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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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einer christlichen und bürgerlichen Ehe.

Hieraus sind aber verschiedene Verwirrungen ent-
standen, die wohl verdienen aus einander gesetzt zu wer-
den. Die kirchliche Ehe ist immer noch von der bürger-
lichen unterschieden, und jene führt bey weitem nicht in
allen Fällen alle die Folgen mit sich, welche beyde zu-
sammen würken. Man wird solches am besten aus fol-
genden Beyspielen beurtheilen.

Wenn zwo Personen sich, wie es oft geschieht, als
Vagabunden oder pro vagis copuliren lassen: so sind sie
unstreitig christlich verbunden, und leben in einer kirch-
lich rechtmäßigen Ehe. Allein sie können nun nicht aus
dem Stande der Vagabunden, welchen sie erwählet ha-
ben, zurücktreten, ohne von irgend einer Landes-Obrigkeit
als Unterthanen aufgenommen zu werden. Geschieht die-
ses, so erhält dadurch die kirchliche Ehe das Siegel der
bürgerlichen Gültigkeit. Geschieht es nicht: so bleiben
sie Wildfänge, der überlebende Theil kann sich so wenig
auf ein kayserliches Recht als auf ein Landrecht bezie-
hen; und die Kinder können ihre Eltern nicht beerben.
Die kirchliche Ehe ist folglich hier ohne alle bürgerliche
Würkung.

Eben so verhält es sich mit denen, die sich zwar nicht
als Vagabunden, aber doch auch nicht von dem von der
Obrigkeit dazu gesetzten Pfarrer, oder mit dessen oder
der Obrigkeit Erlaubnis von einem andern copuliren lassen.
Dem fremden Pfarrer hat die Obrigkeit nie das Recht
übergeben, zween Eheleuten alle bürgerliche Rechte mit-
zutheilen, und so kann dieser ihnen nur die kirchlichen
geben. Jhre Beywohnung ist Pflicht und ohne Sünde;
ihre Kinder sind kirchlich echt, aber in Ansehung des Wit-
thums und der Erbfolge kommt ihnen weder Land- noch
Stadtrecht zu statten, und wo sie nicht irgendwo als Un-
terthanen aufgenommen werden, leben sie im Stande

der
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einer chriſtlichen und buͤrgerlichen Ehe.

Hieraus ſind aber verſchiedene Verwirrungen ent-
ſtanden, die wohl verdienen aus einander geſetzt zu wer-
den. Die kirchliche Ehe iſt immer noch von der buͤrger-
lichen unterſchieden, und jene fuͤhrt bey weitem nicht in
allen Faͤllen alle die Folgen mit ſich, welche beyde zu-
ſammen wuͤrken. Man wird ſolches am beſten aus fol-
genden Beyſpielen beurtheilen.

Wenn zwo Perſonen ſich, wie es oft geſchieht, als
Vagabunden oder pro vagis copuliren laſſen: ſo ſind ſie
unſtreitig chriſtlich verbunden, und leben in einer kirch-
lich rechtmaͤßigen Ehe. Allein ſie koͤnnen nun nicht aus
dem Stande der Vagabunden, welchen ſie erwaͤhlet ha-
ben, zuruͤcktreten, ohne von irgend einer Landes-Obrigkeit
als Unterthanen aufgenommen zu werden. Geſchieht die-
ſes, ſo erhaͤlt dadurch die kirchliche Ehe das Siegel der
buͤrgerlichen Guͤltigkeit. Geſchieht es nicht: ſo bleiben
ſie Wildfaͤnge, der uͤberlebende Theil kann ſich ſo wenig
auf ein kayſerliches Recht als auf ein Landrecht bezie-
hen; und die Kinder koͤnnen ihre Eltern nicht beerben.
Die kirchliche Ehe iſt folglich hier ohne alle buͤrgerliche
Wuͤrkung.

Eben ſo verhaͤlt es ſich mit denen, die ſich zwar nicht
als Vagabunden, aber doch auch nicht von dem von der
Obrigkeit dazu geſetzten Pfarrer, oder mit deſſen oder
der Obrigkeit Erlaubnis von einem andern copuliren laſſen.
Dem fremden Pfarrer hat die Obrigkeit nie das Recht
uͤbergeben, zween Eheleuten alle buͤrgerliche Rechte mit-
zutheilen, und ſo kann dieſer ihnen nur die kirchlichen
geben. Jhre Beywohnung iſt Pflicht und ohne Suͤnde;
ihre Kinder ſind kirchlich echt, aber in Anſehung des Wit-
thums und der Erbfolge kommt ihnen weder Land- noch
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[119/0131] einer chriſtlichen und buͤrgerlichen Ehe. Hieraus ſind aber verſchiedene Verwirrungen ent- ſtanden, die wohl verdienen aus einander geſetzt zu wer- den. Die kirchliche Ehe iſt immer noch von der buͤrger- lichen unterſchieden, und jene fuͤhrt bey weitem nicht in allen Faͤllen alle die Folgen mit ſich, welche beyde zu- ſammen wuͤrken. Man wird ſolches am beſten aus fol- genden Beyſpielen beurtheilen. Wenn zwo Perſonen ſich, wie es oft geſchieht, als Vagabunden oder pro vagis copuliren laſſen: ſo ſind ſie unſtreitig chriſtlich verbunden, und leben in einer kirch- lich rechtmaͤßigen Ehe. Allein ſie koͤnnen nun nicht aus dem Stande der Vagabunden, welchen ſie erwaͤhlet ha- ben, zuruͤcktreten, ohne von irgend einer Landes-Obrigkeit als Unterthanen aufgenommen zu werden. Geſchieht die- ſes, ſo erhaͤlt dadurch die kirchliche Ehe das Siegel der buͤrgerlichen Guͤltigkeit. Geſchieht es nicht: ſo bleiben ſie Wildfaͤnge, der uͤberlebende Theil kann ſich ſo wenig auf ein kayſerliches Recht als auf ein Landrecht bezie- hen; und die Kinder koͤnnen ihre Eltern nicht beerben. Die kirchliche Ehe iſt folglich hier ohne alle buͤrgerliche Wuͤrkung. Eben ſo verhaͤlt es ſich mit denen, die ſich zwar nicht als Vagabunden, aber doch auch nicht von dem von der Obrigkeit dazu geſetzten Pfarrer, oder mit deſſen oder der Obrigkeit Erlaubnis von einem andern copuliren laſſen. Dem fremden Pfarrer hat die Obrigkeit nie das Recht uͤbergeben, zween Eheleuten alle buͤrgerliche Rechte mit- zutheilen, und ſo kann dieſer ihnen nur die kirchlichen geben. Jhre Beywohnung iſt Pflicht und ohne Suͤnde; ihre Kinder ſind kirchlich echt, aber in Anſehung des Wit- thums und der Erbfolge kommt ihnen weder Land- noch Stadtrecht zu ſtatten, und wo ſie nicht irgendwo als Un- terthanen aufgenommen werden, leben ſie im Stande der H 4

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/131>, abgerufen am 24.11.2024.