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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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Von Verwandlung der Erbesbesetzung

Die Römer hatten hier zuerst, wie sie ihre ländli-
chen Begriffe mit in die Stadt brachten, ihre Suitet,
und Emancipation. So bald ein Kind aus der Suitet
trat, verlohr er sein Erbrecht. -- Gleiche Begriffe hat-
ten die Deutschen, der Erbe mußte seyn hörig, huldig
und ledig, und dieses gieng so weit, daß ein Bruder in
einer Hode oder Hulde seinen Bruder in einer andern
nicht erben konnte. Keine Erbschaft folgte aus der Stadt
oder der Bürgerhulde aufs Land, aus einer Hode in die
andre, aus einer Hörigkeit in die andre. So wenig jetzt
ein freyer Sohn seinen leibeignen Vater beerbt, eben so
wenig erbten emancipirte, aus der Suitet, dem Gehör
oder der Hulde entlassene Kinder ihre Eltern. Hier im
Stifte ward dieses Recht zuerst durch die mit dem Bi-
schofe Conrad von Diebholz im Jahr 1482 geschlossene
Capitulation §. 12. aufgehoben; und auf demselben be-
ruhet noch der Abschoß.

Auf diese Begriffe leitete die Natur Menschen, wel-
che die Schwierigkeit fühlten, die ich vorhin angeführt
habe, und die sie gern vermeiden wollten. Begriffe die
das große Gebäude der Hörigkeit getragen haben, was
ehedem über den Boden von ganz Europa hervorragte,
und die in manchen Köpfen jetzt für redende Urkunden der
Leibeigenschaft gelten. Allein eben diese Begriffe sind jetzt,
da sie der Prätor zu Rom, und der Geldreichthum, wel-
cher bald den größten Theil der Erbschaften ausmachte,
überall verbannt hat, so wohl ihrer großen Feinheit we-
gen, als weil sich alles in Territorialunterthanen verwan-
delt hat, ziemlich unbrauchbar. Sie sind das feinste
Kunstgewebe des menschlichen Verstandes, der nur das
Band der Hulde zwischen Haupt und Gliedern kannte,
und man müßte sie, wie ehedem täglich behandeln, um
sie in Uebung und Anschauung zu unterhalten.

Jn
Von Verwandlung der Erbesbeſetzung

Die Roͤmer hatten hier zuerſt, wie ſie ihre laͤndli-
chen Begriffe mit in die Stadt brachten, ihre Suitet,
und Emancipation. So bald ein Kind aus der Suitet
trat, verlohr er ſein Erbrecht. — Gleiche Begriffe hat-
ten die Deutſchen, der Erbe mußte ſeyn hoͤrig, huldig
und ledig, und dieſes gieng ſo weit, daß ein Bruder in
einer Hode oder Hulde ſeinen Bruder in einer andern
nicht erben konnte. Keine Erbſchaft folgte aus der Stadt
oder der Buͤrgerhulde aufs Land, aus einer Hode in die
andre, aus einer Hoͤrigkeit in die andre. So wenig jetzt
ein freyer Sohn ſeinen leibeignen Vater beerbt, eben ſo
wenig erbten emancipirte, aus der Suitet, dem Gehoͤr
oder der Hulde entlaſſene Kinder ihre Eltern. Hier im
Stifte ward dieſes Recht zuerſt durch die mit dem Bi-
ſchofe Conrad von Diebholz im Jahr 1482 geſchloſſene
Capitulation §. 12. aufgehoben; und auf demſelben be-
ruhet noch der Abſchoß.

Auf dieſe Begriffe leitete die Natur Menſchen, wel-
che die Schwierigkeit fuͤhlten, die ich vorhin angefuͤhrt
habe, und die ſie gern vermeiden wollten. Begriffe die
das große Gebaͤude der Hoͤrigkeit getragen haben, was
ehedem uͤber den Boden von ganz Europa hervorragte,
und die in manchen Koͤpfen jetzt fuͤr redende Urkunden der
Leibeigenſchaft gelten. Allein eben dieſe Begriffe ſind jetzt,
da ſie der Praͤtor zu Rom, und der Geldreichthum, wel-
cher bald den groͤßten Theil der Erbſchaften ausmachte,
uͤberall verbannt hat, ſo wohl ihrer großen Feinheit we-
gen, als weil ſich alles in Territorialunterthanen verwan-
delt hat, ziemlich unbrauchbar. Sie ſind das feinſte
Kunſtgewebe des menſchlichen Verſtandes, der nur das
Band der Hulde zwiſchen Haupt und Gliedern kannte,
und man muͤßte ſie, wie ehedem taͤglich behandeln, um
ſie in Uebung und Anſchauung zu unterhalten.

Jn
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[330/0342] Von Verwandlung der Erbesbeſetzung Die Roͤmer hatten hier zuerſt, wie ſie ihre laͤndli- chen Begriffe mit in die Stadt brachten, ihre Suitet, und Emancipation. So bald ein Kind aus der Suitet trat, verlohr er ſein Erbrecht. — Gleiche Begriffe hat- ten die Deutſchen, der Erbe mußte ſeyn hoͤrig, huldig und ledig, und dieſes gieng ſo weit, daß ein Bruder in einer Hode oder Hulde ſeinen Bruder in einer andern nicht erben konnte. Keine Erbſchaft folgte aus der Stadt oder der Buͤrgerhulde aufs Land, aus einer Hode in die andre, aus einer Hoͤrigkeit in die andre. So wenig jetzt ein freyer Sohn ſeinen leibeignen Vater beerbt, eben ſo wenig erbten emancipirte, aus der Suitet, dem Gehoͤr oder der Hulde entlaſſene Kinder ihre Eltern. Hier im Stifte ward dieſes Recht zuerſt durch die mit dem Bi- ſchofe Conrad von Diebholz im Jahr 1482 geſchloſſene Capitulation §. 12. aufgehoben; und auf demſelben be- ruhet noch der Abſchoß. Auf dieſe Begriffe leitete die Natur Menſchen, wel- che die Schwierigkeit fuͤhlten, die ich vorhin angefuͤhrt habe, und die ſie gern vermeiden wollten. Begriffe die das große Gebaͤude der Hoͤrigkeit getragen haben, was ehedem uͤber den Boden von ganz Europa hervorragte, und die in manchen Koͤpfen jetzt fuͤr redende Urkunden der Leibeigenſchaft gelten. Allein eben dieſe Begriffe ſind jetzt, da ſie der Praͤtor zu Rom, und der Geldreichthum, wel- cher bald den groͤßten Theil der Erbſchaften ausmachte, uͤberall verbannt hat, ſo wohl ihrer großen Feinheit we- gen, als weil ſich alles in Territorialunterthanen verwan- delt hat, ziemlich unbrauchbar. Sie ſind das feinſte Kunſtgewebe des menſchlichen Verſtandes, der nur das Band der Hulde zwiſchen Haupt und Gliedern kannte, und man muͤßte ſie, wie ehedem taͤglich behandeln, um ſie in Uebung und Anſchauung zu unterhalten. Jn

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/342>, abgerufen am 25.11.2024.