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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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immer so viel oder mehr ins Kloster, als die an-
dern Brüder; denn die Leute sagen, daß ich ihnen
das alles wieder tausendfältig einbringe, weil ich
sie, wie schon gesagt, Garten- und Ackerkünste lehre,
ihre Kinder unterrichte, wenns im Gespräch auf
was Geistliches kommt, und in der Kirche allemal
nach der Messe erbaulich und verständlich predige.
Da haben mich die Leute so lieb, und drücken mir
die Hand, und wünschen mir soviel Gutes, daß ich
vor Freuden schon im Himmel zu seyn glaube. --
Hier rollten dem guten Alten die Thränen in den
langen Bart, und er sprach viel lauter und geschwin-
der; auch dem alten und dem jungen Siegwart
stunden Thränen in den Augen --

Ja, lieber Siegwart, fuhr der Greis fort,
du möchtest es für Pralerey halten, wenn ich so
von mir selber spreche, aber Gott weiß, das ist es
nicht; ich freue mich nur so drüber, wenn ich et-
was Gutes thue, und da muß ich zuweilen meine
Freude ausbrechen lassen. Ach, ich habe noch
Schwachheiten genug an mir, die mir diese Freu-
de wieder ganze Wochen lang verbittern; und
es giengen lange Jahre hin, eh ichs den Bau-
ren so gut zu machen wuste.



immer ſo viel oder mehr ins Kloſter, als die an-
dern Bruͤder; denn die Leute ſagen, daß ich ihnen
das alles wieder tauſendfaͤltig einbringe, weil ich
ſie, wie ſchon geſagt, Garten- und Ackerkuͤnſte lehre,
ihre Kinder unterrichte, wenns im Geſpraͤch auf
was Geiſtliches kommt, und in der Kirche allemal
nach der Meſſe erbaulich und verſtaͤndlich predige.
Da haben mich die Leute ſo lieb, und druͤcken mir
die Hand, und wuͤnſchen mir ſoviel Gutes, daß ich
vor Freuden ſchon im Himmel zu ſeyn glaube. —
Hier rollten dem guten Alten die Thraͤnen in den
langen Bart, und er ſprach viel lauter und geſchwin-
der; auch dem alten und dem jungen Siegwart
ſtunden Thraͤnen in den Augen —

Ja, lieber Siegwart, fuhr der Greis fort,
du moͤchteſt es fuͤr Pralerey halten, wenn ich ſo
von mir ſelber ſpreche, aber Gott weiß, das iſt es
nicht; ich freue mich nur ſo druͤber, wenn ich et-
was Gutes thue, und da muß ich zuweilen meine
Freude ausbrechen laſſen. Ach, ich habe noch
Schwachheiten genug an mir, die mir dieſe Freu-
de wieder ganze Wochen lang verbittern; und
es giengen lange Jahre hin, eh ichs den Bau-
ren ſo gut zu machen wuſte.

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[22/0026] immer ſo viel oder mehr ins Kloſter, als die an- dern Bruͤder; denn die Leute ſagen, daß ich ihnen das alles wieder tauſendfaͤltig einbringe, weil ich ſie, wie ſchon geſagt, Garten- und Ackerkuͤnſte lehre, ihre Kinder unterrichte, wenns im Geſpraͤch auf was Geiſtliches kommt, und in der Kirche allemal nach der Meſſe erbaulich und verſtaͤndlich predige. Da haben mich die Leute ſo lieb, und druͤcken mir die Hand, und wuͤnſchen mir ſoviel Gutes, daß ich vor Freuden ſchon im Himmel zu ſeyn glaube. — Hier rollten dem guten Alten die Thraͤnen in den langen Bart, und er ſprach viel lauter und geſchwin- der; auch dem alten und dem jungen Siegwart ſtunden Thraͤnen in den Augen — Ja, lieber Siegwart, fuhr der Greis fort, du moͤchteſt es fuͤr Pralerey halten, wenn ich ſo von mir ſelber ſpreche, aber Gott weiß, das iſt es nicht; ich freue mich nur ſo druͤber, wenn ich et- was Gutes thue, und da muß ich zuweilen meine Freude ausbrechen laſſen. Ach, ich habe noch Schwachheiten genug an mir, die mir dieſe Freu- de wieder ganze Wochen lang verbittern; und es giengen lange Jahre hin, eh ichs den Bau- ren ſo gut zu machen wuſte.

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/26>, abgerufen am 24.11.2024.