Neues bei. Theils machte er darauf aufmerksam, daß die physische Beschaffenheit des Wohnortes von bestimmendem Ein- flusse auf die geistigen Eigenschaften der Völker sei, somit auch auf ihre staatlichen Bedürfnisse und Leistungsfähigkeiten; theils suchte er für die verschiedenen Staatsformen die entsprechende Sinnesweise der Völker auf; theils endlich lehrte er die Staats- gewalt spalten und jede ihrer Wirkungsarten, zum Schutze des Rechtes und der Freiheit, abgesonderten Personen übertragen. Auch war er es, welcher die Verbindung einer Volksvertretung mit dem erblichen Königthume als die beste Form des neuzei- tigen Staates anpries, und dadurch zu ihrer Verbreitung mehr als irgend ein Anderer beitrug. -- Rousseau dagegen (haupt- sächlich in seiner Schrift Du contrat social, 1752) führte die Lehre von der ursprünglichen Freiheit und Gleichheit der Menschen und von der Gründung des Staates durch Vertrag mit Bered- samkeit und anscheinend scharfer Logik bis zu ihren äußersten Folgesätzen durch. Ihm ist der Zweck des Staates das gleiche Wohl Aller, das Recht des Volkes auf Freiheit aber unver- äußerlich. -- Die Wirkung beider Schriftsteller war eben so tief als anhaltend, und sie zeigt sich namentlich sehr deutlich in der zahlreichen Literatur, welche die große französische Staatsumwälzung gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts hervorrief. Die Wortführer der gemäßigteren Ansicht, wie z. B. Necker, Mounier, Malouet, schlossen sich wesentlich an Montesquieu an; die Anhänger des völligen Umsturzes und der Republik dagegen an Rousseau, so namentlich Sieyes, Condorcet, Target, Gudin. Unter dem Kaiserreiche war eine Entwickelung des philosophischen Staatsrechtes aus äußeren Gründen nicht möglich; wohl aber brachte die Rückkehr der Bourbonen einen großen Aufschwung, und zwar nach zwei verschiedenen Seiten hin. Einmal nämlich entstand eine wissen- schaftlich weit ernstere, politisch umsichtigere und namentlich in
Neues bei. Theils machte er darauf aufmerkſam, daß die phyſiſche Beſchaffenheit des Wohnortes von beſtimmendem Ein- fluſſe auf die geiſtigen Eigenſchaften der Völker ſei, ſomit auch auf ihre ſtaatlichen Bedürfniſſe und Leiſtungsfähigkeiten; theils ſuchte er für die verſchiedenen Staatsformen die entſprechende Sinnesweiſe der Völker auf; theils endlich lehrte er die Staats- gewalt ſpalten und jede ihrer Wirkungsarten, zum Schutze des Rechtes und der Freiheit, abgeſonderten Perſonen übertragen. Auch war er es, welcher die Verbindung einer Volksvertretung mit dem erblichen Königthume als die beſte Form des neuzei- tigen Staates anpries, und dadurch zu ihrer Verbreitung mehr als irgend ein Anderer beitrug. — Rouſſeau dagegen (haupt- ſächlich in ſeiner Schrift Du contrat social, 1752) führte die Lehre von der urſprünglichen Freiheit und Gleichheit der Menſchen und von der Gründung des Staates durch Vertrag mit Bered- ſamkeit und anſcheinend ſcharfer Logik bis zu ihren äußerſten Folgeſätzen durch. Ihm iſt der Zweck des Staates das gleiche Wohl Aller, das Recht des Volkes auf Freiheit aber unver- äußerlich. — Die Wirkung beider Schriftſteller war eben ſo tief als anhaltend, und ſie zeigt ſich namentlich ſehr deutlich in der zahlreichen Literatur, welche die große franzöſiſche Staatsumwälzung gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts hervorrief. Die Wortführer der gemäßigteren Anſicht, wie z. B. Necker, Mounier, Malouet, ſchloſſen ſich weſentlich an Montesquieu an; die Anhänger des völligen Umſturzes und der Republik dagegen an Rouſſeau, ſo namentlich Sieyes, Condorcet, Target, Gudin. Unter dem Kaiſerreiche war eine Entwickelung des philoſophiſchen Staatsrechtes aus äußeren Gründen nicht möglich; wohl aber brachte die Rückkehr der Bourbonen einen großen Aufſchwung, und zwar nach zwei verſchiedenen Seiten hin. Einmal nämlich entſtand eine wiſſen- ſchaftlich weit ernſtere, politiſch umſichtigere und namentlich in
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><p><pbfacs="#f0196"n="182"/>
Neues bei. Theils machte er darauf aufmerkſam, daß die<lb/>
phyſiſche Beſchaffenheit des Wohnortes von beſtimmendem Ein-<lb/>
