Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.Was ist die Liebe zum Vaterlande? dem Schüler geworden; der andre will mit seinem Glückeeiner Geliebten die ihn ehmals verachtet hat, noch eine Thräne der Reue abzwingen; der dritte will seinen Eltern eine unvermuthete Freude machen, und alle hoffen auf Bewunderung, oder rechnen auf die Erneuerung einer alten Erinnerung; hier lebt noch ein Neider, worüber man triumphiren kann, dort sperret die Nachbarschaft erstaunte Augen auf; man ist dem einen als ein neues Phenomen, und dem andern als ein alter Bekannter willkommen; höchstens eilet man in sein Baterland um noch ein Unrecht, was ihm wiederfährt, aus Rechtha- berey abwehren zu helfen, oder in demselben ein erlern- tes Geschäfte mit mehrerem Vortheil zu treiben. Aber keiner denkt auch nur von weitem an die Verbindlichkei- ten so er seinem Vaterlande schuldig ist; keiner kehrt aus Liebe zum Lande oder zu seiner Verfassung zurück, und keiner mahlt sich dasselbe reitzender, als ein fremdes Land, wenn es ihn verhindert, seine Knöpfe und Schnal- len zu zeigen, die in einem armen Lande immer besser glänzen, als in einem reichen, wo tausende sie besser haben. XX. Der Herr Sohn ist schlau. Schreiben an die gnädige Frau Mutter. Nein! Nein! Gnädige Frau, Jhr Herr Sohn wird und
Was iſt die Liebe zum Vaterlande? dem Schuͤler geworden; der andre will mit ſeinem Gluͤckeeiner Geliebten die ihn ehmals verachtet hat, noch eine Thraͤne der Reue abzwingen; der dritte will ſeinen Eltern eine unvermuthete Freude machen, und alle hoffen auf Bewunderung, oder rechnen auf die Erneuerung einer alten Erinnerung; hier lebt noch ein Neider, woruͤber man triumphiren kann, dort ſperret die Nachbarſchaft erſtaunte Augen auf; man iſt dem einen als ein neues Phenomen, und dem andern als ein alter Bekannter willkommen; hoͤchſtens eilet man in ſein Baterland um noch ein Unrecht, was ihm wiederfaͤhrt, aus Rechtha- berey abwehren zu helfen, oder in demſelben ein erlern- tes Geſchaͤfte mit mehrerem Vortheil zu treiben. Aber keiner denkt auch nur von weitem an die Verbindlichkei- ten ſo er ſeinem Vaterlande ſchuldig iſt; keiner kehrt aus Liebe zum Lande oder zu ſeiner Verfaſſung zuruͤck, und keiner mahlt ſich daſſelbe reitzender, als ein fremdes Land, wenn es ihn verhindert, ſeine Knoͤpfe und Schnal- len zu zeigen, die in einem armen Lande immer beſſer glaͤnzen, als in einem reichen, wo tauſende ſie beſſer haben. XX. Der Herr Sohn iſt ſchlau. Schreiben an die gnaͤdige Frau Mutter. Nein! Nein! Gnaͤdige Frau, Jhr Herr Sohn wird und
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0096" n="84"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Was iſt die Liebe zum Vaterlande?</hi></fw><lb/> dem Schuͤler geworden; der andre will mit ſeinem Gluͤcke<lb/> einer Geliebten die ihn ehmals verachtet hat, noch eine<lb/> Thraͤne der Reue abzwingen; der dritte will ſeinen Eltern<lb/> eine unvermuthete Freude machen, und alle hoffen auf<lb/> Bewunderung, oder rechnen auf die Erneuerung einer<lb/> alten Erinnerung; hier lebt noch ein Neider, woruͤber<lb/> man triumphiren kann, dort ſperret die Nachbarſchaft<lb/> erſtaunte Augen auf; man iſt dem einen als ein neues<lb/> Phenomen, und dem andern als ein alter Bekannter<lb/> willkommen; hoͤchſtens eilet man in ſein Baterland um<lb/> noch ein Unrecht, was ihm wiederfaͤhrt, aus Rechtha-<lb/> berey abwehren zu helfen, oder in demſelben ein erlern-<lb/> tes Geſchaͤfte mit mehrerem Vortheil zu treiben. Aber<lb/> keiner denkt auch nur von weitem an die Verbindlichkei-<lb/> ten ſo er ſeinem Vaterlande ſchuldig iſt; keiner kehrt aus<lb/> Liebe zum Lande oder zu ſeiner Verfaſſung zuruͤck, und<lb/> keiner mahlt ſich daſſelbe reitzender, als ein fremdes<lb/> Land, wenn es ihn verhindert, ſeine Knoͤpfe und Schnal-<lb/> len zu zeigen, die in einem armen Lande immer beſſer<lb/> glaͤnzen, als in einem reichen, wo tauſende ſie beſſer<lb/> haben.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XX.</hi><lb/> Der Herr Sohn iſt ſchlau.</hi> </head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b">Schreiben an die gnaͤdige Frau Mutter.</hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#in">N</hi>ein! Nein! Gnaͤdige Frau, Jhr Herr Sohn wird<lb/> ſein Gluͤck in unſerm Dienſte nicht machen, wenn<lb/> er uͤberall Verſtand <hi rendition="#fr">zeigen</hi> will. Jch bin ein alter Mann<lb/> <fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [84/0096]
Was iſt die Liebe zum Vaterlande?
dem Schuͤler geworden; der andre will mit ſeinem Gluͤcke
einer Geliebten die ihn ehmals verachtet hat, noch eine
Thraͤne der Reue abzwingen; der dritte will ſeinen Eltern
eine unvermuthete Freude machen, und alle hoffen auf
Bewunderung, oder rechnen auf die Erneuerung einer
alten Erinnerung; hier lebt noch ein Neider, woruͤber
man triumphiren kann, dort ſperret die Nachbarſchaft
erſtaunte Augen auf; man iſt dem einen als ein neues
Phenomen, und dem andern als ein alter Bekannter
willkommen; hoͤchſtens eilet man in ſein Baterland um
noch ein Unrecht, was ihm wiederfaͤhrt, aus Rechtha-
berey abwehren zu helfen, oder in demſelben ein erlern-
tes Geſchaͤfte mit mehrerem Vortheil zu treiben. Aber
keiner denkt auch nur von weitem an die Verbindlichkei-
ten ſo er ſeinem Vaterlande ſchuldig iſt; keiner kehrt aus
Liebe zum Lande oder zu ſeiner Verfaſſung zuruͤck, und
keiner mahlt ſich daſſelbe reitzender, als ein fremdes
Land, wenn es ihn verhindert, ſeine Knoͤpfe und Schnal-
len zu zeigen, die in einem armen Lande immer beſſer
glaͤnzen, als in einem reichen, wo tauſende ſie beſſer
haben.
XX.
Der Herr Sohn iſt ſchlau.
Schreiben an die gnaͤdige Frau Mutter.
Nein! Nein! Gnaͤdige Frau, Jhr Herr Sohn wird
ſein Gluͤck in unſerm Dienſte nicht machen, wenn
er uͤberall Verſtand zeigen will. Jch bin ein alter Mann
und
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |