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Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763.

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Zehnter Gesang.
Dieses sprach er, und schwieg, und kehrte sich von ihr. Doch Eva
Ließ deswegen nicht ab; sie warf sich vielmehr ihm mit Thränen,
Welche sich unaufhörlich ergossen, mit fliegenden Haaren,
975Voller Demuth zu Füßen; umfaßt sie, und bath um Verzeihung,

Da sie also vor ihm in traurigen Klagen erwiedert.
Adam, verlaß mich nicht so! Jch rufe den Himmel zum Zeugen,
Wie aufrichtig mein Herz, wie sehr es voll Ehrfurcht dich liebet!
Ach! ich habe dich ja unwissend beleidigt; unglücklich
980Ward ich verführt! Jch falle dir hier mit Thränen zu Fuße,

O beraube mich doch nicht deiner gütigen Blicke,
Die mein Leben sind, deines Raths, und deiner Erbarmung,
Meines einzigen Trostes in diesem äußersten Unglück!
Bin ich verlassen von dir, wo soll ich da hingehn, wo bleiben?
985Laß doch zwischen uns beyden so lange den Frieden noch herrschen,

Als wir noch leben, vielleicht nur eine flüchtige Stunde!
Wie uns einerley Unglück vereint, so müsse die Feindschaft
Uns auch wieder jenen vereinen, den unser Urtheil
Uns mit ausdrücklichen Worten zu unserem Feinde bestimmet.
990Hasse nicht dieses Unglücks wegen mich allzuverlohrne,

Mich Elendre, wie du! Wir haben beyde gesündigt,
Du nur wider den Schöpfer allein; ich aber, ich Arme,
Wider den Schöpfer und dich! Jch will von neuem zum Orte
Des Gerichts hingehn; will da den Himmel so lange
995Mit lautrufenden Klagen bestürmen, bis alle Verdammniß,

Alle gedrohete Strafe von deinem Haupte gewandt wird,
Und
X 2
Zehnter Geſang.
Dieſes ſprach er, und ſchwieg, und kehrte ſich von ihr. Doch Eva
Ließ deswegen nicht ab; ſie warf ſich vielmehr ihm mit Thraͤnen,
Welche ſich unaufhoͤrlich ergoſſen, mit fliegenden Haaren,
975Voller Demuth zu Fuͤßen; umfaßt ſie, und bath um Verzeihung,

Da ſie alſo vor ihm in traurigen Klagen erwiedert.
Adam, verlaß mich nicht ſo! Jch rufe den Himmel zum Zeugen,
Wie aufrichtig mein Herz, wie ſehr es voll Ehrfurcht dich liebet!
Ach! ich habe dich ja unwiſſend beleidigt; ungluͤcklich
980Ward ich verfuͤhrt! Jch falle dir hier mit Thraͤnen zu Fuße,

O beraube mich doch nicht deiner guͤtigen Blicke,
Die mein Leben ſind, deines Raths, und deiner Erbarmung,
Meines einzigen Troſtes in dieſem aͤußerſten Ungluͤck!
Bin ich verlaſſen von dir, wo ſoll ich da hingehn, wo bleiben?
985Laß doch zwiſchen uns beyden ſo lange den Frieden noch herrſchen,

Als wir noch leben, vielleicht nur eine fluͤchtige Stunde!
Wie uns einerley Ungluͤck vereint, ſo muͤſſe die Feindſchaft
Uns auch wieder jenen vereinen, den unſer Urtheil
Uns mit ausdruͤcklichen Worten zu unſerem Feinde beſtimmet.
990Haſſe nicht dieſes Ungluͤcks wegen mich allzuverlohrne,

Mich Elendre, wie du! Wir haben beyde geſuͤndigt,
Du nur wider den Schoͤpfer allein; ich aber, ich Arme,
Wider den Schoͤpfer und dich! Jch will von neuem zum Orte
Des Gerichts hingehn; will da den Himmel ſo lange
995Mit lautrufenden Klagen beſtuͤrmen, bis alle Verdammniß,

Alle gedrohete Strafe von deinem Haupte gewandt wird,
Und
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[163/0185] Zehnter Geſang. Dieſes ſprach er, und ſchwieg, und kehrte ſich von ihr. Doch Eva Ließ deswegen nicht ab; ſie warf ſich vielmehr ihm mit Thraͤnen, Welche ſich unaufhoͤrlich ergoſſen, mit fliegenden Haaren, Voller Demuth zu Fuͤßen; umfaßt ſie, und bath um Verzeihung, Da ſie alſo vor ihm in traurigen Klagen erwiedert. Adam, verlaß mich nicht ſo! Jch rufe den Himmel zum Zeugen, Wie aufrichtig mein Herz, wie ſehr es voll Ehrfurcht dich liebet! Ach! ich habe dich ja unwiſſend beleidigt; ungluͤcklich Ward ich verfuͤhrt! Jch falle dir hier mit Thraͤnen zu Fuße, O beraube mich doch nicht deiner guͤtigen Blicke, Die mein Leben ſind, deines Raths, und deiner Erbarmung, Meines einzigen Troſtes in dieſem aͤußerſten Ungluͤck! Bin ich verlaſſen von dir, wo ſoll ich da hingehn, wo bleiben? Laß doch zwiſchen uns beyden ſo lange den Frieden noch herrſchen, Als wir noch leben, vielleicht nur eine fluͤchtige Stunde! Wie uns einerley Ungluͤck vereint, ſo muͤſſe die Feindſchaft Uns auch wieder jenen vereinen, den unſer Urtheil Uns mit ausdruͤcklichen Worten zu unſerem Feinde beſtimmet. Haſſe nicht dieſes Ungluͤcks wegen mich allzuverlohrne, Mich Elendre, wie du! Wir haben beyde geſuͤndigt, Du nur wider den Schoͤpfer allein; ich aber, ich Arme, Wider den Schoͤpfer und dich! Jch will von neuem zum Orte Des Gerichts hingehn; will da den Himmel ſo lange Mit lautrufenden Klagen beſtuͤrmen, bis alle Verdammniß, Alle gedrohete Strafe von deinem Haupte gewandt wird, Und X 2

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Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/185>, abgerufen am 23.11.2024.