895Und zu Göttern erhöhn, die von ihm essen. So hat man Schon gekostet von ihm. Die Schlange, weiser, als wir sind, Welche so sehr nicht gebunden, so sehr, wie wir nicht gehorsamt, Hat es versucht; und doch von der Frucht den Tod nicht empfunden, Wie man uns drohte; sie ward vielmehr mit menschlicher Stimme, 900Und mit Menschenverstande begabt; sie urtheilt vernünftig Bis zum Erstaunen, und hat, durch ihre beredenden Worte, Mich auch, zu kosten, bewegt. Jch habe gefunden, die Wirkung Stimmt damit überein; die Augen, die dunkel gewesen, Sind itzt heiterer, offner; die Lebensgeister erweitert; 905Und mein höheres Herz wächst schon der Gottheit entgegen. Dieses hab ich besonders um deinetwegen gesuchet, Ohne dich kann ichs verachten; das Glück ist dann mir ein Glück nur, Wenn du Antheil dran nimmst; könnt' ich mit dir es nicht theilen, O so würd' ich seiner bald satt! So koste denn du auch, 910Daß ein gleiches Glück, und gleiche genossene Freuden Uns, wie gleiche Liebe, vereine; denn wenn du nicht kostest, Möchten verschiedene Grade der Tugend uns trennen, und ich dann Dir zu Gefallen, vielleicht nur zu spät der Gottheit entsagen, Wenn das Schicksal nicht mehr mir dieses Opfer erlaubte.
915
So erzählte sie ihre Geschichte mit heitern Gebärden, Aber ein fiebrisches Roth brannt auf den glühenden Wangen. An der andern Seite stand Adam, sobald er den Fehltritt Von ihr vernommen, erstarrt, erstaunt, und erblasset; ein kalter
Tödt-
II.Theil. O
Neunter Geſang.
895Und zu Goͤttern erhoͤhn, die von ihm eſſen. So hat man Schon gekoſtet von ihm. Die Schlange, weiſer, als wir ſind, Welche ſo ſehr nicht gebunden, ſo ſehr, wie wir nicht gehorſamt, Hat es verſucht; und doch von der Frucht den Tod nicht empfunden, Wie man uns drohte; ſie ward vielmehr mit menſchlicher Stimme, 900Und mit Menſchenverſtande begabt; ſie urtheilt vernuͤnftig Bis zum Erſtaunen, und hat, durch ihre beredenden Worte, Mich auch, zu koſten, bewegt. Jch habe gefunden, die Wirkung Stimmt damit uͤberein; die Augen, die dunkel geweſen, Sind itzt heiterer, offner; die Lebensgeiſter erweitert; 905Und mein hoͤheres Herz waͤchſt ſchon der Gottheit entgegen. Dieſes hab ich beſonders um deinetwegen geſuchet, Ohne dich kann ichs verachten; das Gluͤck iſt dann mir ein Gluͤck nur, Wenn du Antheil dran nimmſt; koͤnnt’ ich mit dir es nicht theilen, O ſo wuͤrd’ ich ſeiner bald ſatt! So koſte denn du auch, 910Daß ein gleiches Gluͤck, und gleiche genoſſene Freuden Uns, wie gleiche Liebe, vereine; denn wenn du nicht koſteſt, Moͤchten verſchiedene Grade der Tugend uns trennen, und ich dann Dir zu Gefallen, vielleicht nur zu ſpaͤt der Gottheit entſagen, Wenn das Schickſal nicht mehr mir dieſes Opfer erlaubte.
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So erzaͤhlte ſie ihre Geſchichte mit heitern Gebaͤrden, Aber ein fiebriſches Roth brannt auf den gluͤhenden Wangen. An der andern Seite ſtand Adam, ſobald er den Fehltritt Von ihr vernommen, erſtarrt, erſtaunt, und erblaſſet; ein kalter
Toͤdt-
II.Theil. O
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Neunter Geſang.
Und zu Goͤttern erhoͤhn, die von ihm eſſen. So hat man
Schon gekoſtet von ihm. Die Schlange, weiſer, als wir ſind,
Welche ſo ſehr nicht gebunden, ſo ſehr, wie wir nicht gehorſamt,
Hat es verſucht; und doch von der Frucht den Tod nicht empfunden,
Wie man uns drohte; ſie ward vielmehr mit menſchlicher Stimme,
Und mit Menſchenverſtande begabt; ſie urtheilt vernuͤnftig
Bis zum Erſtaunen, und hat, durch ihre beredenden Worte,
Mich auch, zu koſten, bewegt. Jch habe gefunden, die Wirkung
Stimmt damit uͤberein; die Augen, die dunkel geweſen,
Sind itzt heiterer, offner; die Lebensgeiſter erweitert;
Und mein hoͤheres Herz waͤchſt ſchon der Gottheit entgegen.
Dieſes hab ich beſonders um deinetwegen geſuchet,
Ohne dich kann ichs verachten; das Gluͤck iſt dann mir ein Gluͤck nur,
Wenn du Antheil dran nimmſt; koͤnnt’ ich mit dir es nicht theilen,
O ſo wuͤrd’ ich ſeiner bald ſatt! So koſte denn du auch,
Daß ein gleiches Gluͤck, und gleiche genoſſene Freuden
Uns, wie gleiche Liebe, vereine; denn wenn du nicht koſteſt,
Moͤchten verſchiedene Grade der Tugend uns trennen, und ich dann
Dir zu Gefallen, vielleicht nur zu ſpaͤt der Gottheit entſagen,
Wenn das Schickſal nicht mehr mir dieſes Opfer erlaubte.
So erzaͤhlte ſie ihre Geſchichte mit heitern Gebaͤrden,
Aber ein fiebriſches Roth brannt auf den gluͤhenden Wangen.
An der andern Seite ſtand Adam, ſobald er den Fehltritt
Von ihr vernommen, erſtarrt, erſtaunt, und erblaſſet; ein kalter
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II.Theil. O
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Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/125>, abgerufen am 23.07.2024.
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