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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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auf eine neue Weise erzog.
alle Hofleute ihre Jungen eben also erziehen, um sie nicht
auch der Gefahr auszusetzen, dereinst ihre Zähne zu verlie-
ren, oder sich ins Gesicht speyen zu lassen. Und es war
eine Freude anzusehen, was für baumstarke Kerls um den
König waren, und wie sie wehneten, es mit allen Bauern
im Dorfe aufnehmen zu können. Und die Hofdamen folg-
ten ihrem Beyspiele und zogen Dirnen auf die mit einem
Malter Korn wie mit einem Federmuffe davon liefen. Und
der ganze Hof ward so ausgebildet, daß der Mensch am
Hofe, dem Menschen auf dem Lande fast völlig gleich wur-
de. Doch konnten sie diesen nicht ganz erreichen, weil er
der Mutter Natur, im Schoosse saß, und ihr die besten Leh-
ren vom Maule wegnahm.

Und der Gärtner pflanzte dem Könige lauter Eichen in
seinen Garten. Aber der König ward zornig darüber, und
sagte: er hätte seinen Hofgarten dazu, daß darinn Blumen
und Pfirschen und Trauben wachsen sollten; und verwies
es dem Gärtner, daß er ihn mit lauter Eichen besetzte.
Und wie der Gärtner ihm hierauf eine lange Lobrede auf
die Schönheit und Stärke der Eichen hielt; so antwortete
ihm der König, er liebte die Eichen auch, aber nur im Walde,
und in seinem Garten wäre ihm ein Spalierbaum lieber.
Und der Gärtner gehorchte, und der Garten trug Rosen,
und Lilien und Tulipanen, und Zwergbäume von allerhand
Früchten, die lieblich anzusehen, und zu geniessen waren.

Und der König versammlete alle Weisen seines Landes,
und sagte zu ihnen: er hätte einen Hund, eine Katze, eine
Maus und einen Vogel so erzogen, daß sie miteinander in
seinem Zimmer ruhig herum giengen, und aus einem Ge-
schirre zusammen frässen. Und nun wollten böse Leute sa-
gen, es wäre dieses eine schlechte Katze, weil sie ihre Natur
so sehr verändert hätte. Aber die sieben Weisen, welche
gar wohl merkten, daß der König von seinem Hofgesinde

redete,
Q 4

auf eine neue Weiſe erzog.
alle Hofleute ihre Jungen eben alſo erziehen, um ſie nicht
auch der Gefahr auszuſetzen, dereinſt ihre Zaͤhne zu verlie-
ren, oder ſich ins Geſicht ſpeyen zu laſſen. Und es war
eine Freude anzuſehen, was fuͤr baumſtarke Kerls um den
Koͤnig waren, und wie ſie wehneten, es mit allen Bauern
im Dorfe aufnehmen zu koͤnnen. Und die Hofdamen folg-
ten ihrem Beyſpiele und zogen Dirnen auf die mit einem
Malter Korn wie mit einem Federmuffe davon liefen. Und
der ganze Hof ward ſo ausgebildet, daß der Menſch am
Hofe, dem Menſchen auf dem Lande faſt voͤllig gleich wur-
de. Doch konnten ſie dieſen nicht ganz erreichen, weil er
der Mutter Natur, im Schooſſe ſaß, und ihr die beſten Leh-
ren vom Maule wegnahm.

Und der Gaͤrtner pflanzte dem Koͤnige lauter Eichen in
ſeinen Garten. Aber der Koͤnig ward zornig daruͤber, und
ſagte: er haͤtte ſeinen Hofgarten dazu, daß darinn Blumen
und Pfirſchen und Trauben wachſen ſollten; und verwies
es dem Gaͤrtner, daß er ihn mit lauter Eichen beſetzte.
Und wie der Gaͤrtner ihm hierauf eine lange Lobrede auf
die Schoͤnheit und Staͤrke der Eichen hielt; ſo antwortete
ihm der Koͤnig, er liebte die Eichen auch, aber nur im Walde,
und in ſeinem Garten waͤre ihm ein Spalierbaum lieber.
Und der Gaͤrtner gehorchte, und der Garten trug Roſen,
und Lilien und Tulipanen, und Zwergbaͤume von allerhand
Fruͤchten, die lieblich anzuſehen, und zu genieſſen waren.

Und der Koͤnig verſammlete alle Weiſen ſeines Landes,
und ſagte zu ihnen: er haͤtte einen Hund, eine Katze, eine
Maus und einen Vogel ſo erzogen, daß ſie miteinander in
ſeinem Zimmer ruhig herum giengen, und aus einem Ge-
ſchirre zuſammen fraͤſſen. Und nun wollten boͤſe Leute ſa-
gen, es waͤre dieſes eine ſchlechte Katze, weil ſie ihre Natur
ſo ſehr veraͤndert haͤtte. Aber die ſieben Weiſen, welche
gar wohl merkten, daß der Koͤnig von ſeinem Hofgeſinde

redete,
Q 4
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[247/0261] auf eine neue Weiſe erzog. alle Hofleute ihre Jungen eben alſo erziehen, um ſie nicht auch der Gefahr auszuſetzen, dereinſt ihre Zaͤhne zu verlie- ren, oder ſich ins Geſicht ſpeyen zu laſſen. Und es war eine Freude anzuſehen, was fuͤr baumſtarke Kerls um den Koͤnig waren, und wie ſie wehneten, es mit allen Bauern im Dorfe aufnehmen zu koͤnnen. Und die Hofdamen folg- ten ihrem Beyſpiele und zogen Dirnen auf die mit einem Malter Korn wie mit einem Federmuffe davon liefen. Und der ganze Hof ward ſo ausgebildet, daß der Menſch am Hofe, dem Menſchen auf dem Lande faſt voͤllig gleich wur- de. Doch konnten ſie dieſen nicht ganz erreichen, weil er der Mutter Natur, im Schooſſe ſaß, und ihr die beſten Leh- ren vom Maule wegnahm. Und der Gaͤrtner pflanzte dem Koͤnige lauter Eichen in ſeinen Garten. Aber der Koͤnig ward zornig daruͤber, und ſagte: er haͤtte ſeinen Hofgarten dazu, daß darinn Blumen und Pfirſchen und Trauben wachſen ſollten; und verwies es dem Gaͤrtner, daß er ihn mit lauter Eichen beſetzte. Und wie der Gaͤrtner ihm hierauf eine lange Lobrede auf die Schoͤnheit und Staͤrke der Eichen hielt; ſo antwortete ihm der Koͤnig, er liebte die Eichen auch, aber nur im Walde, und in ſeinem Garten waͤre ihm ein Spalierbaum lieber. Und der Gaͤrtner gehorchte, und der Garten trug Roſen, und Lilien und Tulipanen, und Zwergbaͤume von allerhand Fruͤchten, die lieblich anzuſehen, und zu genieſſen waren. Und der Koͤnig verſammlete alle Weiſen ſeines Landes, und ſagte zu ihnen: er haͤtte einen Hund, eine Katze, eine Maus und einen Vogel ſo erzogen, daß ſie miteinander in ſeinem Zimmer ruhig herum giengen, und aus einem Ge- ſchirre zuſammen fraͤſſen. Und nun wollten boͤſe Leute ſa- gen, es waͤre dieſes eine ſchlechte Katze, weil ſie ihre Natur ſo ſehr veraͤndert haͤtte. Aber die ſieben Weiſen, welche gar wohl merkten, daß der Koͤnig von ſeinem Hofgeſinde redete, Q 4

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/261>, abgerufen am 28.11.2024.