Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.rigem Zustand errieth. Er suchte daher Xavern so viel als möglich abzuhalten, daß er nicht viel in Grünbachs Haus oder Garten gieng, weil er ver- muthete, Sophie würde mehr leiden, je öfter sie ihn sähe. Daher lud er den jungen Grünbach öf- ters zu sich, oder gieng mit den beyden Jünglingen spatzieren, und machte Anstalt, daß der junge Pa- ter oft im Kloster ein Konzert anstellte, damit sie doch die Musik forttreiben könnten. -- Um diese Zeit starb P. Johann plötzlich. Man traf ihn Mor- gens mit gefalteten Händen in seinem Bette todt an. Der gute Mann ward allgemein bedauert; am mei- sten aber von P. Philipp und von Siegwart. Bey- de giengen mit seiner Leiche auf den Kirchhof, sahn den Redlichen in die Ruhestätte legen, und segne- ten sein Andenken mit tausend Thränen. P. Hya- cinth ward nun an seine Stelle zum Lehrer der The- ologie ernannt, und nun sah Siegwart den Unter- schied erst recht zwischen einem redlichen Mann, der die Lehren der Religion aus Ueberzeugung und mit Wärme, weil er ihre Kraft selbst so oft an sich gefühlt hat, andern vorträgt; und zwischen einem Eiferer, der den Religionsunterricht als Handwerk ansieht, und sein Gedächtnis blos mit Worten oh- ne Saft und Kraft, und mit der Geschichte von rigem Zuſtand errieth. Er ſuchte daher Xavern ſo viel als moͤglich abzuhalten, daß er nicht viel in Gruͤnbachs Haus oder Garten gieng, weil er ver- muthete, Sophie wuͤrde mehr leiden, je oͤfter ſie ihn ſaͤhe. Daher lud er den jungen Gruͤnbach oͤf- ters zu ſich, oder gieng mit den beyden Juͤnglingen ſpatzieren, und machte Anſtalt, daß der junge Pa- ter oft im Kloſter ein Konzert anſtellte, damit ſie doch die Muſik forttreiben koͤnnten. — Um dieſe Zeit ſtarb P. Johann ploͤtzlich. Man traf ihn Mor- gens mit gefalteten Haͤnden in ſeinem Bette todt an. Der gute Mann ward allgemein bedauert; am mei- ſten aber von P. Philipp und von Siegwart. Bey- de giengen mit ſeiner Leiche auf den Kirchhof, ſahn den Redlichen in die Ruheſtaͤtte legen, und ſegne- ten ſein Andenken mit tauſend Thraͤnen. P. Hya- cinth ward nun an ſeine Stelle zum Lehrer der The- ologie ernannt, und nun ſah Siegwart den Unter- ſchied erſt recht zwiſchen einem redlichen Mann, der die Lehren der Religion aus Ueberzeugung und mit Waͤrme, weil er ihre Kraft ſelbſt ſo oft an ſich gefuͤhlt hat, andern vortraͤgt; und zwiſchen einem Eiferer, der den Religionsunterricht als Handwerk anſieht, und ſein Gedaͤchtnis blos mit Worten oh- ne Saft und Kraft, und mit der Geſchichte von <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0079" n="499"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> rigem Zuſtand errieth. Er ſuchte daher Xavern<lb/> ſo viel als moͤglich abzuhalten, daß er nicht viel in<lb/> Gruͤnbachs Haus oder Garten gieng, weil er ver-<lb/> muthete, Sophie wuͤrde mehr leiden, je oͤfter ſie<lb/> ihn ſaͤhe. Daher lud er den jungen Gruͤnbach oͤf-<lb/> ters zu ſich, oder gieng mit den beyden Juͤnglingen<lb/> ſpatzieren, und machte Anſtalt, daß der junge Pa-<lb/> ter oft im Kloſter ein Konzert anſtellte, damit ſie<lb/> doch die Muſik forttreiben koͤnnten. — Um dieſe<lb/> Zeit ſtarb P. Johann ploͤtzlich. Man traf ihn Mor-<lb/> gens mit gefalteten Haͤnden in ſeinem Bette todt an.<lb/> Der gute Mann ward allgemein bedauert; am mei-<lb/> ſten aber von P. Philipp und von Siegwart. Bey-<lb/> de giengen mit ſeiner Leiche auf den Kirchhof, ſahn<lb/> den Redlichen in die Ruheſtaͤtte legen, und ſegne-<lb/> ten ſein Andenken mit tauſend Thraͤnen. P. Hya-<lb/> cinth ward nun an ſeine Stelle zum Lehrer der The-<lb/> ologie ernannt, und nun ſah Siegwart den Unter-<lb/> ſchied erſt recht zwiſchen einem redlichen Mann, der<lb/> die Lehren der Religion aus Ueberzeugung und mit<lb/> Waͤrme, weil er ihre Kraft ſelbſt ſo oft an ſich<lb/> gefuͤhlt hat, andern vortraͤgt; und zwiſchen einem<lb/> Eiferer, der den Religionsunterricht als Handwerk<lb/> anſieht, und ſein Gedaͤchtnis blos mit Worten oh-<lb/> ne Saft und Kraft, und mit der Geſchichte von<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [499/0079]
rigem Zuſtand errieth. Er ſuchte daher Xavern
ſo viel als moͤglich abzuhalten, daß er nicht viel in
Gruͤnbachs Haus oder Garten gieng, weil er ver-
muthete, Sophie wuͤrde mehr leiden, je oͤfter ſie
ihn ſaͤhe. Daher lud er den jungen Gruͤnbach oͤf-
ters zu ſich, oder gieng mit den beyden Juͤnglingen
ſpatzieren, und machte Anſtalt, daß der junge Pa-
ter oft im Kloſter ein Konzert anſtellte, damit ſie
doch die Muſik forttreiben koͤnnten. — Um dieſe
Zeit ſtarb P. Johann ploͤtzlich. Man traf ihn Mor-
gens mit gefalteten Haͤnden in ſeinem Bette todt an.
Der gute Mann ward allgemein bedauert; am mei-
ſten aber von P. Philipp und von Siegwart. Bey-
de giengen mit ſeiner Leiche auf den Kirchhof, ſahn
den Redlichen in die Ruheſtaͤtte legen, und ſegne-
ten ſein Andenken mit tauſend Thraͤnen. P. Hya-
cinth ward nun an ſeine Stelle zum Lehrer der The-
ologie ernannt, und nun ſah Siegwart den Unter-
ſchied erſt recht zwiſchen einem redlichen Mann, der
die Lehren der Religion aus Ueberzeugung und mit
Waͤrme, weil er ihre Kraft ſelbſt ſo oft an ſich
gefuͤhlt hat, andern vortraͤgt; und zwiſchen einem
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anſieht, und ſein Gedaͤchtnis blos mit Worten oh-
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