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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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aber du, mein Sohn, du Trost von Gott, hast
mich wieder aufgerichtet und jung gemacht, wie
einen Adler. Laß dich ewig segnen, auserwählter
Sohn! Noch mein letzter Seufzer auf dem Ster-
bebette soll dich segnen! Wie wird sich einmal
dein Vater freuen, wenn ich ihm im Himmel sa-
ge, was für einen Sohn wir auf der Welt ha-
ben? Jch mag an den andern nicht denken, wenn
ich an dich denke. Du hast mir mehr geschickt,
als ich brauche, denn ich werds wohl nicht lange
mehr machen, und hast dich vom Nöthigsten und
alle dem entblößt, was dir lieb ist. O! wenn ich
daran denke, möcht ich gleich vergehen, und das
Herz im Leibe will mir brechen. Jch kann nicht
weiter schreiben, denn ich seh vor Thränen kaum
den Brief mehr. Nur noch Einmal möcht ich
dich an mein Herz drücken, unter dem du gelegen
hast, Einziger, englischgesinnter Sohn, und dann
sterben! Leb wohl, leb ewig wohl! bis ans Ende
segnet dich

Deine getreue Mutter
Concordia Dahlern.

Die ganze Tischgesellschaft weinte, als der
Brief vorgelesen war. Siegwart konnte sich kaum



aber du, mein Sohn, du Troſt von Gott, haſt
mich wieder aufgerichtet und jung gemacht, wie
einen Adler. Laß dich ewig ſegnen, auserwaͤhlter
Sohn! Noch mein letzter Seufzer auf dem Ster-
bebette ſoll dich ſegnen! Wie wird ſich einmal
dein Vater freuen, wenn ich ihm im Himmel ſa-
ge, was fuͤr einen Sohn wir auf der Welt ha-
ben? Jch mag an den andern nicht denken, wenn
ich an dich denke. Du haſt mir mehr geſchickt,
als ich brauche, denn ich werds wohl nicht lange
mehr machen, und haſt dich vom Noͤthigſten und
alle dem entbloͤßt, was dir lieb iſt. O! wenn ich
daran denke, moͤcht ich gleich vergehen, und das
Herz im Leibe will mir brechen. Jch kann nicht
weiter ſchreiben, denn ich ſeh vor Thraͤnen kaum
den Brief mehr. Nur noch Einmal moͤcht ich
dich an mein Herz druͤcken, unter dem du gelegen
haſt, Einziger, engliſchgeſinnter Sohn, und dann
ſterben! Leb wohl, leb ewig wohl! bis ans Ende
ſegnet dich

Deine getreue Mutter
Concordia Dahlern.

Die ganze Tiſchgeſellſchaft weinte, als der
Brief vorgeleſen war. Siegwart konnte ſich kaum

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[94/0098] aber du, mein Sohn, du Troſt von Gott, haſt mich wieder aufgerichtet und jung gemacht, wie einen Adler. Laß dich ewig ſegnen, auserwaͤhlter Sohn! Noch mein letzter Seufzer auf dem Ster- bebette ſoll dich ſegnen! Wie wird ſich einmal dein Vater freuen, wenn ich ihm im Himmel ſa- ge, was fuͤr einen Sohn wir auf der Welt ha- ben? Jch mag an den andern nicht denken, wenn ich an dich denke. Du haſt mir mehr geſchickt, als ich brauche, denn ich werds wohl nicht lange mehr machen, und haſt dich vom Noͤthigſten und alle dem entbloͤßt, was dir lieb iſt. O! wenn ich daran denke, moͤcht ich gleich vergehen, und das Herz im Leibe will mir brechen. Jch kann nicht weiter ſchreiben, denn ich ſeh vor Thraͤnen kaum den Brief mehr. Nur noch Einmal moͤcht ich dich an mein Herz druͤcken, unter dem du gelegen haſt, Einziger, engliſchgeſinnter Sohn, und dann ſterben! Leb wohl, leb ewig wohl! bis ans Ende ſegnet dich Deine getreue Mutter Concordia Dahlern. Die ganze Tiſchgeſellſchaft weinte, als der Brief vorgeleſen war. Siegwart konnte ſich kaum

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/98>, abgerufen am 21.11.2024.