebereinstimmung
ihrer Seelen; ihre kleinsten Empfindungen schmol-
zen so ineinander, daß sie beynahe unzertrennlich
wurden; und in jedem Augenblick eine Leere fühl-
ten, den sie nicht miteinander zubringen konnten.
Kronhelm, der in den eigentlichen Wissenschaf-
ten schon weiter war, theilte unvermerkt im Um-
gang alle seine Kentnisse seinem Freunde mit,
und P. Philipp erweiterte sie durch seinen Um-
gang immer mehr. Er liebte sie, wie seine Kin-
der. Beyde malte er ab, und hieng sie über sei-
nem Schreibpult auf. Die beyden Bildnisse sahn
einander an, und lächelten sich mit dem unbe-
schreiblichsten Gefühl der Freundschaft zu. Wers
nicht wuste, sah es, daß die Beyden Freunde wa-
ren. -- Zweymal in der Woche gab der junge
Pater, der Musikdirektor war, ein Koncert, und
unsre beyden Jünglinge nahmen so sehr im Vio-
linspielen zu, daß sie Meister wurden. Sie spiel-



werden ſieht. Siegwart und Kronhelm bere-
deten ſich, bey ihrem Prior anzuhalten, ob ſie
nicht auf Ein Zimmer zuſammen ziehen duͤrften?
Der Prior gab es ohne Anſtand zu; und Kron-
helm
zog auf Siegwarts Zimmer, das, wegen
ſeiner herrlichen Ausſicht, ſo vorzuͤglich war. Die
beyden Freunde fuͤhlten ſo viele Uebereinſtimmung
ihrer Seelen; ihre kleinſten Empfindungen ſchmol-
zen ſo ineinander, daß ſie beynahe unzertrennlich
wurden; und in jedem Augenblick eine Leere fuͤhl-
ten, den ſie nicht miteinander zubringen konnten.
Kronhelm, der in den eigentlichen Wiſſenſchaf-
ten ſchon weiter war, theilte unvermerkt im Um-
gang alle ſeine Kentniſſe ſeinem Freunde mit,
und P. Philipp erweiterte ſie durch ſeinen Um-
gang immer mehr. Er liebte ſie, wie ſeine Kin-
der. Beyde malte er ab, und hieng ſie uͤber ſei-
nem Schreibpult auf. Die beyden Bildniſſe ſahn
einander an, und laͤchelten ſich mit dem unbe-
ſchreiblichſten Gefuͤhl der Freundſchaft zu. Wers
nicht wuſte, ſah es, daß die Beyden Freunde wa-
ren. — Zweymal in der Woche gab der junge
Pater, der Muſikdirektor war, ein Koncert, und
unſre beyden Juͤnglinge nahmen ſo ſehr im Vio-
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[233/0237] werden ſieht. Siegwart und Kronhelm bere- deten ſich, bey ihrem Prior anzuhalten, ob ſie nicht auf Ein Zimmer zuſammen ziehen duͤrften? Der Prior gab es ohne Anſtand zu; und Kron- helm zog auf Siegwarts Zimmer, das, wegen ſeiner herrlichen Ausſicht, ſo vorzuͤglich war. Die beyden Freunde fuͤhlten ſo viele Uebereinſtimmung ihrer Seelen; ihre kleinſten Empfindungen ſchmol- zen ſo ineinander, daß ſie beynahe unzertrennlich wurden; und in jedem Augenblick eine Leere fuͤhl- ten, den ſie nicht miteinander zubringen konnten. Kronhelm, der in den eigentlichen Wiſſenſchaf- ten ſchon weiter war, theilte unvermerkt im Um- gang alle ſeine Kentniſſe ſeinem Freunde mit, und P. Philipp erweiterte ſie durch ſeinen Um- gang immer mehr. Er liebte ſie, wie ſeine Kin- der. Beyde malte er ab, und hieng ſie uͤber ſei- nem Schreibpult auf. Die beyden Bildniſſe ſahn einander an, und laͤchelten ſich mit dem unbe- ſchreiblichſten Gefuͤhl der Freundſchaft zu. Wers nicht wuſte, ſah es, daß die Beyden Freunde wa- ren. — Zweymal in der Woche gab der junge Pater, der Muſikdirektor war, ein Koncert, und unſre beyden Juͤnglinge nahmen ſo ſehr im Vio- linſpielen zu, daß ſie Meiſter wurden. Sie ſpiel-

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/237>, abgerufen am 24.11.2024.