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Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.

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Alsbald werden die Straßen lebendig, es staunen die
Männer,
Stoßen Verwünschungen aus, es lamentiren die Weiber.
Jeder durchsuchet seinen Besitz und, halb nur getröstet,
Keinen größeren Schaden zu finden, fallen mit Unrecht
Etliche über den Nachtwächter her und schreien: "Du
Schlafratz!

Du keinnütziger Tropf!" und ballen die bäurischen Fäuste,
Ihn zu bläuen, und nehmen auch nur mit Mühe Ver¬
nunft an.

Endlich zerstreuen sie sich zur Ruhe; doch ordnet der
Schultheiß

Wachen an auf den Fall, daß der Unhold noch einmal
käme.

Suckelborst hatte nunmehr die Höhle wieder gewonnen,
Welche von vorne gar weit und hoch in den Felsen sich
wölbte,

Duftende Kiefern umschatteten riesenmäßig den Eingang.
Hier dann leget er nieder die ungeheueren Thore,
Und sich selber zugleich, des goldenen Schlafes genießend.
Aber sobald die Sonne nur zwischen den Bäumen
hereinschien,
Gleich an die Arbeit machet er sich, die Thore zu heften,
Saubere Stricke lagen bereit, gestohlene freilich;
Und er ordnet die Blätter mit sinnigen Blicken und füget
Vorn und hinten die schönsten zur Decke (sie waren des
Schulzen,

Künstlich über das Kreuz mit rothen Leisten beschlagen).
Alsbald werden die Straßen lebendig, es ſtaunen die
Maͤnner,
Stoßen Verwuͤnſchungen aus, es lamentiren die Weiber.
Jeder durchſuchet ſeinen Beſitz und, halb nur getroͤſtet,
Keinen groͤßeren Schaden zu finden, fallen mit Unrecht
Etliche uͤber den Nachtwaͤchter her und ſchreien: „Du
Schlafratz!

Du keinnuͤtziger Tropf!“ und ballen die baͤuriſchen Faͤuſte,
Ihn zu blaͤuen, und nehmen auch nur mit Muͤhe Ver¬
nunft an.

Endlich zerſtreuen ſie ſich zur Ruhe; doch ordnet der
Schultheiß

Wachen an auf den Fall, daß der Unhold noch einmal
kaͤme.

Suckelborſt hatte nunmehr die Hoͤhle wieder gewonnen,
Welche von vorne gar weit und hoch in den Felſen ſich
woͤlbte,

Duftende Kiefern umſchatteten rieſenmaͤßig den Eingang.
Hier dann leget er nieder die ungeheueren Thore,
Und ſich ſelber zugleich, des goldenen Schlafes genießend.
Aber ſobald die Sonne nur zwiſchen den Baͤumen
hereinſchien,
Gleich an die Arbeit machet er ſich, die Thore zu heften,
Saubere Stricke lagen bereit, geſtohlene freilich;
Und er ordnet die Blaͤtter mit ſinnigen Blicken und fuͤget
Vorn und hinten die ſchoͤnſten zur Decke (ſie waren des
Schulzen,

Kuͤnſtlich uͤber das Kreuz mit rothen Leiſten beſchlagen).
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[183/0199] Alsbald werden die Straßen lebendig, es ſtaunen die Maͤnner, Stoßen Verwuͤnſchungen aus, es lamentiren die Weiber. Jeder durchſuchet ſeinen Beſitz und, halb nur getroͤſtet, Keinen groͤßeren Schaden zu finden, fallen mit Unrecht Etliche uͤber den Nachtwaͤchter her und ſchreien: „Du Schlafratz! Du keinnuͤtziger Tropf!“ und ballen die baͤuriſchen Faͤuſte, Ihn zu blaͤuen, und nehmen auch nur mit Muͤhe Ver¬ nunft an. Endlich zerſtreuen ſie ſich zur Ruhe; doch ordnet der Schultheiß Wachen an auf den Fall, daß der Unhold noch einmal kaͤme. Suckelborſt hatte nunmehr die Hoͤhle wieder gewonnen, Welche von vorne gar weit und hoch in den Felſen ſich woͤlbte, Duftende Kiefern umſchatteten rieſenmaͤßig den Eingang. Hier dann leget er nieder die ungeheueren Thore, Und ſich ſelber zugleich, des goldenen Schlafes genießend. Aber ſobald die Sonne nur zwiſchen den Baͤumen hereinſchien, Gleich an die Arbeit machet er ſich, die Thore zu heften, Saubere Stricke lagen bereit, geſtohlene freilich; Und er ordnet die Blaͤtter mit ſinnigen Blicken und fuͤget Vorn und hinten die ſchoͤnſten zur Decke (ſie waren des Schulzen, Kuͤnſtlich uͤber das Kreuz mit rothen Leiſten beſchlagen).

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/199>, abgerufen am 21.11.2024.