Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

mit beiden Händen bedeckend, indeß ihr Liebhaber un-
ter gräßlichen Verwünschungen und im heftigsten
Schmerz ihr ein offenes Geständniß über jenen Vor-
fall auszupressen suchte. Wie er mich gewahr wurde,
sprang er gleich einem Wüthenden auf mich los, faßte
mich an der Brust und forderte von mir, was jene
ihm vorenthalte. Er zog das Messer und drohte mir
noch immer, als wir schon von fünf bis sechs Per-
sonen, die herbeieilten, umringt waren. Der Vater
entwaffnete ihn auf der Stelle. Aber erst Loskine,
welche sich jezt mit einem mir unvergeßlichen Aus-
druck von würdevoller Ruhe aufhob, machte dem Lär-
men ein Ende; sie faßte, ohne ein Wort zu sprechen,
Marwin mit einem viel sagenden Blicke bei der
Hand und er, der von der Bedeutung ihrer feierli-
chen Gebärde so mächtig ergriffen zu seyn schien, wie
ich, folgte wie ein Lamm, als sie ihn tief mit sich in
das Gebüsche führte.

Nach einer Weile kehrte sie allein zurück, ging
mit entschiedenem Schritt auf mich zu, den sie gleich-
falls aus der Mitte der Uebrigen hinweg winkte.

"Ich habe ihm versprochen," fing sie, da wir weit
genug entfernt waren und stille standen, in ernstem
Tone an, "ich hab' ihm versprochen, dir zu sagen, daß
ich dich hasse wie meinen ärgsten Feind und bis in
den Tod. Ich sage dir also dieses. Doch du weißt
es anders. Ich sage dir für mich, daß ich dich viel-
mehr liebe wie meinen liebsten Freund, und das so

mit beiden Händen bedeckend, indeß ihr Liebhaber un-
ter gräßlichen Verwünſchungen und im heftigſten
Schmerz ihr ein offenes Geſtändniß über jenen Vor-
fall auszupreſſen ſuchte. Wie er mich gewahr wurde,
ſprang er gleich einem Wüthenden auf mich los, faßte
mich an der Bruſt und forderte von mir, was jene
ihm vorenthalte. Er zog das Meſſer und drohte mir
noch immer, als wir ſchon von fünf bis ſechs Per-
ſonen, die herbeieilten, umringt waren. Der Vater
entwaffnete ihn auf der Stelle. Aber erſt Loskine,
welche ſich jezt mit einem mir unvergeßlichen Aus-
druck von würdevoller Ruhe aufhob, machte dem Lär-
men ein Ende; ſie faßte, ohne ein Wort zu ſprechen,
Marwin mit einem viel ſagenden Blicke bei der
Hand und er, der von der Bedeutung ihrer feierli-
chen Gebärde ſo mächtig ergriffen zu ſeyn ſchien, wie
ich, folgte wie ein Lamm, als ſie ihn tief mit ſich in
das Gebüſche führte.

Nach einer Weile kehrte ſie allein zurück, ging
mit entſchiedenem Schritt auf mich zu, den ſie gleich-
falls aus der Mitte der Uebrigen hinweg winkte.

„Ich habe ihm verſprochen,“ fing ſie, da wir weit
genug entfernt waren und ſtille ſtanden, in ernſtem
Tone an, „ich hab’ ihm verſprochen, dir zu ſagen, daß
ich dich haſſe wie meinen ärgſten Feind und bis in
den Tod. Ich ſage dir alſo dieſes. Doch du weißt
es anders. Ich ſage dir für mich, daß ich dich viel-
mehr liebe wie meinen liebſten Freund, und das ſo

