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Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760.

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Dritter Gesang.
35An den blinden Thamyr, und blinden Möonides [Spaltenumbruch] e) denke,
(Sie, die Beyden, im Schicksal mir gleich, o möcht ich im Nachruhm
Jhnen so gleich seyn!) und jene der alten Weissager, Phineus,
Und Tiresias. Dann ernähren mich große Gedanken,
Welche von selber harmonisch fließen; dem Vogel der Nacht gleich,
40Der in dicker Finsterniß sitzt, und unter der Decke
Hoher Schatten sein nächtliches Lied ertönen läßt. Also
Kehren die Jahreszeiten zurück, doch kehret der Tag nicht
Mir zurück, noch die süße Ankunft des Abends und Morgens;
Noch der Anblick der Frühlingsblume, der Rose des Sommers,
45Oder der Heerden; und nicht des Menschen göttliches Antlitz.
Sondern statt dessen umringt mich ein immerwährendes Dunkel,
Dick als Wolken; ich bin vom holden Umgang der Menschen
Abgeschnitten; an statt des Buchs der schönen Erkänntniß,
Liegt nur ein weißes Blatt vor mir da; die herrlichen Werke
50Jn der Natur, sind für mich getilgt, und ausgelöscht worden,
Und die eine Pforte der Weisheit ist ganz mir verschlossen.
Scheine du also, himmlisches Licht, in mir desto stärker,
Und bestrale durch alle Kräfte die hellere Seele!
Pflanze du Augen allda; zerstreue die finstern Nebel,

Die
e) Mäonides ist Homer, von seinem
Vater Mäon also benamt, und ist es
kein Wunder, daß unser Dichter dem
an Nachruhm gleich zu seyn wünschte,
dessen Schriften er so fleißig gelesen,
bewundert, und nachgeahmt. Tha-
myris
ist nicht so bekannt. Homer
gedenkt seiner Jl. II. 595. und Eusta-
thius setzt ihn mit dem Orpheus und
[Spaltenumbruch] Musäus unter die berühmten Poeten
und Tonkünstler. Tiresias von The-
ben, und Phineus, König von Ar-
kadien, waren beyde blinde Dichter
und Propheten des Alterthums; dann
das Wort Prophet bedeutet oft bey-
des zugleich, wie im lateinischen Va-
tes.
N.
N 3

Dritter Geſang.
35An den blinden Thamyr, und blinden Moͤonides [Spaltenumbruch] e) denke,
(Sie, die Beyden, im Schickſal mir gleich, o moͤcht ich im Nachruhm
Jhnen ſo gleich ſeyn!) und jene der alten Weiſſager, Phineus,
Und Tireſias. Dann ernaͤhren mich große Gedanken,
Welche von ſelber harmoniſch fließen; dem Vogel der Nacht gleich,
40Der in dicker Finſterniß ſitzt, und unter der Decke
Hoher Schatten ſein naͤchtliches Lied ertoͤnen laͤßt. Alſo
Kehren die Jahreszeiten zuruͤck, doch kehret der Tag nicht
Mir zuruͤck, noch die ſuͤße Ankunft des Abends und Morgens;
Noch der Anblick der Fruͤhlingsblume, der Roſe des Sommers,
45Oder der Heerden; und nicht des Menſchen goͤttliches Antlitz.
Sondern ſtatt deſſen umringt mich ein immerwaͤhrendes Dunkel,
Dick als Wolken; ich bin vom holden Umgang der Menſchen
Abgeſchnitten; an ſtatt des Buchs der ſchoͤnen Erkaͤnntniß,
Liegt nur ein weißes Blatt vor mir da; die herrlichen Werke
50Jn der Natur, ſind fuͤr mich getilgt, und ausgeloͤſcht worden,
Und die eine Pforte der Weisheit iſt ganz mir verſchloſſen.
Scheine du alſo, himmliſches Licht, in mir deſto ſtaͤrker,
Und beſtrale durch alle Kraͤfte die hellere Seele!
Pflanze du Augen allda; zerſtreue die finſtern Nebel,

Die
e) Maͤonides iſt Homer, von ſeinem
Vater Maͤon alſo benamt, und iſt es
kein Wunder, daß unſer Dichter dem
an Nachruhm gleich zu ſeyn wuͤnſchte,
deſſen Schriften er ſo fleißig geleſen,
bewundert, und nachgeahmt. Tha-
myris
iſt nicht ſo bekannt. Homer
gedenkt ſeiner Jl. II. 595. und Euſta-
thius ſetzt ihn mit dem Orpheus und
[Spaltenumbruch] Muſaͤus unter die beruͤhmten Poeten
und Tonkuͤnſtler. Tireſias von The-
ben, und Phineus, Koͤnig von Ar-
kadien, waren beyde blinde Dichter
und Propheten des Alterthums; dann
das Wort Prophet bedeutet oft bey-
des zugleich, wie im lateiniſchen Va-
tes.
N.
N 3
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[101/0119] Dritter Geſang. An den blinden Thamyr, und blinden Moͤonides e) denke, (Sie, die Beyden, im Schickſal mir gleich, o moͤcht ich im Nachruhm Jhnen ſo gleich ſeyn!) und jene der alten Weiſſager, Phineus, Und Tireſias. Dann ernaͤhren mich große Gedanken, Welche von ſelber harmoniſch fließen; dem Vogel der Nacht gleich, Der in dicker Finſterniß ſitzt, und unter der Decke Hoher Schatten ſein naͤchtliches Lied ertoͤnen laͤßt. Alſo Kehren die Jahreszeiten zuruͤck, doch kehret der Tag nicht Mir zuruͤck, noch die ſuͤße Ankunft des Abends und Morgens; Noch der Anblick der Fruͤhlingsblume, der Roſe des Sommers, Oder der Heerden; und nicht des Menſchen goͤttliches Antlitz. Sondern ſtatt deſſen umringt mich ein immerwaͤhrendes Dunkel, Dick als Wolken; ich bin vom holden Umgang der Menſchen Abgeſchnitten; an ſtatt des Buchs der ſchoͤnen Erkaͤnntniß, Liegt nur ein weißes Blatt vor mir da; die herrlichen Werke Jn der Natur, ſind fuͤr mich getilgt, und ausgeloͤſcht worden, Und die eine Pforte der Weisheit iſt ganz mir verſchloſſen. Scheine du alſo, himmliſches Licht, in mir deſto ſtaͤrker, Und beſtrale durch alle Kraͤfte die hellere Seele! Pflanze du Augen allda; zerſtreue die finſtern Nebel, Die e) Maͤonides iſt Homer, von ſeinem Vater Maͤon alſo benamt, und iſt es kein Wunder, daß unſer Dichter dem an Nachruhm gleich zu ſeyn wuͤnſchte, deſſen Schriften er ſo fleißig geleſen, bewundert, und nachgeahmt. Tha- myris iſt nicht ſo bekannt. Homer gedenkt ſeiner Jl. II. 595. und Euſta- thius ſetzt ihn mit dem Orpheus und Muſaͤus unter die beruͤhmten Poeten und Tonkuͤnſtler. Tireſias von The- ben, und Phineus, Koͤnig von Ar- kadien, waren beyde blinde Dichter und Propheten des Alterthums; dann das Wort Prophet bedeutet oft bey- des zugleich, wie im lateiniſchen Va- tes. N. N 3

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Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/119>, abgerufen am 21.11.2024.