Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763.
Adam, väterlich itzt darüber erzürnet, versetzte: 70O des abscheulichen Sohns, der über andere Menschen, Ueber seine Brüder, sich einer Herrschaft bemächtigt, Die ihm der Schöpfer nicht gab! Er gab uns allein die Regierung Ueber die Thiere, die Fische, die Vögel; wir haben, vermöge Seiner Schenkung, auf sie nur ein Recht; den Menschen hergegen 75Hat er niemals zum Herrn von andern Menschen bestimmet. Diesen erhabenen Titel hat er für sich nur behalten, Und ließ alles, was menschlich ist, frey von menschlicher Herrschaft d) . Doch der Frevler, welcher sich so vor andern erhebet, Greift in die Rechte der Menschen nicht nur; mit dem prahlenden Thurmbau 80Denkt er selbst Gott zum Streite zu fordern, und ihn zu belagern. Stolzer c) Denn Babel bedeutet nach dem Hebräischen Verwirrung. Sieh. 1 B. Mos. XI. 9. Daher heißt ihr Name Babel, daß der Herr daselbst ver- wirret hatte aller Länder Sprache, [Spaltenumbruch] und sie zerstreuet von dannen in alle Länder. d) Jedem Leser muß der Geist der Frey-
heit gefallen, der diese Rede unsers ersten Stammvaters beseelt. N.
Adam, vaͤterlich itzt daruͤber erzuͤrnet, verſetzte: 70O des abſcheulichen Sohns, der uͤber andere Menſchen, Ueber ſeine Bruͤder, ſich einer Herrſchaft bemaͤchtigt, Die ihm der Schoͤpfer nicht gab! Er gab uns allein die Regierung Ueber die Thiere, die Fiſche, die Voͤgel; wir haben, vermoͤge Seiner Schenkung, auf ſie nur ein Recht; den Menſchen hergegen 75Hat er niemals zum Herrn von andern Menſchen beſtimmet. Dieſen erhabenen Titel hat er fuͤr ſich nur behalten, Und ließ alles, was menſchlich iſt, frey von menſchlicher Herrſchaft d) . Doch der Frevler, welcher ſich ſo vor andern erhebet, Greift in die Rechte der Menſchen nicht nur; mit dem prahlenden Thurmbau 80Denkt er ſelbſt Gott zum Streite zu fordern, und ihn zu belagern. Stolzer c) Denn Babel bedeutet nach dem Hebraͤiſchen Verwirrung. Sieh. 1 B. Moſ. XI. 9. Daher heißt ihr Name Babel, daß der Herr daſelbſt ver- wirret hatte aller Länder Sprache, [Spaltenumbruch] und ſie zerſtreuet von dannen in alle Länder. d) Jedem Leſer muß der Geiſt der Frey-
heit gefallen, der dieſe Rede unſers erſten Stammvaters beſeelt. N. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <lg n="3"> <l><pb facs="#f0248" n="222"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das verlohrne Paradies.</hi></fw><lb/><note place="left">60</note>Fremder unkenntlicher Woͤrter zu pflanzen. Und ploͤtzlich entſtehet</l><lb/> <l>Unter der bauenden Schaar ein haͤßlich rauhes Geplapper;</l><lb/> <l>Ohne verſtanden zu werden ruft einer dem andern von fern zu,</l><lb/> <l>Bis die heiſere Stimme ſich ſchwaͤcht. Drauf fallen ſie wuͤthend</l><lb/> <l>Untereinander ſich an, weil jeder glaubet, man ſpotte<lb/><note place="left">65</note>Seiner Reden. Es war ein großes Gelaͤchter im Himmel;</l><lb/> <l>Alles ſchaute von oben herab, das Gewirre zu ſehen,</l><lb/> <l>Und das Geraͤuſche zu hoͤren. So ward der Bau zum Geſpoͤtte,</l><lb/> <l>Und das angefangene Werk <hi rendition="#fr">Verwirrung</hi> genennet <cb/> <note place="foot" n="c)">Denn <hi rendition="#fr">Babel</hi> bedeutet nach dem<lb/> Hebraͤiſchen Verwirrung. Sieh. 1 B.<lb/> Moſ. <hi rendition="#aq">XI.