fluſſe auf die geiſtigen Eigenſchaften der Völker ſei, ſomit auch<lb/>
auf ihre ſtaatlichen Bedürfniſſe und Leiſtungsfähigkeiten; theils<lb/>ſuchte er für die verſchiedenen Staatsformen die entſprechende<lb/>
Sinnesweiſe der Völker auf; theils endlich lehrte er die Staats-<lb/>
gewalt ſpalten und jede ihrer Wirkungsarten, zum Schutze<lb/>
des Rechtes und der Freiheit, abgeſonderten Perſonen übertragen.<lb/>
Auch war er es, welcher die Verbindung einer Volksvertretung<lb/>
mit dem erblichen Königthume als die beſte Form des neuzei-<lb/>
tigen Staates anpries, und dadurch zu ihrer Verbreitung mehr<lb/>
als irgend ein Anderer beitrug. — Rouſſeau dagegen (haupt-<lb/>ſächlich in ſeiner Schrift <hirendition="#aq">Du contrat social,</hi> 1752) führte die<lb/>
Lehre von der urſprünglichen Freiheit und Gleichheit der Menſchen<lb/>
und von der Gründung des Staates durch Vertrag mit Bered-<lb/>ſamkeit und anſcheinend ſcharfer Logik bis zu ihren äußerſten<lb/>
Folgeſätzen durch. Ihm iſt der Zweck des Staates das gleiche<lb/>
Wohl Aller, das Recht des Volkes auf Freiheit aber unver-<lb/>
äußerlich. — Die Wirkung beider Schriftſteller war eben ſo<lb/>
tief als anhaltend, und ſie zeigt ſich namentlich ſehr deutlich<lb/>
in der zahlreichen Literatur, welche die große franzöſiſche<lb/>
Staatsumwälzung gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts<lb/>
hervorrief. Die Wortführer der gemäßigteren Anſicht, wie z. B.<lb/><hirendition="#g">Necker, Mounier, Malouet</hi>, ſchloſſen ſich weſentlich an<lb/>
Montesquieu an; die Anhänger des völligen Umſturzes und<lb/>
der Republik dagegen an Rouſſeau, ſo namentlich <hirendition="#g">Sieyes,<lb/>
Condorcet, Target, Gudin</hi>. Unter dem Kaiſerreiche war<lb/>
eine Entwickelung des philoſophiſchen Staatsrechtes aus äußeren<lb/>
Gründen nicht möglich; wohl aber brachte die Rückkehr der<lb/>
Bourbonen einen großen Aufſchwung, und zwar nach zwei<lb/>
verſchiedenen Seiten hin. Einmal nämlich entſtand eine wiſſen-<lb/>ſchaftlich weit ernſtere, politiſch umſichtigere und namentlich in<lb/></p></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[182/0196]
Neues bei. Theils machte er darauf aufmerkſam, daß die
phyſiſche Beſchaffenheit des Wohnortes von beſtimmendem Ein-
fluſſe auf die geiſtigen Eigenſchaften der Völker ſei, ſomit auch
auf ihre ſtaatlichen Bedürfniſſe und Leiſtungsfähigkeiten; theils
ſuchte er für die verſchiedenen Staatsformen die entſprechende
Sinnesweiſe der Völker auf; theils endlich lehrte er die Staats-
gewalt ſpalten und jede ihrer Wirkungsarten, zum Schutze
des Rechtes und der Freiheit, abgeſonderten Perſonen übertragen.
Auch war er es, welcher die Verbindung einer Volksvertretung
mit dem erblichen Königthume als die beſte Form des neuzei-
tigen Staates anpries, und dadurch zu ihrer Verbreitung mehr
als irgend ein Anderer beitrug. — Rouſſeau dagegen (haupt-
ſächlich in ſeiner Schrift Du contrat social, 1752) führte die
Lehre von der urſprünglichen Freiheit und Gleichheit der Menſchen
und von der Gründung des Staates durch Vertrag mit Bered-
ſamkeit und anſcheinend ſcharfer Logik bis zu ihren äußerſten
Folgeſätzen durch. Ihm iſt der Zweck des Staates das gleiche
Wohl Aller, das Recht des Volkes auf Freiheit aber unver-
äußerlich. — Die Wirkung beider Schriftſteller war eben ſo
tief als anhaltend, und ſie zeigt ſich namentlich ſehr deutlich
in der zahlreichen Literatur, welche die große franzöſiſche
Staatsumwälzung gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts
hervorrief. Die Wortführer der gemäßigteren Anſicht, wie z. B.
Necker, Mounier, Malouet, ſchloſſen ſich weſentlich an
Montesquieu an; die Anhänger des völligen Umſturzes und
der Republik dagegen an Rouſſeau, ſo namentlich Sieyes,
Condorcet, Target, Gudin. Unter dem Kaiſerreiche war
eine Entwickelung des philoſophiſchen Staatsrechtes aus äußeren
Gründen nicht möglich; wohl aber brachte die Rückkehr der
Bourbonen einen großen Aufſchwung, und zwar nach zwei
verſchiedenen Seiten hin. Einmal nämlich entſtand eine wiſſen-
ſchaftlich weit ernſtere, politiſch umſichtigere und namentlich in
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/196>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.