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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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solten ein Handwerk lernen.
probe bestätigte, fand es ungerecht, daß die Gilden nicht alle
Söhne von Mutterleibe gebohren in ihre Zunft aufnehmen
wolten; gerade als ob es nicht die erste und feinste Regel der
Staatsklugheit wäre, unterschiedene Klassen von Menschen
zu haben, um jeden in seiner Art mit einem nothdürftigen
Antheil von Ehre aufmuntern zu können. In despotischen
Staaten ist der Herr alles, und der Rest Pöbel. Die glück-
lichste Verfassung geht vom Throne in sanften Stufen herun-
ter, und jede Stufe hat einen Grad von Ehre, der ihr eigen
bleibt, und die siebende hat so wohl ein Recht zu ihrer Er-
haltung als die zweyte. Diese Grundsätze hatte man bey
dem Reichsabschiede ziemlich aus den Augen gesetzt; und die
Wissenschaften, welche sich damals immer mehr und mehr
ausbreiteten, erhoben den Mann, der von den Schuhen der
Griechen und Römer schreiben konnte, über den Mann, der
mit eigner Hand weit bessere machte.

Den lezten Stoß empfiengen die Handwerke von den
Fabricken. Die Franzosen, welche ihr Vaterland verlassen
mußten, adelten diesen Namen. Fürsten und Grafen durf-
ten die Aufsicht über ihre Fabrickleute, welche für ihre Rech-
nung arbeiteten, haben; aber wer ihnen deswegen den Titel
eines Amtsmeisters hätte geben wollen, würde ihrer Ungnade
nicht entgangen seyn. Der Minister eines gewissen Herrn
war ein Lederfabricant; aber kein Lohgerber. Nach den Plan
der neuen ist es besser, daß alle Bürger, Gesellen, und die
Cammerräthe Meister seyn. Und die weitere Verachtung
des Handwerks führet gerades Weges zu dieser türkischen Ein-
richtung.

Diesem Uebel kann nicht vorgebeugt werden oder reiche
Leute müssen Handwerker werden. Da der Gold- und Sil-
berfabricant, der Hut- und Strumpffabriqueur an vielen Or-

ten

ſolten ein Handwerk lernen.
probe beſtaͤtigte, fand es ungerecht, daß die Gilden nicht alle
Soͤhne von Mutterleibe gebohren in ihre Zunft aufnehmen
wolten; gerade als ob es nicht die erſte und feinſte Regel der
Staatsklugheit waͤre, unterſchiedene Klaſſen von Menſchen
zu haben, um jeden in ſeiner Art mit einem nothduͤrftigen
Antheil von Ehre aufmuntern zu koͤnnen. In deſpotiſchen
Staaten iſt der Herr alles, und der Reſt Poͤbel. Die gluͤck-
lichſte Verfaſſung geht vom Throne in ſanften Stufen herun-
ter, und jede Stufe hat einen Grad von Ehre, der ihr eigen
bleibt, und die ſiebende hat ſo wohl ein Recht zu ihrer Er-
haltung als die zweyte. Dieſe Grundſaͤtze hatte man bey
dem Reichsabſchiede ziemlich aus den Augen geſetzt; und die
Wiſſenſchaften, welche ſich damals immer mehr und mehr
ausbreiteten, erhoben den Mann, der von den Schuhen der
Griechen und Roͤmer ſchreiben konnte, uͤber den Mann, der
mit eigner Hand weit beſſere machte.

Den lezten Stoß empfiengen die Handwerke von den
Fabricken. Die Franzoſen, welche ihr Vaterland verlaſſen
mußten, adelten dieſen Namen. Fuͤrſten und Grafen durf-
ten die Aufſicht uͤber ihre Fabrickleute, welche fuͤr ihre Rech-
nung arbeiteten, haben; aber wer ihnen deswegen den Titel
eines Amtsmeiſters haͤtte geben wollen, wuͤrde ihrer Ungnade
nicht entgangen ſeyn. Der Miniſter eines gewiſſen Herrn
war ein Lederfabricant; aber kein Lohgerber. Nach den Plan
der neuen iſt es beſſer, daß alle Buͤrger, Geſellen, und die
Cammerraͤthe Meiſter ſeyn. Und die weitere Verachtung
des Handwerks fuͤhret gerades Weges zu dieſer tuͤrkiſchen Ein-
richtung.

Dieſem Uebel kann nicht vorgebeugt werden oder reiche
Leute muͤſſen Handwerker werden. Da der Gold- und Sil-
berfabricant, der Hut- und Strumpffabriqueur an vielen Or-

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[29/0047] ſolten ein Handwerk lernen. probe beſtaͤtigte, fand es ungerecht, daß die Gilden nicht alle Soͤhne von Mutterleibe gebohren in ihre Zunft aufnehmen wolten; gerade als ob es nicht die erſte und feinſte Regel der Staatsklugheit waͤre, unterſchiedene Klaſſen von Menſchen zu haben, um jeden in ſeiner Art mit einem nothduͤrftigen Antheil von Ehre aufmuntern zu koͤnnen. In deſpotiſchen Staaten iſt der Herr alles, und der Reſt Poͤbel. Die gluͤck- lichſte Verfaſſung geht vom Throne in ſanften Stufen herun- ter, und jede Stufe hat einen Grad von Ehre, der ihr eigen bleibt, und die ſiebende hat ſo wohl ein Recht zu ihrer Er- haltung als die zweyte. Dieſe Grundſaͤtze hatte man bey dem Reichsabſchiede ziemlich aus den Augen geſetzt; und die Wiſſenſchaften, welche ſich damals immer mehr und mehr ausbreiteten, erhoben den Mann, der von den Schuhen der Griechen und Roͤmer ſchreiben konnte, uͤber den Mann, der mit eigner Hand weit beſſere machte. Den lezten Stoß empfiengen die Handwerke von den Fabricken. Die Franzoſen, welche ihr Vaterland verlaſſen mußten, adelten dieſen Namen. Fuͤrſten und Grafen durf- ten die Aufſicht uͤber ihre Fabrickleute, welche fuͤr ihre Rech- nung arbeiteten, haben; aber wer ihnen deswegen den Titel eines Amtsmeiſters haͤtte geben wollen, wuͤrde ihrer Ungnade nicht entgangen ſeyn. Der Miniſter eines gewiſſen Herrn war ein Lederfabricant; aber kein Lohgerber. Nach den Plan der neuen iſt es beſſer, daß alle Buͤrger, Geſellen, und die Cammerraͤthe Meiſter ſeyn. Und die weitere Verachtung des Handwerks fuͤhret gerades Weges zu dieſer tuͤrkiſchen Ein- richtung. Dieſem Uebel kann nicht vorgebeugt werden oder reiche Leute muͤſſen Handwerker werden. Da der Gold- und Sil- berfabricant, der Hut- und Strumpffabriqueur an vielen Or- ten

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/47>, abgerufen am 21.11.2024.