Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

der Blätter hin, der sie indessen neben sich ruhen ließ.
"Nein," sagte er, wieder heimlich zu Agnesen ge-
wendet, während der Alte schon in Politik vertieft
saß, "ich habe Käsperchen die Nacht nicht gehört."
"Ich habe!" versezte sie, "um drei Uhr, es war noch
dunkel, rief er den Tag an; und," sezte sie leise hin-
zu, "an dich hab' ich gedacht! aber wie! eben war
ich erwacht, mich überfiel's auf Einmal, du wärst
hier, wärst mit mir unter Einem Dache! ich mußte
die Hände falten, ein Krampf der Freuden drückte sie
mir in einander, so dankbar, froh und leicht hab' ich
mein Tage nicht gebetet." -- "Gebt 'mal Acht, Kin-
der! "hub der Vater an: "das ist ein Einfall vom
russischen Kaiser! superb, ganz excellent! Da hört
nur." Und nun ward ein langer Artikel vorgelesen,
wobei der Alte seine Wölkchen heftiger vom Mund
abstieß. Nolten vernahm kaum den Anfang des
Edikts, er ist noch hingerissen v[o]n den lezten Worten
Agnesens, woraus ihm alles Gold ihrer Seele
entgegenschimmert; durchdringend ruht sein Blick auf ihr
und zugleich ergreift ihn das Andenken an Larkens auf
das Lebhafteste. "O," hätte er ausrufen mögen, "warum
muß er mir jetzo fehlen? Er, dem ich diese Seeligkeit
verdanke, warum verschmäht er, selbst Zeuge zu seyn,
wie herrlich die Saat aufgegangen ist, die seine treue
Hand im Stillen ausgestreut! Und ich soll hier ge-
nießen, indeß ein freudelos Geschick, ach, das eigne
unersättliche Herz, ihn in die Ferne irren heißt, ver-

der Blätter hin, der ſie indeſſen neben ſich ruhen ließ.
„Nein,“ ſagte er, wieder heimlich zu Agneſen ge-
wendet, während der Alte ſchon in Politik vertieft
ſaß, „ich habe Käſperchen die Nacht nicht gehört.“
„Ich habe!“ verſezte ſie, „um drei Uhr, es war noch
dunkel, rief er den Tag an; und,“ ſezte ſie leiſe hin-
zu, „an dich hab’ ich gedacht! aber wie! eben war
ich erwacht, mich überfiel’s auf Einmal, du wärſt
hier, wärſt mit mir unter Einem Dache! ich mußte
die Hände falten, ein Krampf der Freuden drückte ſie
mir in einander, ſo dankbar, froh und leicht hab’ ich
mein Tage nicht gebetet.“ — „Gebt ’mal Acht, Kin-
der! „hub der Vater an: „das iſt ein Einfall vom
ruſſiſchen Kaiſer! ſuperb, ganz excellent! Da hört
nur.“ Und nun ward ein langer Artikel vorgeleſen,
wobei der Alte ſeine Wölkchen heftiger vom Mund
abſtieß. Nolten vernahm kaum den Anfang des
Edikts, er iſt noch hingeriſſen v[o]n den lezten Worten
Agneſens, woraus ihm alles Gold ihrer Seele
entgegenſchimmert; durchdringend ruht ſein Blick auf ihr
und zugleich ergreift ihn das Andenken an Larkens auf
das Lebhafteſte. „O,“ hätte er ausrufen mögen, „warum
muß er mir jetzo fehlen? Er, dem ich dieſe Seeligkeit
verdanke, warum verſchmäht er, ſelbſt Zeuge zu ſeyn,
wie herrlich die Saat aufgegangen iſt, die ſeine treue
Hand im Stillen ausgeſtreut! Und ich ſoll hier ge-
nießen, indeß ein freudelos Geſchick, ach, das eigne
unerſättliche Herz, ihn in die Ferne irren heißt, ver-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0098" n="412"/>
der Blätter hin, der &#x017F;ie inde&#x017F;&#x017F;en neben &#x017F;ich ruhen ließ.<lb/>
&#x201E;Nein,&#x201C; &#x017F;agte er, wieder heimlich zu <hi rendition="#g">Agne&#x017F;en</hi> ge-<lb/>
wendet, während der Alte &#x017F;chon in Politik vertieft<lb/>
&#x017F;aß, &#x201E;ich habe Kä&#x017F;perchen die Nacht nicht gehört.&#x201C;<lb/>
&#x201E;Ich habe!&#x201C; ver&#x017F;ezte &#x017F;ie, &#x201E;um drei Uhr, es war noch<lb/>
