Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite


Zween Tage darauf kamen Briefe von Theresen
und ihrem Vater. Kronhelm erbrach sie mit Zit-
tern und dem bängsten Herzklopfen. Sie schrieb
ihm folgendes:

Theurester Freund!

Jch schreib Jhnen mit dem kummervollsten Her-
zen, und mit nassen Augen den letzten Brief in
meinem Leben. Der vergangene Montag ist für
mich der traurigste und fürchterlichste Tag gewesen.
Jhr Vater, den ich noch nicht kannte, kam mit
einem Edelmann und zween Jägern in unsern Hof
angesprengt. Jch hörte ihn mit Ungestüm nach
meinem Vater fragen, und sah aus dem Fenster.
Bist du die Hur? rief er zu mir herauf. Jch
wußte nicht, was ich aus dem Mann machen soll-
te? und lief zitternd zu meinem Vater. Als wir
hinunter wollten, kam Jhr Vater uns schon auf
der Treppe mit dem Edelmann entgegen. -- Jst Er
der Amtmann Siegwart? fragte er. Ja, mein
Herr! antwortete mein Vater, was befehlen Sie?
-- Nichts befehlen! rief Jhr Vater, und kam die
Treppe vollends herauf. -- Er ist ein Schurke, daß
Ers weis! Er will meinen Sohn verführen! --
Das ist wohl das saubre Mensch da, (indem er sich



Zween Tage darauf kamen Briefe von Thereſen
und ihrem Vater. Kronhelm erbrach ſie mit Zit-
tern und dem baͤngſten Herzklopfen. Sie ſchrieb
ihm folgendes:

Theureſter Freund!

Jch ſchreib Jhnen mit dem kummervollſten Her-
zen, und mit naſſen Augen den letzten Brief in
meinem Leben. Der vergangene Montag iſt fuͤr
mich der traurigſte und fuͤrchterlichſte Tag geweſen.
Jhr Vater, den ich noch nicht kannte, kam mit
einem Edelmann und zween Jaͤgern in unſern Hof
angeſprengt. Jch hoͤrte ihn mit Ungeſtuͤm nach
meinem Vater fragen, und ſah aus dem Fenſter.
Biſt du die Hur? rief er zu mir herauf. Jch
wußte nicht, was ich aus dem Mann machen ſoll-
te? und lief zitternd zu meinem Vater. Als wir
hinunter wollten, kam Jhr Vater uns ſchon auf
der Treppe mit dem Edelmann entgegen. — Jſt Er
der Amtmann Siegwart? fragte er. Ja, mein
Herr! antwortete mein Vater, was befehlen Sie?
— Nichts befehlen! rief Jhr Vater, und kam die
Treppe vollends herauf. — Er iſt ein Schurke, daß
Ers weis! Er will meinen Sohn verfuͤhren! —
Das iſt wohl das ſaubre Menſch da, (indem er ſich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0040" n="460"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Zween Tage darauf kamen Briefe von <hi rendition="#fr">There&#x017F;en</hi><lb/>
und ihrem Vater. <hi rendition="#fr">Kronhelm</hi> erbrach &#x017F;ie mit Zit-<lb/>
tern und dem ba&#x0364;ng&#x017F;ten Herzklopfen. Sie &#x017F;chrieb<lb/>
ihm folgendes:</p><lb/>
        <floatingText>
          <body>
            <div type="letter">
              <opener>
                <salute> <hi rendition="#et">Theure&#x017F;ter Freund!</hi> </salute>
              </opener><lb/>
              <p>Jch &#x017F;chreib Jhnen mit dem kummervoll&#x017F;ten Her-<lb/>
zen, und mit na&#x017F;&#x017F;en Augen den letzten Brief in<lb/>
meinem Leben. Der vergangene Montag i&#x017F;t fu&#x0364;r<lb/>
mich der traurig&#x017F;te und fu&#x0364;rchterlich&#x017F;te Tag gewe&#x017F;en.<lb/>
Jhr Vater, den ich noch nicht kannte, kam mit<lb/>
einem Edelmann und zween Ja&#x0364;gern in un&#x017F;ern Hof<lb/>
ange&#x017F;prengt. Jch ho&#x0364;rte ihn mit Unge&#x017F;tu&#x0364;m nach<lb/>
meinem Vater fragen, und &#x017F;ah aus dem Fen&#x017F;ter.<lb/>
Bi&#x017F;t du die Hur? rief er zu mir herauf. Jch<lb/>
wußte nicht, was ich aus dem Mann machen &#x017F;oll-<lb/>
te? und lief zitternd zu meinem Vater. Als wir<lb/>
hinunter wollten, kam Jhr Vater uns &#x017F;chon auf<lb/>
der Treppe mit dem Edelmann entgegen. &#x2014; J&#x017F;t Er<lb/>
der Amtmann <hi rendition="#fr">Siegwart?</hi> fragte er. Ja, mein<lb/>
Herr! antwortete mein Vater, was befehlen Sie?<lb/>
&#x2014; Nichts befehlen! rief Jhr Vater, und kam die<lb/>
Treppe vollends herauf. &#x2014; Er i&#x017F;t ein Schurke, daß<lb/>
Ers weis! Er will meinen Sohn verfu&#x0364;hren! &#x2014;<lb/>
Das i&#x017F;t wohl das &#x017F;aubre Men&#x017F;ch da, (indem er &#x017F;ich<lb/></p>
            </div>
          </body>
        </floatingText>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[460/0040] Zween Tage darauf kamen Briefe von Thereſen und ihrem Vater. Kronhelm erbrach ſie mit Zit- tern und dem baͤngſten Herzklopfen. Sie ſchrieb ihm folgendes: Theureſter Freund! Jch ſchreib Jhnen mit dem kummervollſten Her- zen, und mit naſſen Augen den letzten Brief in meinem Leben. Der vergangene Montag iſt fuͤr mich der traurigſte und fuͤrchterlichſte Tag geweſen. Jhr Vater, den ich noch nicht kannte, kam mit einem Edelmann und zween Jaͤgern in unſern Hof angeſprengt. Jch hoͤrte ihn mit Ungeſtuͤm nach meinem Vater fragen, und ſah aus dem Fenſter. Biſt du die Hur? rief er zu mir herauf. Jch wußte nicht, was ich aus dem Mann machen ſoll- te? und lief zitternd zu meinem Vater. Als wir hinunter wollten, kam Jhr Vater uns ſchon auf der Treppe mit dem Edelmann entgegen. — Jſt Er der Amtmann Siegwart? fragte er. Ja, mein Herr! antwortete mein Vater, was befehlen Sie? — Nichts befehlen! rief Jhr Vater, und kam die Treppe vollends herauf. — Er iſt ein Schurke, daß Ers weis! Er will meinen Sohn verfuͤhren! — Das iſt wohl das ſaubre Menſch da, (indem er ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/40
Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 460. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/40>, abgerufen am 03.12.2024.