Frauenzimmer und ist sehr traurig. Das weni- ge, mein Siegwart, was ich von Jhrer Ge- schichte, und von Jhrem Mädchen weiß, paßt ziemlich auf Sie. Ein Kapuziner, er heißt Bru- der Klemens, kommt zuweilen zu mir, weil er unter guten Freunden ein Gläschen Wein nicht verschmäht. Neulich, eh das starke Gewitter kam, war er bey mir, und ward durch den Rheinwein etwas munter. Jch bat ihn, die Nacht bey mir zuzubringen, weil der Regen anhielt, und der Weg sehr verdorben war. Er ließ sichs gefallen. Als der Wein ihm noch mehr zu Kopf stieg, und wir auf die Nonnen zu sprechen kamen, fieng er an: Gestern hab ich in einem gewissen Kloster eins der schönsten und unglücklichsten Frauenzim- mer gesehen; denn sie hat, so ost ich sie noch sah, immer geweint, und grämt sich gewiß bald zu Tod, und doch ists ein Mädchen, rein und unschuldig und schön, wie die Mutter Gottes. O ich möchte Blut weinen, wenn ich sie seh, oder an sie denke, denn ihr Schicksal ist sehr hart! -- Er wollte mir nichts weiter sagen. Endlich erfuhr ich doch soviel: Sie sey mit Gewalt ins Kloster gesteckt worden, oder wenigstens hab eine unglück-
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Frauenzimmer und iſt ſehr traurig. Das weni- ge, mein Siegwart, was ich von Jhrer Ge- ſchichte, und von Jhrem Maͤdchen weiß, paßt ziemlich auf Sie. Ein Kapuziner, er heißt Bru- der Klemens, kommt zuweilen zu mir, weil er unter guten Freunden ein Glaͤschen Wein nicht verſchmaͤht. Neulich, eh das ſtarke Gewitter kam, war er bey mir, und ward durch den Rheinwein etwas munter. Jch bat ihn, die Nacht bey mir zuzubringen, weil der Regen anhielt, und der Weg ſehr verdorben war. Er ließ ſichs gefallen. Als der Wein ihm noch mehr zu Kopf ſtieg, und wir auf die Nonnen zu ſprechen kamen, fieng er an: Geſtern hab ich in einem gewiſſen Kloſter eins der ſchoͤnſten und ungluͤcklichſten Frauenzim- mer geſehen; denn ſie hat, ſo oſt ich ſie noch ſah, immer geweint, und graͤmt ſich gewiß bald zu Tod, und doch iſts ein Maͤdchen, rein und unſchuldig und ſchoͤn, wie die Mutter Gottes. O ich moͤchte Blut weinen, wenn ich ſie ſeh, oder an ſie denke, denn ihr Schickſal iſt ſehr hart! — Er wollte mir nichts weiter ſagen. Endlich erfuhr ich doch ſoviel: Sie ſey mit Gewalt ins Kloſter geſteckt worden, oder wenigſtens hab eine ungluͤck-
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Frauenzimmer und iſt ſehr traurig. Das weni-
ge, mein Siegwart, was ich von Jhrer Ge-
ſchichte, und von Jhrem Maͤdchen weiß, paßt
ziemlich auf Sie. Ein Kapuziner, er heißt Bru-
der Klemens, kommt zuweilen zu mir, weil er
unter guten Freunden ein Glaͤschen Wein nicht
verſchmaͤht. Neulich, eh das ſtarke Gewitter kam,
war er bey mir, und ward durch den Rheinwein
etwas munter. Jch bat ihn, die Nacht bey mir
zuzubringen, weil der Regen anhielt, und der
Weg ſehr verdorben war. Er ließ ſichs gefallen.
Als der Wein ihm noch mehr zu Kopf ſtieg,
und wir auf die Nonnen zu ſprechen kamen, fieng
er an: Geſtern hab ich in einem gewiſſen Kloſter
eins der ſchoͤnſten und ungluͤcklichſten Frauenzim-
mer geſehen; denn ſie hat, ſo oſt ich ſie noch
ſah, immer geweint, und graͤmt ſich gewiß bald
zu Tod, und doch iſts ein Maͤdchen, rein und
unſchuldig und ſchoͤn, wie die Mutter Gottes.
O ich moͤchte Blut weinen, wenn ich ſie ſeh, oder
an ſie denke, denn ihr Schickſal iſt ſehr hart! —
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 985. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/565>, abgerufen am 22.11.2024.
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