Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760.Das verlohrne Paradies. Jn die Seite gefahren. Jedoch das ätherische WesenBlieb nicht lange getheilt, und schloß sich bald wieder zusammen; 320Doch entstürzte dem Schnitt ein Strom nektarischen Nasses [Spaltenumbruch] k), Blutig, (so wie die Geister des Himmels zu bluten vermögen) Und befleckt' ihm die Rüstung, die kaum noch so blendend gestralet. Plötzlich eilten von allen Seiten viel mächtiger Engel, Jhm zu helfen, herbey; Jndem sie ihn rundum beschirmen, 325Trugen auf ihren Schilden die andern ihn fort nach dem Wagen, Welcher hinter der Schlachtordnung stand, und legten daselbst ihn Nieder. Er knirschte vor Schmerz und Wuth, und Schaam, daß er also Ueberwunden sich sah, und durch den schimpflichen Umsturz Jn den stolzen Gedanken, Gott selbst an Stärke zu gleichen, 330So gedemüthigt worden. Doch heilt' er bald wieder; denn Geister, Die mit lebender Kraft durch alle Theile begabt sind, Nicht bloß wie der gebrechliche Mensch nur im Eingeweide, Oder dem Herzen, dem Haupte, den Nieren, oder der Leber, Können nicht anders sterben, als durch die Zernichtung. Es kann auch 335Eine tödtliche Wund' ihr leichtes flüßigs Gewebe Eben so wenig verletzen, als leicht hinfließende Lüfte; Denn sie leben, ganz Herz, ganz Haupt, ganz Ohr, und ganz Auge, Ganz Verstand und ganz Sinnen; sie nehmen nach ihrem Gefallen Glie- k) Dies ist eine Nachahmung Ho-
mers. Homer nämlich erzehlt uns, daß, nachdem Diomedes die Götter verwundet, ein Ichor aus den Wun- den geflossen, oder eine reinere Art von Blut, welches nicht durch mensch- [Spaltenumbruch] liche Speisen erzeugt worden; und obgleich der Schmerz sehr groß gewe- sen, so sey die Wunde doch alsobald in solchen unsterblichen Wesen wieder zu- geheilet. Addison. Das verlohrne Paradies. Jn die Seite gefahren. Jedoch das aͤtheriſche WeſenBlieb nicht lange getheilt, und ſchloß ſich bald wieder zuſammen; 320Doch entſtuͤrzte dem Schnitt ein Strom nektariſchen Naſſes [Spaltenumbruch] k), Blutig, (ſo wie die Geiſter des Himmels zu bluten vermoͤgen) Und befleckt’ ihm die Ruͤſtung, die kaum noch ſo blendend geſtralet. Ploͤtzlich eilten von allen Seiten viel maͤchtiger Engel, Jhm zu helfen, herbey; Jndem ſie ihn rundum beſchirmen, 325Trugen auf ihren Schilden die andern ihn fort nach dem Wagen, Welcher hinter der Schlachtordnung ſtand, und legten daſelbſt ihn Nieder. Er knirſchte vor Schmerz und Wuth, und Schaam, daß er alſo Ueberwunden ſich ſah, und durch den ſchimpflichen Umſturz Jn den ſtolzen Gedanken, Gott ſelbſt an Staͤrke zu gleichen, 330So gedemuͤthigt worden. Doch heilt’ er bald wieder; denn Geiſter, Die mit lebender Kraft durch alle Theile begabt ſind, Nicht bloß wie der gebrechliche Menſch nur im Eingeweide, Oder dem Herzen, dem Haupte, den Nieren, oder der Leber, Koͤnnen nicht anders ſterben, als durch die Zernichtung. Es kann auch 335Eine toͤdtliche Wund’ ihr leichtes fluͤßigs Gewebe Eben ſo wenig verletzen, als leicht hinfließende Luͤfte; Denn ſie leben, ganz Herz, ganz Haupt, ganz Ohr, und ganz Auge, Ganz Verſtand und ganz Sinnen; ſie nehmen nach ihrem Gefallen Glie- k) Dies iſt eine Nachahmung Ho-
mers. Homer naͤmlich erzehlt uns, daß, nachdem Diomedes die Goͤtter verwundet, ein Ichor aus den Wun- den gefloſſen, oder eine reinere Art von Blut, welches nicht durch menſch- [Spaltenumbruch] liche Speiſen erzeugt worden; und obgleich der Schmerz ſehr groß gewe- ſen, ſo ſey die Wunde doch alſobald in ſolchen unſterblichen Weſen wieder zu- geheilet. Addiſon. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <lg n="12"> <pb facs="#f0266" n="242"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Das verlohrne Paradies.