Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737.

Bild:
<< vorherige Seite


eröffnen, wo dagegen etwas einzuwenden, nach un-
ser Freyheit, vorkommen solte.
Modestin. Jch setze denn zum Grunde: daß der
Mensch von Natur verdorben; mehr zum thieri-
schen sinnlichen Leben, unordentlichen gewaltsamen
Affecten, geneiget: als zum himmlischen Göttlichen
Leben und Wandel. Und deme nach, wo er nicht
neu-oder wiedergebohren wird aus Wasser und
Geist, er untüchtig zum Himmelreich seye, in das-
selbe nicht eingehen; noch das Reich GOttes im
alten Adamischen Menschen wurtzeln könne, wo
dieses nicht weichet.
Alamodan. Jch lasse dieses passiren.
Nicander. Jch aber habe dabey noch einige
Dubia. Denn aus dem Licht der Natur nicht er-
wiesen werden kan: daß der Mensch verdorben,
und mehr zum bösen als guten geneigt sey. Denn
vors erste fraget sichs: Was gut oder böse sey?
Davon haben nicht alle Menschen einerley Begriff.
Und was eine Nation, nach ihrer Landes-Art, Edu-
cation
oder Erziehung vor gut und erlaubt hält; das
achtet die andere Sünde zu seyn. So ist z. E.
der Concubinatus, Polygamia; Expositio & Ven-
ditio liberorum
bey einigen Völckern erlaubet und
Mode; welches andre als sündlich verdammen und
verwerffen. Wiewohl sich ihre äusserliche Glau-
bens-Bekänntniß, und Praxis mächtig contradici-
ren und in gar keiner harmonirenden Connexion
stehen. Jch läugne nicht: daß eine Morale und
politische Güte in dem menschlichen Thun und
Lassen seye: Diese aber dependiret mehr a legibus
Civi-
F 3


