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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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kniete nieder. Jm Hingehn warf sie einen Blick
auf Siegwart, der ihm durch die Seele drang.
Er sah sie langsam, und andächtig vor sich hin
gehn, und wuste nicht, ob er ihr folgen, oder
bleiben sollte? Er zitterte, daß die Kügelchen an
seinem Rosenkranze klapperten. Sie kniete schon
etliche Minuten, da schlich er sich ängstlich und
zögernd nach dem Chor. Sie kniete im vordersten
Reihen, unter denen, die das Abendmahl geniessen
wollten. Er kniete sich an der Seitenwand der Kir-
che ihr fast gegenüber nieder. Die Musik, die
in dem Augenblick gemacht wurde, war ihm sein
ganzes Leben durch die liebste, und rührte, sobald
sie angestimmt wurde, alle Saiten seines Herzens.
Der Priester, der die Hostie austheilte, gieng um-
her, und kam zu ihr. Jn dem Augenblick hätt'
er alles hingegeben, um der Priester, oder einer
von den Knaben zu seyn., die das Tuch unterhiel-
ten. So oft er nachher einen von den Knaben
sah, stellte sich ihm die ganze feyerliche Handlung
wieder lebendig dar, und seine Seele glühte. Er
liebte die Knaben, und war doch eifersüchtig auf
sie. Als ein dritter ihr den Spühlkelch reichte, da
bebte seine Seele vor Verlangen, nach ihr aus
dem Kelch zu trinken. Er beneidete das Mädchen,



kniete nieder. Jm Hingehn warf ſie einen Blick
auf Siegwart, der ihm durch die Seele drang.
Er ſah ſie langſam, und andaͤchtig vor ſich hin
gehn, und wuſte nicht, ob er ihr folgen, oder
bleiben ſollte? Er zitterte, daß die Kuͤgelchen an
ſeinem Roſenkranze klapperten. Sie kniete ſchon
etliche Minuten, da ſchlich er ſich aͤngſtlich und
zoͤgernd nach dem Chor. Sie kniete im vorderſten
Reihen, unter denen, die das Abendmahl genieſſen
wollten. Er kniete ſich an der Seitenwand der Kir-
che ihr faſt gegenuͤber nieder. Die Muſik, die
in dem Augenblick gemacht wurde, war ihm ſein
ganzes Leben durch die liebſte, und ruͤhrte, ſobald
ſie angeſtimmt wurde, alle Saiten ſeines Herzens.
Der Prieſter, der die Hoſtie austheilte, gieng um-
her, und kam zu ihr. Jn dem Augenblick haͤtt’
er alles hingegeben, um der Prieſter, oder einer
von den Knaben zu ſeyn., die das Tuch unterhiel-
ten. So oft er nachher einen von den Knaben
ſah, ſtellte ſich ihm die ganze feyerliche Handlung
wieder lebendig dar, und ſeine Seele gluͤhte. Er
liebte die Knaben, und war doch eiferſuͤchtig auf
ſie. Als ein dritter ihr den Spuͤhlkelch reichte, da
bebte ſeine Seele vor Verlangen, nach ihr aus
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[577/0157] kniete nieder. Jm Hingehn warf ſie einen Blick auf Siegwart, der ihm durch die Seele drang. Er ſah ſie langſam, und andaͤchtig vor ſich hin gehn, und wuſte nicht, ob er ihr folgen, oder bleiben ſollte? Er zitterte, daß die Kuͤgelchen an ſeinem Roſenkranze klapperten. Sie kniete ſchon etliche Minuten, da ſchlich er ſich aͤngſtlich und zoͤgernd nach dem Chor. Sie kniete im vorderſten Reihen, unter denen, die das Abendmahl genieſſen wollten. Er kniete ſich an der Seitenwand der Kir- che ihr faſt gegenuͤber nieder. Die Muſik, die in dem Augenblick gemacht wurde, war ihm ſein ganzes Leben durch die liebſte, und ruͤhrte, ſobald ſie angeſtimmt wurde, alle Saiten ſeines Herzens. Der Prieſter, der die Hoſtie austheilte, gieng um- her, und kam zu ihr. Jn dem Augenblick haͤtt’ er alles hingegeben, um der Prieſter, oder einer von den Knaben zu ſeyn., die das Tuch unterhiel- ten. So oft er nachher einen von den Knaben ſah, ſtellte ſich ihm die ganze feyerliche Handlung wieder lebendig dar, und ſeine Seele gluͤhte. Er liebte die Knaben, und war doch eiferſuͤchtig auf ſie. Als ein dritter ihr den Spuͤhlkelch reichte, da bebte ſeine Seele vor Verlangen, nach ihr aus dem Kelch zu trinken. Er beneidete das Maͤdchen,

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 577. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/157>, abgerufen am 30.11.2024.