</hi> </fw><lb/> <l>Jn die Seite gefahren. Jedoch das aͤtheriſche Weſen</l><lb/> <l>Blieb nicht lange getheilt, und ſchloß ſich bald wieder zuſammen;</l><lb/> <l><note place="left">320</note>Doch entſtuͤrzte dem Schnitt ein Strom nektariſchen Naſſes <cb/> <note place="foot" n="k)">Dies iſt eine Nachahmung Ho-<lb/> mers. Homer naͤmlich erzehlt uns,<lb/> daß, nachdem Diomedes die Goͤtter<lb/> verwundet, ein <hi rendition="#aq">Ichor</hi> aus den Wun-<lb/> den gefloſſen, oder eine reinere Art<lb/> von Blut, welches nicht durch menſch-<lb/><cb/> liche Speiſen erzeugt worden; und<lb/> obgleich der Schmerz ſehr groß gewe-<lb/> ſen, ſo ſey die Wunde doch alſobald in<lb/> ſolchen unſterblichen Weſen wieder zu-<lb/> geheilet.<lb/><hi rendition="#et"><hi rendition="#fr">Addiſon.</hi></hi></note>,</l><lb/> <l>Blutig, (ſo wie die Geiſter des Himmels zu bluten vermoͤgen)</l><lb/> <l>Und befleckt’ ihm die Ruͤſtung, die kaum noch ſo blendend geſtralet.</l><lb/> <l>Ploͤtzlich eilten von allen Seiten viel maͤchtiger Engel,</l><lb/> <l>Jhm zu helfen, herbey; Jndem ſie ihn rundum beſchirmen,</l><lb/> <l><note place="left">325</note>Trugen auf ihren Schilden die andern ihn fort nach dem Wagen,</l><lb/> <l>Welcher hinter der Schlachtordnung ſtand, und legten daſelbſt ihn</l><lb/> <l>Nieder. Er knirſchte vor Schmerz und Wuth, und Schaam, daß er alſo</l><lb/> <l>Ueberwunden ſich ſah, und durch den ſchimpflichen Umſturz</l><lb/> <l>Jn den ſtolzen Gedanken, Gott ſelbſt an Staͤrke zu gleichen,</l><lb/> <l><note place="left">330</note>So gedemuͤthigt worden. Doch heilt’ er bald wieder; denn Geiſter,</l><lb/> <l>Die mit lebender Kraft durch alle Theile begabt ſind,</l><lb/> <l>Nicht bloß wie der gebrechliche Menſch nur im Eingeweide,</l><lb/> <l>Oder dem Herzen, dem Haupte, den Nieren, oder der Leber,</l><lb/> <l>Koͤnnen nicht anders ſterben, als durch die Zernichtung. Es kann auch</l><lb/> <l><note place="left">335</note>Eine toͤdtliche Wund’ ihr leichtes fluͤßigs Gewebe</l><lb/> <l>Eben ſo wenig verletzen, als leicht hinfließende Luͤfte;</l><lb/> <l>Denn ſie leben, ganz Herz, ganz Haupt, ganz Ohr, und ganz Auge,</l><lb/> <l>Ganz Verſtand und ganz Sinnen; ſie nehmen nach ihrem Gefallen</l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Glie-</fw><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [242/0266]
Das verlohrne Paradies.
Jn die Seite gefahren. Jedoch das aͤtheriſche Weſen
Blieb nicht lange getheilt, und ſchloß ſich bald wieder zuſammen;
Doch entſtuͤrzte dem Schnitt ein Strom nektariſchen Naſſes
k),
Blutig, (ſo wie die Geiſter des Himmels zu bluten vermoͤgen)
Und befleckt’ ihm die Ruͤſtung, die kaum noch ſo blendend geſtralet.
Ploͤtzlich eilten von allen Seiten viel maͤchtiger Engel,
Jhm zu helfen, herbey; Jndem ſie ihn rundum beſchirmen,
Trugen auf ihren Schilden die andern ihn fort nach dem Wagen,
Welcher hinter der Schlachtordnung ſtand, und legten daſelbſt ihn
Nieder. Er knirſchte vor Schmerz und Wuth, und Schaam, daß er alſo
Ueberwunden ſich ſah, und durch den ſchimpflichen Umſturz
Jn den ſtolzen Gedanken, Gott ſelbſt an Staͤrke zu gleichen,
So gedemuͤthigt worden. Doch heilt’ er bald wieder; denn Geiſter,
Die mit lebender Kraft durch alle Theile begabt ſind,
Nicht bloß wie der gebrechliche Menſch nur im Eingeweide,
Oder dem Herzen, dem Haupte, den Nieren, oder der Leber,
Koͤnnen nicht anders ſterben, als durch die Zernichtung. Es kann auch
Eine toͤdtliche Wund’ ihr leichtes fluͤßigs Gewebe
Eben ſo wenig verletzen, als leicht hinfließende Luͤfte;
Denn ſie leben, ganz Herz, ganz Haupt, ganz Ohr, und ganz Auge,
Ganz Verſtand und ganz Sinnen; ſie nehmen nach ihrem Gefallen
Glie-
k) Dies iſt eine Nachahmung Ho-
mers. Homer naͤmlich erzehlt uns,
daß, nachdem Diomedes die Goͤtter
verwundet, ein Ichor aus den Wun-
den gefloſſen, oder eine reinere Art
von Blut, welches nicht durch menſch-
liche Speiſen erzeugt worden; und
obgleich der Schmerz ſehr groß gewe-
ſen, ſo ſey die Wunde doch alſobald in
ſolchen unſterblichen Weſen wieder zu-
geheilet.
Addiſon.
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