</hi> 9. <hi rendition="#fr">Daher heißt ihr Name<lb/> Babel, daß der Herr daſelbſt ver-<lb/> wirret hatte aller Länder Sprache,<lb/><cb/> und ſie zerſtreuet von dannen in alle<lb/> Länder.</hi></note> .</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l><hi rendition="#fr">Adam,</hi> vaͤterlich itzt daruͤber erzuͤrnet, verſetzte:<lb/><note place="left">70</note>O des abſcheulichen Sohns, der uͤber andere Menſchen,</l><lb/> <l>Ueber ſeine Bruͤder, ſich einer Herrſchaft bemaͤchtigt,</l><lb/> <l>Die ihm der Schoͤpfer nicht gab! Er gab uns allein die Regierung</l><lb/> <l>Ueber die Thiere, die Fiſche, die Voͤgel; wir haben, vermoͤge</l><lb/> <l>Seiner Schenkung, auf ſie nur ein Recht; den Menſchen hergegen<lb/><note place="left">75</note>Hat er niemals zum Herrn von andern Menſchen beſtimmet.</l><lb/> <l>Dieſen erhabenen Titel hat er fuͤr ſich nur behalten,</l><lb/> <l>Und ließ alles, was menſchlich iſt, frey von menſchlicher Herrſchaft <note place="foot" n="d)">Jedem Leſer muß der Geiſt der Frey-<lb/> heit gefallen, der dieſe Rede unſers erſten<lb/> Stammvaters beſeelt. <hi rendition="#fr">N.</hi></note> .</l><lb/> <l>Doch der Frevler, welcher ſich ſo vor andern erhebet,</l><lb/> <l>Greift in die Rechte der Menſchen nicht nur; mit dem prahlenden Thurmbau<lb/><note place="left">80</note>Denkt er ſelbſt Gott zum Streite zu fordern, und ihn zu belagern.<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Stolzer</fw><lb/></l> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [222/0248]
Das verlohrne Paradies.
Fremder unkenntlicher Woͤrter zu pflanzen. Und ploͤtzlich entſtehet
Unter der bauenden Schaar ein haͤßlich rauhes Geplapper;
Ohne verſtanden zu werden ruft einer dem andern von fern zu,
Bis die heiſere Stimme ſich ſchwaͤcht. Drauf fallen ſie wuͤthend
Untereinander ſich an, weil jeder glaubet, man ſpotte
Seiner Reden. Es war ein großes Gelaͤchter im Himmel;
Alles ſchaute von oben herab, das Gewirre zu ſehen,
Und das Geraͤuſche zu hoͤren. So ward der Bau zum Geſpoͤtte,
Und das angefangene Werk Verwirrung genennet
c) .
Adam, vaͤterlich itzt daruͤber erzuͤrnet, verſetzte:
O des abſcheulichen Sohns, der uͤber andere Menſchen,
Ueber ſeine Bruͤder, ſich einer Herrſchaft bemaͤchtigt,
Die ihm der Schoͤpfer nicht gab! Er gab uns allein die Regierung
Ueber die Thiere, die Fiſche, die Voͤgel; wir haben, vermoͤge
Seiner Schenkung, auf ſie nur ein Recht; den Menſchen hergegen
Hat er niemals zum Herrn von andern Menſchen beſtimmet.
Dieſen erhabenen Titel hat er fuͤr ſich nur behalten,
Und ließ alles, was menſchlich iſt, frey von menſchlicher Herrſchaft d) .
Doch der Frevler, welcher ſich ſo vor andern erhebet,
Greift in die Rechte der Menſchen nicht nur; mit dem prahlenden Thurmbau
Denkt er ſelbſt Gott zum Streite zu fordern, und ihn zu belagern.
Stolzer
c) Denn Babel bedeutet nach dem
Hebraͤiſchen Verwirrung. Sieh. 1 B.
Moſ. XI. 9. Daher heißt ihr Name
Babel, daß der Herr daſelbſt ver-
wirret hatte aller Länder Sprache,
und ſie zerſtreuet von dannen in alle
Länder.
d) Jedem Leſer muß der Geiſt der Frey-
heit gefallen, der dieſe Rede unſers erſten
Stammvaters beſeelt. N.
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Zitationshilfe: | Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/248>, abgerufen am 16.07.2024. |