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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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Schreiben einer Frau
aller Rechtschaffenen; und vielleicht -- o mein Schmerz ist
der Verzweiflung sehr nahe -- auch das, woran ich nur mit
Entsetzen gedenke. Konntest du, mein Geliebter, in der
Verzweiflung, worinn dich deine Schulden stürzten, der Ver-
suchung nicht widerstehen, auf unsichere Hoffnungen, fremde
dir anvertrauete Gelder anzugreifen; wie werde ich dein Kind
verschmachten sehen können, ohne mir zuvor selbst das Leben zu
nehmen? Du warest redlich; ich bins auch. Aber Gott wende
die Versuchung!

Man hat mir alles gepfändet; Von allen deinen kost-
baren Geschenken, von allen meinen schönen Kleidern habe ich
nichts behalten. Unser Bette ist fort. Nur mein Kind ist
mir geblieben, und damit sitze ich nun schon in den dritten Tag
in meinem binnen vier und zwanzig Stunden zu verlassenden
Putzzimmer; weil ich das Herz nicht habe vor die Thür zu
gehen, und mich den Hämischen oder stolzen Mitleide meiner
Nachbarinnen blos zu stellen. Was für eine Ueberwindung
wird es mir noch kosten, sie um ein Sück Brod zu bitten!
Und wie Verdienstlos bleibt diese Ueberwindung in Vergleichung
mit derjenigen, womit ich alle Verschwendung vermieden und
dich bey Ehren erhalten haben könnte! Was soll jezt aus mir
werden? In meinem 19ten Jahre schon so unglücklich! und
vielleicht auf ewig von dir getrennt! Mit einem Kinde, das
nur die Zähren, so meine Brust herab rollen, einsaugt, und
mir in einem sehnlichen Blicke das ehmals zärtliche Verlan-
gen seines unglücklichen Vaters zeigt!

Vergieb mir, o Geliebter, den Ausbruch meines Schmer-
zens! ich solte dich schonen; denn du bist unglücklich genug;
und es könnte dich trösten mich ruhiger zu wissen. Allein du
mußt daraus die Hofnung schöpfen, dein Kind und mich bald
zu verlieren; und was hast du in deinem Unglück mehr zu
wünschen, als bald allein zu leiden und die Beruhigung zu

er-

Schreiben einer Frau
aller Rechtſchaffenen; und vielleicht — o mein Schmerz iſt
der Verzweiflung ſehr nahe — auch das, woran ich nur mit
Entſetzen gedenke. Konnteſt du, mein Geliebter, in der
Verzweiflung, worinn dich deine Schulden ſtuͤrzten, der Ver-
ſuchung nicht widerſtehen, auf unſichere Hoffnungen, fremde
dir anvertrauete Gelder anzugreifen; wie werde ich dein Kind
verſchmachten ſehen koͤnnen, ohne mir zuvor ſelbſt das Leben zu
nehmen? Du wareſt redlich; ich bins auch. Aber Gott wende
die Verſuchung!

Man hat mir alles gepfaͤndet; Von allen deinen koſt-
baren Geſchenken, von allen meinen ſchoͤnen Kleidern habe ich
nichts behalten. Unſer Bette iſt fort. Nur mein Kind iſt
mir geblieben, und damit ſitze ich nun ſchon in den dritten Tag
in meinem binnen vier und zwanzig Stunden zu verlaſſenden
Putzzimmer; weil ich das Herz nicht habe vor die Thuͤr zu
gehen, und mich den Haͤmiſchen oder ſtolzen Mitleide meiner
Nachbarinnen blos zu ſtellen. Was fuͤr eine Ueberwindung
wird es mir noch koſten, ſie um ein Suͤck Brod zu bitten!
Und wie Verdienſtlos bleibt dieſe Ueberwindung in Vergleichung
mit derjenigen, womit ich alle Verſchwendung vermieden und
dich bey Ehren erhalten haben koͤnnte! Was ſoll jezt aus mir
werden? In meinem 19ten Jahre ſchon ſo ungluͤcklich! und
vielleicht auf ewig von dir getrennt! Mit einem Kinde, das
nur die Zaͤhren, ſo meine Bruſt herab rollen, einſaugt, und
mir in einem ſehnlichen Blicke das ehmals zaͤrtliche Verlan-
gen ſeines ungluͤcklichen Vaters zeigt!

Vergieb mir, o Geliebter, den Ausbruch meines Schmer-
zens! ich ſolte dich ſchonen; denn du biſt ungluͤcklich genug;
und es koͤnnte dich troͤſten mich ruhiger zu wiſſen. Allein du
mußt daraus die Hofnung ſchoͤpfen, dein Kind und mich bald
zu verlieren; und was haſt du in deinem Ungluͤck mehr zu
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er-
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[336/0354] Schreiben einer Frau aller Rechtſchaffenen; und vielleicht — o mein Schmerz iſt der Verzweiflung ſehr nahe — auch das, woran ich nur mit Entſetzen gedenke. Konnteſt du, mein Geliebter, in der Verzweiflung, worinn dich deine Schulden ſtuͤrzten, der Ver- ſuchung nicht widerſtehen, auf unſichere Hoffnungen, fremde dir anvertrauete Gelder anzugreifen; wie werde ich dein Kind verſchmachten ſehen koͤnnen, ohne mir zuvor ſelbſt das Leben zu nehmen? Du wareſt redlich; ich bins auch. Aber Gott wende die Verſuchung! Man hat mir alles gepfaͤndet; Von allen deinen koſt- baren Geſchenken, von allen meinen ſchoͤnen Kleidern habe ich nichts behalten. Unſer Bette iſt fort. Nur mein Kind iſt mir geblieben, und damit ſitze ich nun ſchon in den dritten Tag in meinem binnen vier und zwanzig Stunden zu verlaſſenden Putzzimmer; weil ich das Herz nicht habe vor die Thuͤr zu gehen, und mich den Haͤmiſchen oder ſtolzen Mitleide meiner Nachbarinnen blos zu ſtellen. Was fuͤr eine Ueberwindung wird es mir noch koſten, ſie um ein Suͤck Brod zu bitten! Und wie Verdienſtlos bleibt dieſe Ueberwindung in Vergleichung mit derjenigen, womit ich alle Verſchwendung vermieden und dich bey Ehren erhalten haben koͤnnte! Was ſoll jezt aus mir werden? In meinem 19ten Jahre ſchon ſo ungluͤcklich! und vielleicht auf ewig von dir getrennt! Mit einem Kinde, das nur die Zaͤhren, ſo meine Bruſt herab rollen, einſaugt, und mir in einem ſehnlichen Blicke das ehmals zaͤrtliche Verlan- gen ſeines ungluͤcklichen Vaters zeigt! Vergieb mir, o Geliebter, den Ausbruch meines Schmer- zens! ich ſolte dich ſchonen; denn du biſt ungluͤcklich genug; und es koͤnnte dich troͤſten mich ruhiger zu wiſſen. Allein du mußt daraus die Hofnung ſchoͤpfen, dein Kind und mich bald zu verlieren; und was haſt du in deinem Ungluͤck mehr zu wuͤnſchen, als bald allein zu leiden und die Beruhigung zu er-

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/354>, abgerufen am 21.11.2024.