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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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mich noch. Nun sah ich auf Einmal den Abgrund,
an dem ich herumgetaumelt hatte. Jch fühlte die
Schwere des Verbrechens, das ich noch der Last
meiner Sünden hatte beylegen wollen. Jch ver-
fiel in tiefe Schwermuth und Unthätigkeit, und
ließ mich von ihm lenken, wie er wollte. Er
überredete mich, aus dem Land zu flüchten. Jch
wollte bey den Preussen Kriegsdienste nehmen, und
machte mich mit ihm bey Nacht auf den Weg,
nachdem er mir, durch Vermittelung meines Bru-
ders, hinlänglich Geld verschafft hatte. Die zweyte
Nacht verirrten wir uns in diesem Wald, und
befanden uns am Morgen drauf hier. Diese
Dunkelheit und Stille war ganz für meinen Zu-
stand und für meinen Gram gemacht. Hier will
ich bleiben, sagt ich, stieg von meinem Pferd ab,
und steckte meinen Stock mit den Worten in die
Erde: Hier soll mein Grab seyn, und unter jenem
Baum dort meine Hütte. Mein Bedienter hielt
dieß wieder für einen Einfall, wie ich schon viel
gehabt hatte, und wovon er mich immer wieder
abzubringen wuste. Aber dießmal war sein Zure-
den vergeblich. Ein geheimer Zug hielt mich an
diesem Ort fest. Was wollen Sie denn werden?
sagte er. Nichts, antwortete ich; genug ich will



mich noch. Nun ſah ich auf Einmal den Abgrund,
an dem ich herumgetaumelt hatte. Jch fuͤhlte die
Schwere des Verbrechens, das ich noch der Laſt
meiner Suͤnden hatte beylegen wollen. Jch ver-
fiel in tiefe Schwermuth und Unthaͤtigkeit, und
ließ mich von ihm lenken, wie er wollte. Er
uͤberredete mich, aus dem Land zu fluͤchten. Jch
wollte bey den Preuſſen Kriegsdienſte nehmen, und
machte mich mit ihm bey Nacht auf den Weg,
nachdem er mir, durch Vermittelung meines Bru-
ders, hinlaͤnglich Geld verſchafft hatte. Die zweyte
Nacht verirrten wir uns in dieſem Wald, und
befanden uns am Morgen drauf hier. Dieſe
Dunkelheit und Stille war ganz fuͤr meinen Zu-
ſtand und fuͤr meinen Gram gemacht. Hier will
ich bleiben, ſagt ich, ſtieg von meinem Pferd ab,
und ſteckte meinen Stock mit den Worten in die
Erde: Hier ſoll mein Grab ſeyn, und unter jenem
Baum dort meine Huͤtte. Mein Bedienter hielt
dieß wieder fuͤr einen Einfall, wie ich ſchon viel
gehabt hatte, und wovon er mich immer wieder
abzubringen wuſte. Aber dießmal war ſein Zure-
den vergeblich. Ein geheimer Zug hielt mich an
dieſem Ort feſt. Was wollen Sie denn werden?
ſagte er. Nichts, antwortete ich; genug ich will

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[952/0532] mich noch. Nun ſah ich auf Einmal den Abgrund, an dem ich herumgetaumelt hatte. Jch fuͤhlte die Schwere des Verbrechens, das ich noch der Laſt meiner Suͤnden hatte beylegen wollen. Jch ver- fiel in tiefe Schwermuth und Unthaͤtigkeit, und ließ mich von ihm lenken, wie er wollte. Er uͤberredete mich, aus dem Land zu fluͤchten. Jch wollte bey den Preuſſen Kriegsdienſte nehmen, und machte mich mit ihm bey Nacht auf den Weg, nachdem er mir, durch Vermittelung meines Bru- ders, hinlaͤnglich Geld verſchafft hatte. Die zweyte Nacht verirrten wir uns in dieſem Wald, und befanden uns am Morgen drauf hier. Dieſe Dunkelheit und Stille war ganz fuͤr meinen Zu- ſtand und fuͤr meinen Gram gemacht. Hier will ich bleiben, ſagt ich, ſtieg von meinem Pferd ab, und ſteckte meinen Stock mit den Worten in die Erde: Hier ſoll mein Grab ſeyn, und unter jenem Baum dort meine Huͤtte. Mein Bedienter hielt dieß wieder fuͤr einen Einfall, wie ich ſchon viel gehabt hatte, und wovon er mich immer wieder abzubringen wuſte. Aber dießmal war ſein Zure- den vergeblich. Ein geheimer Zug hielt mich an dieſem Ort feſt. Was wollen Sie denn werden? ſagte er. Nichts, antwortete ich; genug ich will

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 952. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/532>, abgerufen am 27.11.2024.