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Möser, Justus: Osnabrückische Geschichte. Osnabrück, 1768.

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Vorrede.
gefesselt, und die Sprache der vorherigen Verfassung
theils verdunkelt, theils zu einem andern Verstande
umgebildet, und theils unverständlich gemacht. Oft
hat daher meine Empfindung mit den Worten ge-
kämpft, und ich bin nicht selten in der Versuchung
gewesen auf die Geschichte einzelner Worte, welche
immer von Jahrhundert zu Jahrhundert einen andern
Sinn erhalten haben, auszuschweifen. Da ich aber
in manchen Anmerkungen schon bis ans rothe Meer
gekommen war: so konnte ich meiner eignen Critik
nicht weiter entwischen. Doch bin ich noch so weit
nicht bekehrt, um eine Vorrede ohne Ausschweifung
schliessen zu können.

Die Geschichte von Deutschland hat meines Ermes-
sens eine ganz neue Wendung zu hoffen, wenn wir
die gemeinen Landeigenthümer, als die wahren Be-
standtheile der Nation durch alle ihre Veränderungen
verfolgen; aus ihnen den Körper bilden und die gros-
sen und kleinen Bediente dieser Nation als böse oder
gute Zufälle des Körpers betrachten. Wir können so
denn dieser Geschichte nicht allein die Einheit, den
Gang und die Macht der Epopee geben, worin die
Territorialhoheit, und der Despotismus, zuletzt die
Stelle einer glücklichen oder unglücklichen Auflösung
vertritt; sondern auch den Ursprung, den Fortgang
und das unterschiedliche Verhältnis des Nationalcha-
rakters unter allen Veränderungen mit weit mehrer
Ordnung und Deutlichkeit entwickeln, als wenn wir
blos das Leben und die Bemühungen der Aerzte be-
schreiben, ohne des kranken Körpers zu gedenken.
Der Einfluß, welchen Gesetze und Gewohnheiten,

Tugen-

Vorrede.
gefeſſelt, und die Sprache der vorherigen Verfaſſung
theils verdunkelt, theils zu einem andern Verſtande
umgebildet, und theils unverſtaͤndlich gemacht. Oft
hat daher meine Empfindung mit den Worten ge-
kaͤmpft, und ich bin nicht ſelten in der Verſuchung
geweſen auf die Geſchichte einzelner Worte, welche
immer von Jahrhundert zu Jahrhundert einen andern
Sinn erhalten haben, auszuſchweifen. Da ich aber
in manchen Anmerkungen ſchon bis ans rothe Meer
gekommen war: ſo konnte ich meiner eignen Critik
nicht weiter entwiſchen. Doch bin ich noch ſo weit
nicht bekehrt, um eine Vorrede ohne Ausſchweifung
ſchlieſſen zu koͤnnen.

Die Geſchichte von Deutſchland hat meines Ermeſ-
ſens eine ganz neue Wendung zu hoffen, wenn wir
die gemeinen Landeigenthuͤmer, als die wahren Be-
ſtandtheile der Nation durch alle ihre Veraͤnderungen
verfolgen; aus ihnen den Koͤrper bilden und die groſ-
ſen und kleinen Bediente dieſer Nation als boͤſe oder
gute Zufaͤlle des Koͤrpers betrachten. Wir koͤnnen ſo
denn dieſer Geſchichte nicht allein die Einheit, den
Gang und die Macht der Epopee geben, worin die
Territorialhoheit, und der Deſpotiſmus, zuletzt die
Stelle einer gluͤcklichen oder ungluͤcklichen Aufloͤſung
vertritt; ſondern auch den Urſprung, den Fortgang
und das unterſchiedliche Verhaͤltnis des Nationalcha-
rakters unter allen Veraͤnderungen mit weit mehrer
Ordnung und Deutlichkeit entwickeln, als wenn wir
blos das Leben und die Bemuͤhungen der Aerzte be-
ſchreiben, ohne des kranken Koͤrpers zu gedenken.
Der Einfluß, welchen Geſetze und Gewohnheiten,

Tugen-
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[0014] Vorrede. gefeſſelt, und die Sprache der vorherigen Verfaſſung theils verdunkelt, theils zu einem andern Verſtande umgebildet, und theils unverſtaͤndlich gemacht. Oft hat daher meine Empfindung mit den Worten ge- kaͤmpft, und ich bin nicht ſelten in der Verſuchung geweſen auf die Geſchichte einzelner Worte, welche immer von Jahrhundert zu Jahrhundert einen andern Sinn erhalten haben, auszuſchweifen. Da ich aber in manchen Anmerkungen ſchon bis ans rothe Meer gekommen war: ſo konnte ich meiner eignen Critik nicht weiter entwiſchen. Doch bin ich noch ſo weit nicht bekehrt, um eine Vorrede ohne Ausſchweifung ſchlieſſen zu koͤnnen. Die Geſchichte von Deutſchland hat meines Ermeſ- ſens eine ganz neue Wendung zu hoffen, wenn wir die gemeinen Landeigenthuͤmer, als die wahren Be- ſtandtheile der Nation durch alle ihre Veraͤnderungen verfolgen; aus ihnen den Koͤrper bilden und die groſ- ſen und kleinen Bediente dieſer Nation als boͤſe oder gute Zufaͤlle des Koͤrpers betrachten. Wir koͤnnen ſo denn dieſer Geſchichte nicht allein die Einheit, den Gang und die Macht der Epopee geben, worin die Territorialhoheit, und der Deſpotiſmus, zuletzt die Stelle einer gluͤcklichen oder ungluͤcklichen Aufloͤſung vertritt; ſondern auch den Urſprung, den Fortgang und das unterſchiedliche Verhaͤltnis des Nationalcha- rakters unter allen Veraͤnderungen mit weit mehrer Ordnung und Deutlichkeit entwickeln, als wenn wir blos das Leben und die Bemuͤhungen der Aerzte be- ſchreiben, ohne des kranken Koͤrpers zu gedenken. Der Einfluß, welchen Geſetze und Gewohnheiten, Tugen-

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Osnabrückische Geschichte. Osnabrück, 1768, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_osnabrueck_1768/14>, abgerufen am 28.04.2024.