Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

Zimmer der Frau, wo nun auch die beiden Mädchen
mit dem Fräulein einquartirt werden sollten. Das
Alles war, wenige Piecen ausgenommen, nach neue-
rem Geschmacke. An Bedienung, weiblicher sowohl
als männlicher, fehlte es nicht.

Nachdem die neuen Gäste einigermaßen einge-
richtet waren, trank man den Kaffee in einem der
vielen Bosquets im Garten und wandelte sodann, in
zwei Partien abermals getrennt, die ganze Anlage
durch. Ihr Umfang war, obgleich beträchtlich, doch
kleiner als es von Innen der Anschein gab, weil
Bäume und Gebüsch die Mauer überall verbargen.

Agnes und Nannette, ihre gefällige Freundin
in der Mitte, empfanden sich in einem völlig neuen
Elemente; jedoch sein Fremdes ward ihnen durch
Margots höchst umgängliches und ungenirtes We-
sen mit jeder Viertelstunde mehr zu eigen. Ueber-
haupt finden wir nun Zeit von der Tochter zu reden,
und sie verdient, daß man sie näher kennen lerne.
Das munterste Herz, verbunden mit einem scharfen
Verstande, der unter dem unmittelbaren Einflusse des
Vaters, verschiedene, sonst nur dem männlichen Ge-
schlecht zukommende Fächer der Wissenschaft, man darf
kecklich sagen, mit angeborner Leidenschaft und ohne
den geringsten Zug von gelehrter Koketterie ergriffen
hatte, schienen hinreichende Eigenschaften, um mit
einem Aeußern zu versöhnen, das wenigstens für ein
gewöhnliches Auge nicht viel Einnehmendes, oder um

Zimmer der Frau, wo nun auch die beiden Mädchen
mit dem Fräulein einquartirt werden ſollten. Das
Alles war, wenige Piecen ausgenommen, nach neue-
rem Geſchmacke. An Bedienung, weiblicher ſowohl
als männlicher, fehlte es nicht.

Nachdem die neuen Gäſte einigermaßen einge-
richtet waren, trank man den Kaffee in einem der
vielen Bosquets im Garten und wandelte ſodann, in
zwei Partien abermals getrennt, die ganze Anlage
durch. Ihr Umfang war, obgleich beträchtlich, doch
kleiner als es von Innen der Anſchein gab, weil
Bäume und Gebüſch die Mauer überall verbargen.

Agnes und Nannette, ihre gefällige Freundin
in der Mitte, empfanden ſich in einem völlig neuen
Elemente; jedoch ſein Fremdes ward ihnen durch
Margots höchſt umgängliches und ungenirtes We-
ſen mit jeder Viertelſtunde mehr zu eigen. Ueber-
haupt finden wir nun Zeit von der Tochter zu reden,
und ſie verdient, daß man ſie näher kennen lerne.
Das munterſte Herz, verbunden mit einem ſcharfen
Verſtande, der unter dem unmittelbaren Einfluſſe des
Vaters, verſchiedene, ſonſt nur dem männlichen Ge-
ſchlecht zukommende Fächer der Wiſſenſchaft, man darf
kecklich ſagen, mit angeborner Leidenſchaft und ohne
den geringſten Zug von gelehrter Koketterie ergriffen
hatte, ſchienen hinreichende Eigenſchaften, um mit
einem Aeußern zu verſöhnen, das wenigſtens für ein
gewöhnliches Auge nicht viel Einnehmendes, oder um

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0220" n="534"/>
Zimmer der Frau, wo nun auch die beiden Mädchen<lb/>
mit dem Fräulein einquartirt werden &#x017F;ollten. Das<lb/>
Alles war, wenige Piecen ausgenommen, nach neue-<lb/>
rem Ge&#x017F;chmacke. An Bedienung, weiblicher &#x017F;owohl<lb/>
als männlicher, fehlte es nicht.</p><lb/>
          <p>Nachdem die neuen Gä&#x017F;te einigermaßen einge-<lb/>
richtet waren, trank man den Kaffee in einem der<lb/>
vielen Bosquets im Garten und wandelte &#x017F;odann, in<lb/>
zwei Partien abermals getrennt, die ganze Anlage<lb/>
durch. Ihr Umfang war, obgleich beträchtlich, doch<lb/>
kleiner als es von Innen der An&#x017F;chein gab, weil<lb/>
Bäume und Gebü&#x017F;ch die Mauer überall verbargen.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Agnes</hi> und <hi rendition="#g">Nannette</hi>, ihre gefällige Freundin<lb/>
in der Mitte, empfanden &#x017F;ich in einem völlig neuen<lb/>
Elemente; jedoch &#x017F;ein Fremdes ward ihnen durch<lb/><hi rendition="#g">Margots</hi> höch&#x017F;t umgängliches und ungenirtes We-<lb/>
&#x017F;en mit jeder Viertel&#x017F;tunde mehr zu eigen. Ueber-<lb/>
haupt finden wir nun Zeit von der Tochter zu reden,<lb/>
und &#x017F;ie verdient, daß man &#x017F;ie näher kennen lerne.<lb/>
Das munter&#x017F;te Herz, verbunden mit einem &#x017F;charfen<lb/>
Ver&#x017F;tande, der unter dem unmittelbaren Einflu&#x017F;&#x017F;e des<lb/>
Vaters, ver&#x017F;chiedene, &#x017F;on&#x017F;t nur dem männlichen Ge-<lb/>
&#x017F;chlecht zukommende Fächer der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, man darf<lb/>
kecklich &#x017F;agen, mit angeborner Leiden&#x017F;chaft und ohne<lb/>
den gering&#x017F;ten Zug von gelehrter Koketterie ergriffen<lb/>
hatte, &#x017F;chienen hinreichende Eigen&#x017F;chaften, um mit<lb/>
einem Aeußern zu ver&#x017F;öhnen, das wenig&#x017F;tens für ein<lb/>
gewöhnliches Auge nicht viel Einnehmendes, oder um<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[534/0220] Zimmer der Frau, wo nun auch die beiden Mädchen mit dem Fräulein einquartirt werden ſollten. Das Alles war, wenige Piecen ausgenommen, nach neue- rem Geſchmacke. An Bedienung, weiblicher ſowohl als männlicher, fehlte es nicht. Nachdem die neuen Gäſte einigermaßen einge- richtet waren, trank man den Kaffee in einem der vielen Bosquets im Garten und wandelte ſodann, in zwei Partien abermals getrennt, die ganze Anlage durch. Ihr Umfang war, obgleich beträchtlich, doch kleiner als es von Innen der Anſchein gab, weil Bäume und Gebüſch die Mauer überall verbargen. Agnes und Nannette, ihre gefällige Freundin in der Mitte, empfanden ſich in einem völlig neuen Elemente; jedoch ſein Fremdes ward ihnen durch Margots höchſt umgängliches und ungenirtes We- ſen mit jeder Viertelſtunde mehr zu eigen. Ueber- haupt finden wir nun Zeit von der Tochter zu reden, und ſie verdient, daß man ſie näher kennen lerne. Das munterſte Herz, verbunden mit einem ſcharfen Verſtande, der unter dem unmittelbaren Einfluſſe des Vaters, verſchiedene, ſonſt nur dem männlichen Ge- ſchlecht zukommende Fächer der Wiſſenſchaft, man darf kecklich ſagen, mit angeborner Leidenſchaft und ohne den geringſten Zug von gelehrter Koketterie ergriffen hatte, ſchienen hinreichende Eigenſchaften, um mit einem Aeußern zu verſöhnen, das wenigſtens für ein gewöhnliches Auge nicht viel Einnehmendes, oder um

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/220
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 534. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/220>, abgerufen am 21.11.2024.