dunkel, rief er den Tag an; und,&#x201C; &#x017F;ezte &#x017F;ie lei&#x017F;e hin-<lb/>
zu, &#x201E;an <hi rendition="#g">dich</hi> hab&#x2019; ich gedacht! aber wie! eben war<lb/>
ich erwacht, mich überfiel&#x2019;s auf Einmal, du wär&#x017F;t<lb/>
hier, wär&#x017F;t mit mir unter Einem Dache! ich mußte<lb/>
die Hände falten, ein Krampf der Freuden drückte &#x017F;ie<lb/>
mir in einander, &#x017F;o dankbar, froh und leicht hab&#x2019; ich<lb/>
mein Tage nicht gebetet.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Gebt &#x2019;mal Acht, Kin-<lb/>
der! &#x201E;hub der Vater an: &#x201E;das i&#x017F;t ein Einfall vom<lb/>
ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Kai&#x017F;er! &#x017F;uperb, ganz excellent! Da hört<lb/>
nur.&#x201C; Und nun ward ein langer Artikel vorgele&#x017F;en,<lb/>
wobei der Alte &#x017F;eine Wölkchen heftiger vom Mund<lb/>
ab&#x017F;tieß. <hi rendition="#g">Nolten</hi> vernahm kaum den Anfang des<lb/>
Edikts, er i&#x017F;t noch hingeri&#x017F;&#x017F;en v<supplied>o</supplied>n den lezten Worten<lb/><hi rendition="#g">Agne&#x017F;ens</hi>, woraus ihm alles Gold ihrer Seele<lb/>
entgegen&#x017F;chimmert; durchdringend ruht &#x017F;ein Blick auf ihr<lb/>
und zugleich ergreift ihn das Andenken an <hi rendition="#g">Larkens</hi> auf<lb/>
das Lebhafte&#x017F;te. &#x201E;O,&#x201C; hätte er ausrufen mögen, &#x201E;warum<lb/>
muß er mir jetzo fehlen? Er, dem ich die&#x017F;e Seeligkeit<lb/>
verdanke, warum ver&#x017F;chmäht er, &#x017F;elb&#x017F;t Zeuge zu &#x017F;eyn,<lb/>
wie herrlich die Saat aufgegangen i&#x017F;t, die &#x017F;eine treue<lb/>
Hand im Stillen ausge&#x017F;treut! Und ich &#x017F;oll hier ge-<lb/>
nießen, indeß ein freudelos Ge&#x017F;chick, ach, das eigne<lb/>
uner&#x017F;ättliche Herz, ihn in die Ferne irren heißt, ver-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[412/0098] der Blätter hin, der ſie indeſſen neben ſich ruhen ließ. „Nein,“ ſagte er, wieder heimlich zu Agneſen ge- wendet, während der Alte ſchon in Politik vertieft ſaß, „ich habe Käſperchen die Nacht nicht gehört.“ „Ich habe!“ verſezte ſie, „um drei Uhr, es war noch dunkel, rief er den Tag an; und,“ ſezte ſie leiſe hin- zu, „an dich hab’ ich gedacht! aber wie! eben war ich erwacht, mich überfiel’s auf Einmal, du wärſt hier, wärſt mit mir unter Einem Dache! ich mußte die Hände falten, ein Krampf der Freuden drückte ſie mir in einander, ſo dankbar, froh und leicht hab’ ich mein Tage nicht gebetet.“ — „Gebt ’mal Acht, Kin- der! „hub der Vater an: „das iſt ein Einfall vom ruſſiſchen Kaiſer! ſuperb, ganz excellent! Da hört nur.“ Und nun ward ein langer Artikel vorgeleſen, wobei der Alte ſeine Wölkchen heftiger vom Mund abſtieß. Nolten vernahm kaum den Anfang des Edikts, er iſt noch hingeriſſen von den lezten Worten Agneſens, woraus ihm alles Gold ihrer Seele entgegenſchimmert; durchdringend ruht ſein Blick auf ihr und zugleich ergreift ihn das Andenken an Larkens auf das Lebhafteſte. „O,“ hätte er ausrufen mögen, „warum muß er mir jetzo fehlen? Er, dem ich dieſe Seeligkeit verdanke, warum verſchmäht er, ſelbſt Zeuge zu ſeyn, wie herrlich die Saat aufgegangen iſt, die ſeine treue Hand im Stillen ausgeſtreut! Und ich ſoll hier ge- nießen, indeß ein freudelos Geſchick, ach, das eigne unerſättliche Herz, ihn in die Ferne irren heißt, ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/98
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/98>, abgerufen am 24.11.2024.