Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760.

Bild:
<< vorherige Seite

Das verlohrne Paradies.
Wird sein voriger Name nicht mehr gehört.) Er, der ersten
Erzengel einer, wofern nicht der Erste -- an Macht und an Vorzug
645Groß, doch wider den Sohn des Höchsten mit Neid erfüllet,
Weil ihn sein großer Vater an diesem Tage zum Erben,
Und zum gesalbten König erklärt. Er konnte vor Stolz nicht
Diesen Anblick ertragen, und glaubte, sein Glanz sey verringert.
Und so entspann sich in seinem Herzen Verachtung und Bosheit,
650Als die einsame Mitternacht itzt in der finsteren Stunde,
Günstig dem Schlaf und der Stille, heran sich genahet, beschloß er
Jn der verschwiegnen Nacht mit allen, die seinen Befehlen
Unterthan waren, von hinnen zu ziehn, und unverehret
Gottes erhabenen Thron zu verlassen. Er weckte den nächsten
655Seiner Fürsten, der bey ihm lag, auf, und sprach zu ihm also:

Schläfst du, mein theurer Gefährte? Wie kann der Schlum-
mer dein Auge
Schließen, wofern du dich noch des gestrigen Ausspruchs erinnerst.
Der nur so kürzlich erst noch des Allmächtigen Lippen entflossen.
Du warst deine Gedanken mir zu entdecken gewohnet,
660Jch die meinigen dir; wir waren nur Eine Seele
Wachend; wie kannst du denn itzt durch den Schlaf von mir abgeneigt
scheinen?
Neue Gesetze sind uns, du sichst es, auferlegt worden;
Neue Gesetze, von ihm, der herrschet; neue Gedanken,
Neue Rathschläge, müssen in uns, die dienen, entstehen
665Ueber das alles, was mißlichs daraus erfolgen kann. Aber
Weiter

Das verlohrne Paradies.
Wird ſein voriger Name nicht mehr gehoͤrt.) Er, der erſten
Erzengel einer, wofern nicht der Erſte — an Macht und an Vorzug
645Groß, doch wider den Sohn des Hoͤchſten mit Neid erfuͤllet,
Weil ihn ſein großer Vater an dieſem Tage zum Erben,
Und zum geſalbten Koͤnig erklaͤrt. Er konnte vor Stolz nicht
Dieſen Anblick ertragen, und glaubte, ſein Glanz ſey verringert.
Und ſo entſpann ſich in ſeinem Herzen Verachtung und Bosheit,
650Als die einſame Mitternacht itzt in der finſteren Stunde,
Guͤnſtig dem Schlaf und der Stille, heran ſich genahet, beſchloß er
Jn der verſchwiegnen Nacht mit allen, die ſeinen Befehlen
Unterthan waren, von hinnen zu ziehn, und unverehret
Gottes erhabenen Thron zu verlaſſen. Er weckte den naͤchſten
655Seiner Fuͤrſten, der bey ihm lag, auf, und ſprach zu ihm alſo:

Schlaͤfſt du, mein theurer Gefaͤhrte? Wie kann der Schlum-
mer dein Auge
Schließen, wofern du dich noch des geſtrigen Ausſpruchs erinnerſt.
Der nur ſo kuͤrzlich erſt noch des Allmaͤchtigen Lippen entfloſſen.
Du warſt deine Gedanken mir zu entdecken gewohnet,
660Jch die meinigen dir; wir waren nur Eine Seele
Wachend; wie kannſt du denn itzt durch den Schlaf von mir abgeneigt
ſcheinen?
Neue Geſetze ſind uns, du ſichſt es, auferlegt worden;
Neue Geſetze, von ihm, der herrſchet; neue Gedanken,
Neue Rathſchlaͤge, muͤſſen in uns, die dienen, entſtehen
665Ueber das alles, was mißlichs daraus erfolgen kann. Aber
Weiter
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="39">
            <pb facs="#f0236" n="214"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Das verlohrne Paradies.</hi> </fw><lb/>
            <l>Wird &#x017F;ein voriger Name nicht mehr geho&#x0364;rt.) Er, der er&#x017F;ten</l><lb/>
            <l>Erzengel einer, wofern nicht der Er&#x017F;te &#x2014; an Macht und an Vorzug</l><lb/>
            <l><note place="left">645</note>Groß, doch wider den Sohn des Ho&#x0364;ch&#x017F;ten mit Neid erfu&#x0364;llet,</l><lb/>
            <l>Weil ihn &#x017F;ein großer Vater an die&#x017F;em Tage zum Erben,</l><lb/>
            <l>Und zum ge&#x017F;albten Ko&#x0364;nig erkla&#x0364;rt. Er konnte vor Stolz nicht</l><lb/>
            <l>Die&#x017F;en Anblick ertragen, und glaubte, &#x017F;ein Glanz &#x017F;ey verringert.</l><lb/>
            <l>Und &#x017F;o ent&#x017F;pann &#x017F;ich in &#x017F;einem Herzen Verachtung und Bosheit,</l><lb/>
            <l><note place="left">650</note>Als die ein&#x017F;ame Mitternacht itzt in der fin&#x017F;teren Stunde,</l><lb/>
            <l>Gu&#x0364;n&#x017F;tig dem Schlaf und der Stille, heran &#x017F;ich genahet, be&#x017F;chloß er</l><lb/>
            <l>Jn der ver&#x017F;chwiegnen Nacht mit allen, die &#x017F;einen Befehlen</l><lb/>
            <l>Unterthan waren, von hinnen zu ziehn, und unverehret</l><lb/>
            <l>Gottes erhabenen Thron zu verla&#x017F;&#x017F;en. Er weckte den na&#x0364;ch&#x017F;ten</l><lb/>
            <l><note place="left">655</note>Seiner Fu&#x0364;r&#x017F;ten, der bey ihm lag, auf, und &#x017F;prach zu ihm al&#x017F;o:</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="40">
            <l>Schla&#x0364;f&#x017F;t du, mein theurer Gefa&#x0364;hrte? Wie kann der Schlum-</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">mer dein Auge</hi> </l><lb/>
            <l>Schließen, wofern du dich noch des ge&#x017F;trigen Aus&#x017F;pruchs erinner&#x017F;t.</l><lb/>
            <l>Der nur &#x017F;o ku&#x0364;rzlich er&#x017F;t noch des Allma&#x0364;chtigen Lippen entflo&#x017F;&#x017F;en.</l><lb/>
            <l>Du war&#x017F;t deine Gedanken mir zu entdecken gewohnet,</l><lb/>
            <l><note place="left">660</note>Jch die meinigen dir; wir waren nur Eine Seele</l><lb/>
            <l>Wachend; wie kann&#x017F;t du denn itzt durch den Schlaf von mir abgeneigt</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">&#x017F;cheinen?</hi> </l><lb/>
            <l>Neue Ge&#x017F;etze &#x017F;ind uns, du &#x017F;ich&#x017F;t es, auferlegt worden;</l><lb/>
            <l>Neue Ge&#x017F;etze, von ihm, der herr&#x017F;chet; neue Gedanken,</l><lb/>
            <l>Neue Rath&#x017F;chla&#x0364;ge, mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en in uns, die dienen, ent&#x017F;tehen</l><lb/>
            <l><note place="left">665</note>Ueber das alles, was mißlichs daraus erfolgen kann. Aber</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Weiter</fw><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[214/0236] Das verlohrne Paradies. Wird ſein voriger Name nicht mehr gehoͤrt.) Er, der erſten Erzengel einer, wofern nicht der Erſte — an Macht und an Vorzug Groß, doch wider den Sohn des Hoͤchſten mit Neid erfuͤllet, Weil ihn ſein großer Vater an dieſem Tage zum Erben, Und zum geſalbten Koͤnig erklaͤrt. Er konnte vor Stolz nicht Dieſen Anblick ertragen, und glaubte, ſein Glanz ſey verringert. Und ſo entſpann ſich in ſeinem Herzen Verachtung und Bosheit, Als die einſame Mitternacht itzt in der finſteren Stunde, Guͤnſtig dem Schlaf und der Stille, heran ſich genahet, beſchloß er Jn der verſchwiegnen Nacht mit allen, die ſeinen Befehlen Unterthan waren, von hinnen zu ziehn, und unverehret Gottes erhabenen Thron zu verlaſſen. Er weckte den naͤchſten Seiner Fuͤrſten, der bey ihm lag, auf, und ſprach zu ihm alſo: Schlaͤfſt du, mein theurer Gefaͤhrte? Wie kann der Schlum- mer dein Auge Schließen, wofern du dich noch des geſtrigen Ausſpruchs erinnerſt. Der nur ſo kuͤrzlich erſt noch des Allmaͤchtigen Lippen entfloſſen. Du warſt deine Gedanken mir zu entdecken gewohnet, Jch die meinigen dir; wir waren nur Eine Seele Wachend; wie kannſt du denn itzt durch den Schlaf von mir abgeneigt ſcheinen? Neue Geſetze ſind uns, du ſichſt es, auferlegt worden; Neue Geſetze, von ihm, der herrſchet; neue Gedanken, Neue Rathſchlaͤge, muͤſſen in uns, die dienen, entſtehen Ueber das alles, was mißlichs daraus erfolgen kann. Aber Weiter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/236
Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/236>, abgerufen am 29.04.2024.