Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.Gedanken über den westphäl. Leibeigenthum. den hat, die sich auf den Boden des Landes und nicht mehrauf die Köpfe der Eingesessenen bezieht. Indessen haben es die Sachsen a) hierin allen Nationen und selbst den Römern zuvorgethan, daß sie eine Art von Menschen erfunden ha- ben, die zweydrittel Leibeigen und eindrittel Frey seyn soll- ten. b) Sie hießen solche Litos und Litones, wovon die heutige Benennung von Leuten ihren Ursprung hat. Man kan sich schwerlich eine feinere Theorie gedenken. Denn der Mann der ein drittel Freyheit hat, ist doch nunmehr im Stande einen Contrakt zu schließen; etwas Echt- und Recht zu haben, für ein drittel Eigenthum c) zu besitzen, und sol- chergestalt auch für ein drittel ein Mitglied des Staats zu seyn. Er hat zugleich seinen ganzen Leib gegen die Willkühr sei- nes Herrn gesichert, weil man nicht auf zwey drittel geschla- gen werden kan, ohne daß nicht das dritte Drittel, worüber der Herr nichts zu sagen hat, mit darunter leide. Auf der andern Seite aber konnte er auch seinem Herrn nicht entlaufen, ihm seine Kinder ohne Freybrief nicht entziehen, und sich sonst einer vollkommenen Freyheit bedienen, wohin- gegen der Leibeigne nach der Theorie seinem Herrn mit Gut und Blut unterworfen ist. Das peculium Servorum in An- a) Die sächsische Nation ist die einzige gewesen, welche die Menschen in vier Classen, nemlich in Edle, gemeine Ei- genthümer, zweydrittel Knechte und ganze Knechte eingetheilet hat. b) De Lito occiso duae tertiae compositionis cedunt domino uno tertia propinquis. V. Lex. Fris. Tit. I. §. 3. Die Folge zieht sich von selbst. c) Es ist vermuthlich noch eine Folge hievon, daß man später
den Leibeignen indirecte zugestanden hat ein drittel ihres Guts zu verschulden, indem sie nicht eher abgeäußert wer- den, als bis sie dieses Drittel überschritten haben. Gedanken uͤber den weſtphaͤl. Leibeigenthum. den hat, die ſich auf den Boden des Landes und nicht mehrauf die Koͤpfe der Eingeſeſſenen bezieht. Indeſſen haben es die Sachſen a) hierin allen Nationen und ſelbſt den Roͤmern zuvorgethan, daß ſie eine Art von Menſchen erfunden ha- ben, die zweydrittel Leibeigen und eindrittel Frey ſeyn ſoll- ten. b) Sie hießen ſolche Litos und Litones, wovon die heutige Benennung von Leuten ihren Urſprung hat. Man kan ſich ſchwerlich eine feinere Theorie gedenken. Denn der Mann der ein drittel Freyheit hat, iſt doch nunmehr im Stande einen Contrakt zu ſchließen; etwas Echt- und Recht zu haben, fuͤr ein drittel Eigenthum c) zu beſitzen, und ſol- chergeſtalt auch fuͤr ein drittel ein Mitglied des Staats zu ſeyn. Er hat zugleich ſeinen ganzen Leib gegen die Willkuͤhr ſei- nes Herrn geſichert, weil man nicht auf zwey drittel geſchla- gen werden kan, ohne daß nicht das dritte Drittel, woruͤber der Herr nichts zu ſagen hat, mit darunter leide. Auf der andern Seite aber konnte er auch ſeinem Herrn nicht entlaufen, ihm ſeine Kinder ohne Freybrief nicht entziehen, und ſich ſonſt einer vollkommenen Freyheit bedienen, wohin- gegen der Leibeigne nach der Theorie ſeinem Herrn mit Gut und Blut unterworfen iſt. Das peculium Servorum in An- a) Die ſaͤchſiſche Nation iſt die einzige geweſen, welche die Menſchen in vier Claſſen, nemlich in Edle, gemeine Ei- genthuͤmer, zweydrittel Knechte und ganze Knechte eingetheilet hat. b) De Lito occiſo duæ tertiæ compoſitionis cedunt domino uno tertia propinquis. V. Lex. Friſ. Tit. I. §. 3. Die Folge zieht ſich von ſelbſt. c) Es iſt vermuthlich noch eine Folge hievon, daß man ſpaͤter
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Gedanken uͤber den weſtphaͤl. Leibeigenthum.
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auf die Koͤpfe der Eingeſeſſenen bezieht. Indeſſen haben es
die Sachſen a) hierin allen Nationen und ſelbſt den Roͤmern
zuvorgethan, daß ſie eine Art von Menſchen erfunden ha-
ben, die zweydrittel Leibeigen und eindrittel Frey ſeyn ſoll-
ten. b) Sie hießen ſolche Litos und Litones, wovon die
heutige Benennung von Leuten ihren Urſprung hat. Man
kan ſich ſchwerlich eine feinere Theorie gedenken. Denn der
Mann der ein drittel Freyheit hat, iſt doch nunmehr im
Stande einen Contrakt zu ſchließen; etwas Echt- und Recht
zu haben, fuͤr ein drittel Eigenthum c) zu beſitzen, und ſol-
chergeſtalt auch fuͤr ein drittel ein Mitglied des Staats zu ſeyn.
Er hat zugleich ſeinen ganzen Leib gegen die Willkuͤhr ſei-
nes Herrn geſichert, weil man nicht auf zwey drittel geſchla-
gen werden kan, ohne daß nicht das dritte Drittel, woruͤber
der Herr nichts zu ſagen hat, mit darunter leide. Auf
der andern Seite aber konnte er auch ſeinem Herrn nicht
entlaufen, ihm ſeine Kinder ohne Freybrief nicht entziehen,
und ſich ſonſt einer vollkommenen Freyheit bedienen, wohin-
gegen der Leibeigne nach der Theorie ſeinem Herrn mit Gut
und Blut unterworfen iſt. Das peculium Servorum in
An-
a) Die ſaͤchſiſche Nation iſt die einzige geweſen, welche die
Menſchen in vier Claſſen, nemlich in Edle, gemeine Ei-
genthuͤmer, zweydrittel Knechte und ganze Knechte
eingetheilet hat.
b) De Lito occiſo duæ tertiæ compoſitionis cedunt
domino uno tertia propinquis. V. Lex. Friſ. Tit. I.
§. 3. Die Folge zieht ſich von ſelbſt.
c) Es iſt vermuthlich noch eine Folge hievon, daß man ſpaͤter
den Leibeignen indirecte zugeſtanden hat ein drittel ihres
Guts zu verſchulden, indem ſie nicht eher abgeaͤußert wer-
den, als bis ſie dieſes Drittel uͤberſchritten haben.
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Zitationshilfe: | Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/129>, abgerufen am 16.02.2025. |