ist, ist es dann nicht Weisheit, der Welt so viel abzusterben, als man kann und darf? Du verstehst mich; der Eintritt ins Kloster ist ein Bild des Todes. Dürft' ich ihn doch morgen thun! etc.
Dießmal war das Konzert auf Kronhelms Zim- mer. Siegwart spielte nicht mit, sondern saß in einem Winkel, und weinte. Seine Phantasie ward durch die Musik aufs äusserste gespannt. Zuwei- len irrte er durch Nacht und Gräber; sah sei- nen Vater mit dem Tode ringen, schauerte zurück, und stand hastig auf. Dann ward er wieder in das süsse, heilige Gefühl der Liebe versenkt; sah sein andächtiges Mädchen vor dem Altar knien; sah sie wehmüthig und traurig; bildete sich ein, sie lächl' ihm zu. -- Dann schwand sie ihm wieder aus den Augen. Er sah kein Mittel, sie jemals zu sprechen. Jch werde sie nie, nie sehen! dachte er. Sie flieht mich; sie muß mich verachten; Jch bin nichts, gar nichts gegen sie! Sie ist ein En- gel, und ich bin ein Sünder, ein Verworfener! O warum hab ich sie gesehen? Warum all mei- ne Ruhe so auf Einmal verlohren?
Plötzlich ward er aufmerksam, als eine wild- schwärmerische Symphonie von Fils gespielt wurde.
iſt, iſt es dann nicht Weisheit, der Welt ſo viel abzuſterben, als man kann und darf? Du verſtehſt mich; der Eintritt ins Kloſter iſt ein Bild des Todes. Duͤrft’ ich ihn doch morgen thun! ꝛc.
Dießmal war das Konzert auf Kronhelms Zim- mer. Siegwart ſpielte nicht mit, ſondern ſaß in einem Winkel, und weinte. Seine Phantaſie ward durch die Muſik aufs aͤuſſerſte geſpannt. Zuwei- len irrte er durch Nacht und Graͤber; ſah ſei- nen Vater mit dem Tode ringen, ſchauerte zuruͤck, und ſtand haſtig auf. Dann ward er wieder in das ſuͤſſe, heilige Gefuͤhl der Liebe verſenkt; ſah ſein andaͤchtiges Maͤdchen vor dem Altar knien; ſah ſie wehmuͤthig und traurig; bildete ſich ein, ſie laͤchl’ ihm zu. — Dann ſchwand ſie ihm wieder aus den Augen. Er ſah kein Mittel, ſie jemals zu ſprechen. Jch werde ſie nie, nie ſehen! dachte er. Sie flieht mich; ſie muß mich verachten; Jch bin nichts, gar nichts gegen ſie! Sie iſt ein En- gel, und ich bin ein Suͤnder, ein Verworfener! O warum hab ich ſie geſehen? Warum all mei- ne Ruhe ſo auf Einmal verlohren?
Ploͤtzlich ward er aufmerkſam, als eine wild- ſchwaͤrmeriſche Symphonie von Fils geſpielt wurde.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0152"n="572"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
iſt, iſt es dann nicht Weisheit, der Welt ſo viel<lb/>
abzuſterben, als man kann und darf? Du verſtehſt<lb/>
mich; der Eintritt ins Kloſter iſt ein Bild des<lb/>
Todes. Duͤrft’ ich ihn doch morgen thun! ꝛc.</p><lb/><p>Dießmal war das Konzert auf Kronhelms Zim-<lb/>
mer. Siegwart ſpielte nicht mit, ſondern ſaß in<lb/>
einem Winkel, und weinte. Seine Phantaſie ward<lb/>
durch die Muſik aufs aͤuſſerſte geſpannt. Zuwei-<lb/>
len irrte er durch Nacht und Graͤber; ſah ſei-<lb/>
nen Vater mit dem Tode ringen, ſchauerte zuruͤck,<lb/>
und ſtand haſtig auf. Dann ward er wieder in<lb/>
das ſuͤſſe, heilige Gefuͤhl der Liebe verſenkt; ſah<lb/>ſein andaͤchtiges Maͤdchen vor dem Altar knien;<lb/>ſah ſie wehmuͤthig und traurig; bildete ſich ein, ſie<lb/>
laͤchl’ ihm zu. — Dann ſchwand ſie ihm wieder<lb/>
aus den Augen. Er ſah kein Mittel, ſie jemals<lb/>
zu ſprechen. Jch werde ſie nie, nie ſehen! dachte<lb/>
er. Sie flieht mich; ſie muß mich verachten; Jch<lb/>
bin nichts, gar nichts gegen ſie! Sie iſt ein En-<lb/>
gel, und ich bin ein Suͤnder, ein Verworfener!<lb/>
O warum hab ich ſie geſehen? Warum all mei-<lb/>
ne Ruhe ſo auf Einmal verlohren?</p><lb/><p>Ploͤtzlich ward er aufmerkſam, als eine wild-<lb/>ſchwaͤrmeriſche Symphonie von Fils geſpielt wurde.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[572/0152]
iſt, iſt es dann nicht Weisheit, der Welt ſo viel
abzuſterben, als man kann und darf? Du verſtehſt
mich; der Eintritt ins Kloſter iſt ein Bild des
Todes. Duͤrft’ ich ihn doch morgen thun! ꝛc.
Dießmal war das Konzert auf Kronhelms Zim-
mer. Siegwart ſpielte nicht mit, ſondern ſaß in
einem Winkel, und weinte. Seine Phantaſie ward
durch die Muſik aufs aͤuſſerſte geſpannt. Zuwei-
len irrte er durch Nacht und Graͤber; ſah ſei-
nen Vater mit dem Tode ringen, ſchauerte zuruͤck,
und ſtand haſtig auf. Dann ward er wieder in
das ſuͤſſe, heilige Gefuͤhl der Liebe verſenkt; ſah
ſein andaͤchtiges Maͤdchen vor dem Altar knien;
ſah ſie wehmuͤthig und traurig; bildete ſich ein, ſie
laͤchl’ ihm zu. — Dann ſchwand ſie ihm wieder
aus den Augen. Er ſah kein Mittel, ſie jemals
zu ſprechen. Jch werde ſie nie, nie ſehen! dachte
er. Sie flieht mich; ſie muß mich verachten; Jch
bin nichts, gar nichts gegen ſie! Sie iſt ein En-
gel, und ich bin ein Suͤnder, ein Verworfener!
O warum hab ich ſie geſehen? Warum all mei-
ne Ruhe ſo auf Einmal verlohren?
Ploͤtzlich ward er aufmerkſam, als eine wild-
ſchwaͤrmeriſche Symphonie von Fils geſpielt wurde.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 572. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/152>, abgerufen am 30.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.