Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweyter Gesang.
785Mich unaufhörlich bellend umringen, stündlich empfangen,
Stündlich gebohren, für mich zu unaussprechlichen Schmerzen.
Denn sie kehren zurück in den Leib, aus dem sie gekommen,
Wenn sie wollen, und heulen, nnd nagen mein Eingeweide
Jhre Nahrung. Denn brechen sie fort von neuem, und plagen
790Rund umher mich mit unaufhörlichen Schrecken, so daß ich
Weder Ruhe finde, noch Rast. Der grimmige Tod sitzt
Gegen mir über, mein Sohn, und mein Feind, und hetzet sie ärger
Auf mich an; und hätte schon längst mit gierigem Rachen
Seine Mutter verschlungen, aus Mangel von anderer Beute;
795Aber er weis es, sein End' ist mit dem meinen verbunden,
Und ich werde für ihn, dies weis er, ein bitterer Bissen,
Und sein Gift seyn, es sey wenn es wolle. So hat das Verhängniß
Unser Urtheil gesprochen. Dich aber warn ich, o Vater,
Scheue du seinen tödtlichen Pfeil; du hoffest vergebens
800Sicher vor Wunden zu seyn in diesen schimmernden Waffen,
Ob sie gleich himmlisch gestählt sind; der tödtlichen Spitze kann niemand
Widerstehn, als nur der, der in der Höhe regieret.

Also endigte sie: schnell merkte der listige Teufel
Seinen Vortheil, und gab itzt milder, und schmeichelnd, zur Antwort:
805Theure Tochter, indem du Vater mich nennest, und meinen
Schönen Sohn mir hier zeigst, das theure Pfand |des Vergnügens
Mit dir im Himmel; der damals so süssen Freuden, wovon itzt
Die Erinnrung so traurig, da dieser grausame Wechsel
Uns so unerwartet, so unvermuthet, betroffen;
Wisse
L 3

Zweyter Geſang.
785Mich unaufhoͤrlich bellend umringen, ſtuͤndlich empfangen,
Stuͤndlich gebohren, fuͤr mich zu unausſprechlichen Schmerzen.
Denn ſie kehren zuruͤck in den Leib, aus dem ſie gekommen,
Wenn ſie wollen, und heulen, nnd nagen mein Eingeweide
Jhre Nahrung. Denn brechen ſie fort von neuem, und plagen
790Rund umher mich mit unaufhoͤrlichen Schrecken, ſo daß ich
Weder Ruhe finde, noch Raſt. Der grimmige Tod ſitzt
Gegen mir uͤber, mein Sohn, und mein Feind, und hetzet ſie aͤrger
Auf mich an; und haͤtte ſchon laͤngſt mit gierigem Rachen
Seine Mutter verſchlungen, aus Mangel von anderer Beute;
795Aber er weis es, ſein End’ iſt mit dem meinen verbunden,
Und ich werde fuͤr ihn, dies weis er, ein bitterer Biſſen,
Und ſein Gift ſeyn, es ſey wenn es wolle. So hat das Verhaͤngniß
Unſer Urtheil geſprochen. Dich aber warn ich, o Vater,
Scheue du ſeinen toͤdtlichen Pfeil; du hoffeſt vergebens
800Sicher vor Wunden zu ſeyn in dieſen ſchimmernden Waffen,
Ob ſie gleich himmliſch geſtaͤhlt ſind; der toͤdtlichen Spitze kann niemand
Widerſtehn, als nur der, der in der Hoͤhe regieret.

