enthalten, den Guardian zu bitten, daß er die bey- den Briefe abschreiben dürfte! Aber er war doch zu furchtsam. Der Guardian fuhr fort:
Unser seliger, theuergeliebter Bruder ließ sich nicht ein Wort verlauten, wie weh ihm der Ver- lust seiner Bücher und seiner Jnstrumente thue, und doch merkt' ich es ihm hundertmal an. Er suchte unsre ganze Bibliothek durch, vermuthlich, ob er keine mathematische Bücher finde? Aber er fand wenig, oder gar keine. Wenn er Abends mit den bloßen Augen an den gestirnten Him- mel aufsah, so entflog ihm oft ein Seufzer, daß er die himmlischen Reviere nicht mehr genauer untersuchen konnte. Ein paarmal beklagte er sich gegen mich über sein abnehmendes und schwaches Gesicht; hielt aber gleich wieder inne, um das Ge- spräch nicht auf den Verkauf seiner Jnstrumente zu bringen. Ein einzigsmal, als ich ihn deswe- gen loben wollte, sagte er halb böse: Jch that ja nur meine Schuldigkeit. -- O, es war ein trefli- cher Mann, den wir nie genug bedauren können!
Siegwart, sagte P. Anton, wird uns viel- leicht einmal seinen Verlust ersetzen, wenn er so fortfährt, wie er anfängt. -- Ja das hoffen wir, sagten alle; der bescheidne Jüngling ward im
enthalten, den Guardian zu bitten, daß er die bey- den Briefe abſchreiben duͤrfte! Aber er war doch zu furchtſam. Der Guardian fuhr fort:
Unſer ſeliger, theuergeliebter Bruder ließ ſich nicht ein Wort verlauten, wie weh ihm der Ver- luſt ſeiner Buͤcher und ſeiner Jnſtrumente thue, und doch merkt’ ich es ihm hundertmal an. Er ſuchte unſre ganze Bibliothek durch, vermuthlich, ob er keine mathematiſche Buͤcher finde? Aber er fand wenig, oder gar keine. Wenn er Abends mit den bloßen Augen an den geſtirnten Him- mel aufſah, ſo entflog ihm oft ein Seufzer, daß er die himmliſchen Reviere nicht mehr genauer unterſuchen konnte. Ein paarmal beklagte er ſich gegen mich uͤber ſein abnehmendes und ſchwaches Geſicht; hielt aber gleich wieder inne, um das Ge- ſpraͤch nicht auf den Verkauf ſeiner Jnſtrumente zu bringen. Ein einzigsmal, als ich ihn deswe- gen loben wollte, ſagte er halb boͤſe: Jch that ja nur meine Schuldigkeit. — O, es war ein trefli- cher Mann, den wir nie genug bedauren koͤnnen!
Siegwart, ſagte P. Anton, wird uns viel- leicht einmal ſeinen Verluſt erſetzen, wenn er ſo fortfaͤhrt, wie er anfaͤngt. — Ja das hoffen wir, ſagten alle; der beſcheidne Juͤngling ward im
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enthalten, den Guardian zu bitten, daß er die bey-
den Briefe abſchreiben duͤrfte! Aber er war doch
zu furchtſam. Der Guardian fuhr fort:
Unſer ſeliger, theuergeliebter Bruder ließ ſich
nicht ein Wort verlauten, wie weh ihm der Ver-
luſt ſeiner Buͤcher und ſeiner Jnſtrumente thue,
und doch merkt’ ich es ihm hundertmal an. Er
ſuchte unſre ganze Bibliothek durch, vermuthlich,
ob er keine mathematiſche Buͤcher finde? Aber er
fand wenig, oder gar keine. Wenn er Abends
mit den bloßen Augen an den geſtirnten Him-
mel aufſah, ſo entflog ihm oft ein Seufzer, daß
er die himmliſchen Reviere nicht mehr genauer
unterſuchen konnte. Ein paarmal beklagte er ſich
gegen mich uͤber ſein abnehmendes und ſchwaches
Geſicht; hielt aber gleich wieder inne, um das Ge-
ſpraͤch nicht auf den Verkauf ſeiner Jnſtrumente
zu bringen. Ein einzigsmal, als ich ihn deswe-
gen loben wollte, ſagte er halb boͤſe: Jch that ja
nur meine Schuldigkeit. — O, es war ein trefli-
cher Mann, den wir nie genug bedauren koͤnnen!
Siegwart, ſagte P. Anton, wird uns viel-
leicht einmal ſeinen Verluſt erſetzen, wenn er ſo
fortfaͤhrt, wie er anfaͤngt. — Ja das hoffen wir,
ſagten alle; der beſcheidne Juͤngling ward im
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/99>, abgerufen am 24.11.2024.
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