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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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wenig Gutes gehört; und nun erzählte er allerley
Verleumdungen, die man ihm von ihr beygebracht
hatte; daß sie ihrem Mann untreu gewesen, aus
Liebe alle Augenblicke närrisch geworden sey, und
dergleichen mehr. Siegwart fuhr auf, und wollte
böse werden; aber Dahlmund beruhigte ihn wie-
der durch die Versicherung, daß er diese Aussagen
selbst nicht glaube, und es sich zur Regel wolle
dienen lassen, dergleichen Geschwätze nicht mehr
anzuhören.

Den folgenden Tag hoffte Siegwart halb und
halb, von seinem Vater Antwort zu bekommen,
aber vergeblich. Das Wetter war wieder schön
geworden, und er wäre so gern zu seiner lieben
Mariane hingeeilt, aber er sah ihre Mutter weg-
fahren, und wagte sich also nicht aufs Guth hinaus.
Am dritten Tag, als sie wieder zurückkam, gieng
er noch denselben Abend hinaus, und kam erst
in der Dämmerung bey ihnen an, als Mariane
mit Karolinen eben die Levkojenstöcke begoß. Sie
ließ vor Freuden die Gießkanne fallen, als sie ih-
ren Siegwart wieder sah, und lief auf ihn zu. Er
schloß sie mit Jnbrunst in den Arm, und entschul-
digte sich, daß er letzthin nicht Wort gehalten, und
herausgekommen sey. Ach, sagte sie, ich hätte ge-



wenig Gutes gehoͤrt; und nun erzaͤhlte er allerley
Verleumdungen, die man ihm von ihr beygebracht
hatte; daß ſie ihrem Mann untreu geweſen, aus
Liebe alle Augenblicke naͤrriſch geworden ſey, und
dergleichen mehr. Siegwart fuhr auf, und wollte
boͤſe werden; aber Dahlmund beruhigte ihn wie-
der durch die Verſicherung, daß er dieſe Ausſagen
ſelbſt nicht glaube, und es ſich zur Regel wolle
dienen laſſen, dergleichen Geſchwaͤtze nicht mehr
anzuhoͤren.

Den folgenden Tag hoffte Siegwart halb und
halb, von ſeinem Vater Antwort zu bekommen,
aber vergeblich. Das Wetter war wieder ſchoͤn
geworden, und er waͤre ſo gern zu ſeiner lieben
Mariane hingeeilt, aber er ſah ihre Mutter weg-
fahren, und wagte ſich alſo nicht aufs Guth hinaus.
Am dritten Tag, als ſie wieder zuruͤckkam, gieng
er noch denſelben Abend hinaus, und kam erſt
in der Daͤmmerung bey ihnen an, als Mariane
mit Karolinen eben die Levkojenſtoͤcke begoß. Sie
ließ vor Freuden die Gießkanne fallen, als ſie ih-
ren Siegwart wieder ſah, und lief auf ihn zu. Er
ſchloß ſie mit Jnbrunſt in den Arm, und entſchul-
digte ſich, daß er letzthin nicht Wort gehalten, und
herausgekommen ſey. Ach, ſagte ſie, ich haͤtte ge-

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[855/0435] wenig Gutes gehoͤrt; und nun erzaͤhlte er allerley Verleumdungen, die man ihm von ihr beygebracht hatte; daß ſie ihrem Mann untreu geweſen, aus Liebe alle Augenblicke naͤrriſch geworden ſey, und dergleichen mehr. Siegwart fuhr auf, und wollte boͤſe werden; aber Dahlmund beruhigte ihn wie- der durch die Verſicherung, daß er dieſe Ausſagen ſelbſt nicht glaube, und es ſich zur Regel wolle dienen laſſen, dergleichen Geſchwaͤtze nicht mehr anzuhoͤren. Den folgenden Tag hoffte Siegwart halb und halb, von ſeinem Vater Antwort zu bekommen, aber vergeblich. Das Wetter war wieder ſchoͤn geworden, und er waͤre ſo gern zu ſeiner lieben Mariane hingeeilt, aber er ſah ihre Mutter weg- fahren, und wagte ſich alſo nicht aufs Guth hinaus. Am dritten Tag, als ſie wieder zuruͤckkam, gieng er noch denſelben Abend hinaus, und kam erſt in der Daͤmmerung bey ihnen an, als Mariane mit Karolinen eben die Levkojenſtoͤcke begoß. Sie ließ vor Freuden die Gießkanne fallen, als ſie ih- ren Siegwart wieder ſah, und lief auf ihn zu. Er ſchloß ſie mit Jnbrunſt in den Arm, und entſchul- digte ſich, daß er letzthin nicht Wort gehalten, und herausgekommen ſey. Ach, ſagte ſie, ich haͤtte ge-

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 855. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/435>, abgerufen am 22.11.2024.