Alſo endigte ſie: ſchnell merkte der liſtige Teufel
Seinen Vortheil, und gab itzt milder, und ſchmeichelnd, zur Antwort:
805Theure Tochter, indem du Vater mich nenneſt, und meinen
Schoͤnen Sohn mir hier zeigſt, das theure Pfand |des Vergnuͤgens
Mit dir im Himmel; der damals ſo ſuͤſſen Freuden, wovon itzt
Die Erinnrung ſo traurig, da dieſer grauſame Wechſel
Uns ſo unerwartet, ſo unvermuthet, betroffen;
Wiſſe
L 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="19">
            <pb facs="#f0101" n="85"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Zweyter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw><lb/>
            <l><note place="left">785</note>Mich unaufho&#x0364;rlich bellend umringen, &#x017F;tu&#x0364;ndlich empfangen,</l><lb/>
            <l>Stu&#x0364;ndlich gebohren, fu&#x0364;r mich zu unaus&#x017F;prechlichen Schmerzen.</l><lb/>
            <l>Denn &#x017F;ie kehren zuru&#x0364;ck in den Leib, aus dem &#x017F;ie gekommen,</l><lb/>
            <l>Wenn &#x017F;ie wollen, und heulen, nnd nagen mein Eingeweide</l><lb/>
            <l>Jhre Nahrung. Denn brechen &#x017F;ie fort von neuem, und plagen</l><lb/>
            <l><note place="left">790</note>Rund umher mich mit unaufho&#x0364;rlichen Schrecken, &#x017F;o daß ich</l><lb/>
            <l>Weder Ruhe finde, noch Ra&#x017F;t. Der grimmige <hi rendition="#fr">Tod</hi> &#x017F;itzt</l><lb/>
            <l>Gegen mir u&#x0364;ber, mein Sohn, und mein Feind, und hetzet &#x017F;ie a&#x0364;rger</l><lb/>
            <l>Auf mich an; und ha&#x0364;tte &#x017F;chon la&#x0364;ng&#x017F;t mit gierigem Rachen</l><lb/>
            <l>Seine Mutter ver&#x017F;chlungen, aus Mangel von anderer Beute;</l><lb/>
            <l><note place="left">795</note>Aber er weis es, &#x017F;ein End&#x2019; i&#x017F;t mit dem meinen verbunden,</l><lb/>
            <l>Und ich werde fu&#x0364;r ihn, dies weis er, ein bitterer Bi&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
            <l>Und &#x017F;ein Gift &#x017F;eyn, es &#x017F;ey wenn es wolle. So hat das Verha&#x0364;ngniß</l><lb/>
            <l>Un&#x017F;er Urtheil ge&#x017F;prochen. Dich aber warn ich, o Vater,</l><lb/>
            <l>Scheue du &#x017F;einen to&#x0364;dtlichen Pfeil; du hoffe&#x017F;t vergebens</l><lb/>
            <l><note place="left">800</note>Sicher vor Wunden zu &#x017F;eyn in die&#x017F;en &#x017F;chimmernden Waffen,</l><lb/>
            <l>Ob &#x017F;ie gleich himmli&#x017F;ch ge&#x017F;ta&#x0364;hlt &#x017F;ind; der to&#x0364;dtlichen Spitze kann niemand</l><lb/>
            <l>Wider&#x017F;tehn, als nur der, der in der Ho&#x0364;he regieret.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="20">
            <l>Al&#x017F;o endigte &#x017F;ie: &#x017F;chnell merkte der li&#x017F;tige Teufel</l><lb/>
            <l>Seinen Vortheil, und gab itzt milder, und &#x017F;chmeichelnd, zur Antwort:</l><lb/>
            <l><note place="left">805</note>Theure Tochter, indem du Vater mich nenne&#x017F;t, und meinen</l><lb/>
            <l>Scho&#x0364;nen Sohn mir hier zeig&#x017F;t, das theure Pfand |des Vergnu&#x0364;gens</l><lb/>
            <l>Mit dir im Himmel; der damals &#x017F;o &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;en Freuden, wovon itzt</l><lb/>
            <l>Die Erinnrung &#x017F;o traurig, da die&#x017F;er grau&#x017F;ame Wech&#x017F;el</l><lb/>
            <l>Uns &#x017F;o unerwartet, &#x017F;o unvermuthet, betroffen;</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">L 3</fw>
            <fw place="bottom" type="catch">Wi&#x017F;&#x017F;e</fw><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[85/0101] Zweyter Geſang. Mich unaufhoͤrlich bellend umringen, ſtuͤndlich empfangen, Stuͤndlich gebohren, fuͤr mich zu unausſprechlichen Schmerzen. Denn ſie kehren zuruͤck in den Leib, aus dem ſie gekommen, Wenn ſie wollen, und heulen, nnd nagen mein Eingeweide Jhre Nahrung. Denn brechen ſie fort von neuem, und plagen Rund umher mich mit unaufhoͤrlichen Schrecken, ſo daß ich Weder Ruhe finde, noch Raſt. Der grimmige Tod ſitzt Gegen mir uͤber, mein Sohn, und mein Feind, und hetzet ſie aͤrger Auf mich an; und haͤtte ſchon laͤngſt mit gierigem Rachen Seine Mutter verſchlungen, aus Mangel von anderer Beute; Aber er weis es, ſein End’ iſt mit dem meinen verbunden, Und ich werde fuͤr ihn, dies weis er, ein bitterer Biſſen, Und ſein Gift ſeyn, es ſey wenn es wolle. So hat das Verhaͤngniß Unſer Urtheil geſprochen. Dich aber warn ich, o Vater, Scheue du ſeinen toͤdtlichen Pfeil; du hoffeſt vergebens Sicher vor Wunden zu ſeyn in dieſen ſchimmernden Waffen, Ob ſie gleich himmliſch geſtaͤhlt ſind; der toͤdtlichen Spitze kann niemand Widerſtehn, als nur der, der in der Hoͤhe regieret. Alſo endigte ſie: ſchnell merkte der liſtige Teufel Seinen Vortheil, und gab itzt milder, und ſchmeichelnd, zur Antwort: Theure Tochter, indem du Vater mich nenneſt, und meinen Schoͤnen Sohn mir hier zeigſt, das theure Pfand |des Vergnuͤgens Mit dir im Himmel; der damals ſo ſuͤſſen Freuden, wovon itzt Die Erinnrung ſo traurig, da dieſer grauſame Wechſel Uns ſo unerwartet, ſo unvermuthet, betroffen; Wiſſe L 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/101
Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/101>, abgerufen am 02.05.2024.