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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Schr. ein. Ehrenmitgl. des löbl. Schneideramts,
habe noch ziemliche Mittel. Er könnte einmal was Rechts
in der Handlung thun, wenn er das Strumpfweben oder ein
ander gutes Handwerk ergriffe. Allein verdenken kann ichs
ihm jetzt nicht, daß er für alles Handwerk einen Abscheu be-
kommen; und ich wäre gewiß Procurator geworden, da ich
in meiner Jugend schon bis in die fünfte Classe studiret hatte,
wenn ich es vorher gewußt hätte, daß es so gehen
würde.

Ich weis gar nicht, was die großen Politici denken; Sie
wollen Künste und Ackerbau heben, und beschimpfen doch
beydes. Sind denn der Hurkinder so viel, oder verdient der
Ehestand so wenig Beförderung, daß andrer ehrlicher Leute
ächte und rechte Kinder ihnen zu Gefallen die Werkstätte räu-
men müssen? Sie werden es doch wohl endlich nicht machen
wollen wie in China, wo die Söhne, wie ich gehöret habe,
ihrer Väter Handwerk lernen müssen? Fast scheinet es mir so;
wenn sie alle unehrliche Leute Zunftfähig machen: so müssen
sie die Menschen nothwendig in die Zünfte zwingen. Denn
aus freyem edlen Triebe wird sich doch wohl keiner in eine be-
schimpfte Gesellschaft geben; und ein China soll ein gleicher
Umstand jenen Zwang veranlasset haben, weil alle Handarbeit
dort verächtlich ist, und die größte Ehre darinn besteht, die
längsten Nägel an der rechten Hand zu haben, als einen Be-
weis, daß man keine Handarbeit verrichte. a)

In meinen Leben hätte ich dieses nicht gedacht. In unsern
Intelligenzblättern ist so vieles von der nothwendigen Ehre
der Handwerker geschrieben. Man hat es so deutlich darinn

ge-
a) C'est a la Chine une marque de Noblesse de porter
les ongles de la main droite fort longs. Voiage de
le Gentil.
p.
56.

Schr. ein. Ehrenmitgl. des loͤbl. Schneideramts,
habe noch ziemliche Mittel. Er koͤnnte einmal was Rechts
in der Handlung thun, wenn er das Strumpfweben oder ein
ander gutes Handwerk ergriffe. Allein verdenken kann ichs
ihm jetzt nicht, daß er fuͤr alles Handwerk einen Abſcheu be-
kommen; und ich waͤre gewiß Procurator geworden, da ich
in meiner Jugend ſchon bis in die fuͤnfte Claſſe ſtudiret hatte,
wenn ich es vorher gewußt haͤtte, daß es ſo gehen
wuͤrde.

Ich weis gar nicht, was die großen Politici denken; Sie
wollen Kuͤnſte und Ackerbau heben, und beſchimpfen doch
beydes. Sind denn der Hurkinder ſo viel, oder verdient der
Eheſtand ſo wenig Befoͤrderung, daß andrer ehrlicher Leute
aͤchte und rechte Kinder ihnen zu Gefallen die Werkſtaͤtte raͤu-
men muͤſſen? Sie werden es doch wohl endlich nicht machen
wollen wie in China, wo die Soͤhne, wie ich gehoͤret habe,
ihrer Vaͤter Handwerk lernen müſſen? Faſt ſcheinet es mir ſo;
wenn ſie alle unehrliche Leute Zunftfaͤhig machen: ſo muͤſſen
ſie die Menſchen nothwendig in die Zuͤnfte zwingen. Denn
aus freyem edlen Triebe wird ſich doch wohl keiner in eine be-
ſchimpfte Geſellſchaft geben; und ein China ſoll ein gleicher
Umſtand jenen Zwang veranlaſſet haben, weil alle Handarbeit
dort veraͤchtlich iſt, und die groͤßte Ehre darinn beſteht, die
laͤngſten Naͤgel an der rechten Hand zu haben, als einen Be-
weis, daß man keine Handarbeit verrichte. a)

In meinen Leben haͤtte ich dieſes nicht gedacht. In unſern
Intelligenzblaͤttern iſt ſo vieles von der nothwendigen Ehre
der Handwerker geſchrieben. Man hat es ſo deutlich darinn

ge-
a) C’eſt à la Chine une marque de Nobleſſe de porter
les ongles de la main droite fort longs. Voiage de
le Gentil.
p.
56.
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[286/0304] Schr. ein. Ehrenmitgl. des loͤbl. Schneideramts, habe noch ziemliche Mittel. Er koͤnnte einmal was Rechts in der Handlung thun, wenn er das Strumpfweben oder ein ander gutes Handwerk ergriffe. Allein verdenken kann ichs ihm jetzt nicht, daß er fuͤr alles Handwerk einen Abſcheu be- kommen; und ich waͤre gewiß Procurator geworden, da ich in meiner Jugend ſchon bis in die fuͤnfte Claſſe ſtudiret hatte, wenn ich es vorher gewußt haͤtte, daß es ſo gehen wuͤrde. Ich weis gar nicht, was die großen Politici denken; Sie wollen Kuͤnſte und Ackerbau heben, und beſchimpfen doch beydes. Sind denn der Hurkinder ſo viel, oder verdient der Eheſtand ſo wenig Befoͤrderung, daß andrer ehrlicher Leute aͤchte und rechte Kinder ihnen zu Gefallen die Werkſtaͤtte raͤu- men muͤſſen? Sie werden es doch wohl endlich nicht machen wollen wie in China, wo die Soͤhne, wie ich gehoͤret habe, ihrer Vaͤter Handwerk lernen müſſen? Faſt ſcheinet es mir ſo; wenn ſie alle unehrliche Leute Zunftfaͤhig machen: ſo muͤſſen ſie die Menſchen nothwendig in die Zuͤnfte zwingen. Denn aus freyem edlen Triebe wird ſich doch wohl keiner in eine be- ſchimpfte Geſellſchaft geben; und ein China ſoll ein gleicher Umſtand jenen Zwang veranlaſſet haben, weil alle Handarbeit dort veraͤchtlich iſt, und die groͤßte Ehre darinn beſteht, die laͤngſten Naͤgel an der rechten Hand zu haben, als einen Be- weis, daß man keine Handarbeit verrichte. a) In meinen Leben haͤtte ich dieſes nicht gedacht. In unſern Intelligenzblaͤttern iſt ſo vieles von der nothwendigen Ehre der Handwerker geſchrieben. Man hat es ſo deutlich darinn ge- a) C’eſt à la Chine une marque de Nobleſſe de porter les ongles de la main droite fort longs. Voiage de le Gentil. p. 56.

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/304>, abgerufen am 22.11.2024.