eroͤffnen, wo dagegen etwas einzuwenden, nach un-
ſer Freyheit, vorkommen ſolte.
Modeſtin. Jch ſetze denn zum Grunde: daß der
Menſch von Natur verdorben; mehr zum thieri-
ſchen ſinnlichen Leben, unordentlichen gewaltſamen
Affecten, geneiget: als zum himmliſchen Goͤttlichen
Leben und Wandel. Und deme nach, wo er nicht
neu-oder wiedergebohren wird aus Waſſer und
Geiſt, er untuͤchtig zum Himmelreich ſeye, in daſ-
ſelbe nicht eingehen; noch das Reich GOttes im
alten Adamiſchen Menſchen wurtzeln koͤnne, wo
dieſes nicht weichet.
Alamodan. Jch laſſe dieſes paſſiren.
Nicander. Jch aber habe dabey noch einige
Dubia. Denn aus dem Licht der Natur nicht er-
wieſen werden kan: daß der Menſch verdorben,
und mehr zum boͤſen als guten geneigt ſey. Denn
vors erſte fraget ſichs: Was gut oder boͤſe ſey?
Davon haben nicht alle Menſchen einerley Begriff.
Und was eine Nation, nach ihrer Landes-Art, Edu-
cation
oder Erziehung vor gut und erlaubt haͤlt; das
achtet die andere Suͤnde zu ſeyn. So iſt z. E.
der Concubinatus, Polygamia; Expoſitio & Ven-
ditio liberorum
bey einigen Voͤlckern erlaubet und
Mode; welches andre als ſuͤndlich verdammen und
verwerffen. Wiewohl ſich ihre aͤuſſerliche Glau-
bens-Bekaͤnntniß, und Praxis maͤchtig contradici-
ren und in gar keiner harmonirenden Connexion
ſtehen. Jch laͤugne nicht: daß eine Morale und
politiſche Guͤte in dem menſchlichen Thun und
Laſſen ſeye: Dieſe aber dependiret mehr a legibus
Civi-
F 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <sp>
          <p><pb facs="#f0091" n="85"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
ero&#x0364;ffnen, wo dagegen etwas einzuwenden, nach un-<lb/>
&#x017F;er Freyheit, vorkommen &#x017F;olte.</p>
        </sp><lb/>
        <sp>
          <speaker> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">Mode&#x017F;tin.</hi> </hi> </speaker>
          <p>Jch &#x017F;etze denn zum Grunde: daß der<lb/>
Men&#x017F;ch von Natur verdorben; mehr zum thieri-<lb/>
&#x017F;chen &#x017F;innlichen Leben, unordentlichen gewalt&#x017F;amen<lb/><hi rendition="#aq">Affect</hi>en, geneiget: als zum himmli&#x017F;chen Go&#x0364;ttlichen<lb/>
Leben und Wandel. Und deme nach, wo er nicht<lb/>
neu-oder wiedergebohren wird aus Wa&#x017F;&#x017F;er und<lb/>
Gei&#x017F;t, er untu&#x0364;chtig zum Himmelreich &#x017F;eye, in da&#x017F;-<lb/>
&#x017F;elbe nicht eingehen; noch das Reich GOttes im<lb/>
alten Adami&#x017F;chen Men&#x017F;chen wurtzeln ko&#x0364;nne, wo<lb/>
die&#x017F;es nicht weichet.</p>
        </sp><lb/>
        <sp>
          <speaker> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">Alamodan.</hi> </hi> </speaker>
          <p>Jch la&#x017F;&#x017F;e die&#x017F;es <hi rendition="#aq">pa&#x017F;&#x017F;i</hi>ren.</p>
        </sp><lb/>
        <sp>
          <speaker> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">Nicander.</hi> </hi> </speaker>
          <p>Jch aber habe dabey noch einige<lb/><hi rendition="#aq">Dubia.</hi> Denn aus dem Licht der Natur nicht er-<lb/>
wie&#x017F;en werden kan: daß der Men&#x017F;ch verdorben,<lb/>
und mehr zum bo&#x0364;&#x017F;en als guten geneigt &#x017F;ey. Denn<lb/>
vors er&#x017F;te fraget &#x017F;ichs: Was gut oder bo&#x0364;&#x017F;e &#x017F;ey?<lb/>
Davon haben nicht alle Men&#x017F;chen einerley Begriff.<lb/>
Und was eine <hi rendition="#aq">Nation,</hi> nach ihrer Landes-Art, <hi rendition="#aq">Edu-<lb/>
cation</hi> oder Erziehung vor gut und erlaubt ha&#x0364;lt; das<lb/>
achtet die andere Su&#x0364;nde zu &#x017F;eyn. So i&#x017F;t z. E.<lb/>
der <hi rendition="#aq">Concubinatus, Polygamia; Expo&#x017F;itio &amp; Ven-<lb/>
ditio liberorum</hi> bey einigen Vo&#x0364;lckern erlaubet und<lb/>
Mode; welches andre als &#x017F;u&#x0364;ndlich verdammen und<lb/>
verwerffen. Wiewohl &#x017F;ich ihre a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erliche Glau-<lb/>
bens-Beka&#x0364;nntniß, und <hi rendition="#aq">Praxis</hi> ma&#x0364;chtig <hi rendition="#aq">contradici-</hi><lb/>
ren und in gar keiner <hi rendition="#aq">harmoni</hi>renden <hi rendition="#aq">Connexion</hi><lb/>
&#x017F;tehen. Jch la&#x0364;ugne nicht: daß eine Morale und<lb/>
politi&#x017F;che <hi rendition="#fr">Gu&#x0364;te</hi> in dem men&#x017F;chlichen Thun und<lb/>
La&#x017F;&#x017F;en &#x017F;eye: Die&#x017F;e aber <hi rendition="#aq">dependi</hi>ret mehr <hi rendition="#aq">a legibus</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F 3</fw><fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">Civi-</hi></fw><lb/></p>
        </sp>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[85/0091] eroͤffnen, wo dagegen etwas einzuwenden, nach un- ſer Freyheit, vorkommen ſolte. Modeſtin. Jch ſetze denn zum Grunde: daß der Menſch von Natur verdorben; mehr zum thieri- ſchen ſinnlichen Leben, unordentlichen gewaltſamen Affecten, geneiget: als zum himmliſchen Goͤttlichen Leben und Wandel. Und deme nach, wo er nicht neu-oder wiedergebohren wird aus Waſſer und Geiſt, er untuͤchtig zum Himmelreich ſeye, in daſ- ſelbe nicht eingehen; noch das Reich GOttes im alten Adamiſchen Menſchen wurtzeln koͤnne, wo dieſes nicht weichet. Alamodan. Jch laſſe dieſes paſſiren. Nicander. Jch aber habe dabey noch einige Dubia. Denn aus dem Licht der Natur nicht er- wieſen werden kan: daß der Menſch verdorben, und mehr zum boͤſen als guten geneigt ſey. Denn vors erſte fraget ſichs: Was gut oder boͤſe ſey? Davon haben nicht alle Menſchen einerley Begriff. Und was eine Nation, nach ihrer Landes-Art, Edu- cation oder Erziehung vor gut und erlaubt haͤlt; das achtet die andere Suͤnde zu ſeyn. So iſt z. E. der Concubinatus, Polygamia; Expoſitio & Ven- ditio liberorum bey einigen Voͤlckern erlaubet und Mode; welches andre als ſuͤndlich verdammen und verwerffen. Wiewohl ſich ihre aͤuſſerliche Glau- bens-Bekaͤnntniß, und Praxis maͤchtig contradici- ren und in gar keiner harmonirenden Connexion ſtehen. Jch laͤugne nicht: daß eine Morale und politiſche Guͤte in dem menſchlichen Thun und Laſſen ſeye: Dieſe aber dependiret mehr a legibus Civi- F 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/modestinus_unterredungen_1737
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/modestinus_unterredungen_1737/91
Zitationshilfe: Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737. , S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/modestinus_unterredungen_1737/91>, abgerufen am 26.11.2024.