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0319" n="311"/>
mit beiden Händen bedeckend, indeß ihr Liebhaber un-<lb/>
ter gräßlichen Verwün&#x017F;chungen und im heftig&#x017F;ten<lb/>
Schmerz ihr ein offenes Ge&#x017F;tändniß über jenen Vor-<lb/>
fall auszupre&#x017F;&#x017F;en &#x017F;uchte. Wie er mich gewahr wurde,<lb/>
&#x017F;prang er gleich einem Wüthenden auf mich los, faßte<lb/>
mich an der Bru&#x017F;t und forderte von mir, was jene<lb/>
ihm vorenthalte. Er zog das Me&#x017F;&#x017F;er und drohte mir<lb/>
noch immer, als wir &#x017F;chon von fünf bis &#x017F;echs Per-<lb/>
&#x017F;onen, die herbeieilten, umringt waren. Der Vater<lb/>
entwaffnete ihn auf der Stelle. Aber er&#x017F;t <hi rendition="#g">Loskine</hi>,<lb/>
welche &#x017F;ich jezt mit einem mir unvergeßlichen Aus-<lb/>
druck von würdevoller Ruhe aufhob, machte dem Lär-<lb/>
men ein Ende; &#x017F;ie faßte, ohne ein Wort zu &#x017F;prechen,<lb/><hi rendition="#g">Marwin</hi> mit einem viel &#x017F;agenden Blicke bei der<lb/>
Hand und er, der von der Bedeutung ihrer feierli-<lb/>
chen Gebärde &#x017F;o mächtig ergriffen zu &#x017F;eyn &#x017F;chien, wie<lb/>
ich, folgte wie ein Lamm, als &#x017F;ie ihn tief mit &#x017F;ich in<lb/>
das Gebü&#x017F;che führte.</p><lb/>
          <p>Nach einer Weile kehrte &#x017F;ie allein zurück, ging<lb/>
mit ent&#x017F;chiedenem Schritt auf <hi rendition="#g">mich</hi> zu, den &#x017F;ie gleich-<lb/>
falls aus der Mitte der Uebrigen hinweg winkte.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ich habe ihm ver&#x017F;prochen,&#x201C; fing &#x017F;ie, da wir weit<lb/>
genug entfernt waren und &#x017F;tille &#x017F;tanden, in ern&#x017F;tem<lb/>
Tone an, &#x201E;ich hab&#x2019; ihm ver&#x017F;prochen, dir zu &#x017F;agen, daß<lb/>
ich dich ha&#x017F;&#x017F;e wie meinen ärg&#x017F;ten Feind und bis in<lb/>
den Tod. Ich &#x017F;age dir al&#x017F;o die&#x017F;es. Doch du weißt<lb/>
es anders. Ich &#x017F;age dir für mich, daß ich dich viel-<lb/>
mehr liebe wie meinen lieb&#x017F;ten Freund, und das &#x017F;o<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[311/0319] mit beiden Händen bedeckend, indeß ihr Liebhaber un- ter gräßlichen Verwünſchungen und im heftigſten Schmerz ihr ein offenes Geſtändniß über jenen Vor- fall auszupreſſen ſuchte. Wie er mich gewahr wurde, ſprang er gleich einem Wüthenden auf mich los, faßte mich an der Bruſt und forderte von mir, was jene ihm vorenthalte. Er zog das Meſſer und drohte mir noch immer, als wir ſchon von fünf bis ſechs Per- ſonen, die herbeieilten, umringt waren. Der Vater entwaffnete ihn auf der Stelle. Aber erſt Loskine, welche ſich jezt mit einem mir unvergeßlichen Aus- druck von würdevoller Ruhe aufhob, machte dem Lär- men ein Ende; ſie faßte, ohne ein Wort zu ſprechen, Marwin mit einem viel ſagenden Blicke bei der Hand und er, der von der Bedeutung ihrer feierli- chen Gebärde ſo mächtig ergriffen zu ſeyn ſchien, wie ich, folgte wie ein Lamm, als ſie ihn tief mit ſich in das Gebüſche führte. Nach einer Weile kehrte ſie allein zurück, ging mit entſchiedenem Schritt auf mich zu, den ſie gleich- falls aus der Mitte der Uebrigen hinweg winkte. „Ich habe ihm verſprochen,“ fing ſie, da wir weit genug entfernt waren und ſtille ſtanden, in ernſtem Tone an, „ich hab’ ihm verſprochen, dir zu ſagen, daß ich dich haſſe wie meinen ärgſten Feind und bis in den Tod. Ich ſage dir alſo dieſes. Doch du weißt es anders. Ich ſage dir für mich, daß ich dich viel- mehr liebe wie meinen liebſten Freund, und das ſo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/319
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/319>, abgerufen am 20.05.2024.