Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.Ministerverantwortlichkeit; ferner die Bestimmung über Gleichheit 1) Diese beiderseitige Begriffsbestimmung ist schon so häufig, wenn auch mit verschiedenem Wortausdrucke, ausgesprochen worden, daß sie als allgemein angenommen betrachtet werden kann. Man vergl. z. B. Savigny, System des r. R., Bd. I, S. 22 fg.; Puchta, Cursus der Institutionen, Bd. I, § 21; Stahl, Rechtsphilosophie, 2. Aufl., Bd. II, 1, S. 239; Zachariä, H. A., D. Staatsrecht, 2. Aufl., Bd. I, S. 2 fg. -- Zuwei- len werden zur näheren Erläuterung zwei Regeln über den Unterschied zwischen Staats- und Privatrecht aufgestellt: 1. das Privatrecht könne nach dem Willen der Betheiligten geändert werden, das Staatsrecht aber nicht; 2. im Staatsrechte sei der Berechtigte verpflichtet, sein Recht auszuüben, nicht aber so im Privatrechte. Vgl. Bluntschli, Allgemeines Staatsrecht, 2. Aufl., S. 3; Zöpfl, d. Staatsrecht, 4. Aufl., Bd. I, S. 27; Gerber, Ueber öffentliche Rechte, S. 29 fg. Diese Regeln haben nun allerdings eine theilweise Wahrheit; allein sie sind nicht richtig ausgedrückt, und es finden viele Ausnahmen statt. -- Zu 1. Es ist ein, mindestens theilweise, unrichtiger Ausdruck, daß das Privatrecht vom Einzelnen geändert werden könne. Der Einzelne kann allerdings in der Regel sein subjectives Recht nach Willen ändern, einseitig oder durch Vertrag; allein soweit das Recht objectiv feststeht, sei es durch Gewohnheit, durch Gesetzgebung oder durch Richterspruch, kann er es nicht ändern. Oft muß er sogar subjectiv den vom Staate gesetzten oder auf Gewohnheit beruhenden Regeln gehorchen. Der Einzelne mag z. B. die Bedingungen einer Pachtung feststellen, auch anders als das Gesetz sie als Regel anordnet; allein er kann nicht nur an dem Gesetzbuche nichts ändern, sondern er muß sich auch subjectiv den Vor- schriften über Testamentsabfassung oder Notherbenrecht fügen, wenn seine Anordnungen zu Recht bestehen sollen. -- Zu 2. Der sogenannt Berechtigte im Staatsrechte hat in der Regel einen Auftrag zu vollziehen oder ist die Personification einer Anstalt; und insoferne muß er allerdings handeln. Eine solche Handlung als Recht zu bezeichnen ist jedoch unpassend. Soweit der Betheiligte in Frage steht, ist die Vollziehung, richtig ausgedrückt, eine Verpflichtung, und auf eine solche kann der Verpflichtete allerdings nicht verzichten. Dagegen gibt es allerdings auch im Staatsrechte freie Rechte im eigentlichen Sinne, bloße Befugnisse; und diese stehen denn ganz in der Verfügung des Berechtigten. Fälle dieser Art sind: das Petitions-, Asso- ciations-, Preßfreiheitsrecht der Bürger; oder das Veto, das Begnadigungs- recht, das Recht der Ehren und Belohnungen für den Fürsten. -- Im Uebrigen sollte es nicht erst der Bemerkung bedürfen, daß Staats-Recht und Miniſterverantwortlichkeit; ferner die Beſtimmung über Gleichheit 1) Dieſe beiderſeitige Begriffsbeſtimmung iſt ſchon ſo häufig, wenn auch mit verſchiedenem Wortausdrucke, ausgeſprochen worden, daß ſie als allgemein angenommen betrachtet werden kann. Man vergl. z. B. Savigny, Syſtem des r. R., Bd. I, S. 22 fg.; Puchta, Curſus der Inſtitutionen, Bd. I, § 21; Stahl, Rechtsphiloſophie, 2. Aufl., Bd. II, 1, S. 239; Zachariä, H. A., D. Staatsrecht, 2. Aufl., Bd. I, S. 2 fg. — Zuwei- len werden zur näheren Erläuterung zwei Regeln über den Unterſchied zwiſchen Staats- und Privatrecht aufgeſtellt: 1. das Privatrecht könne nach dem Willen der Betheiligten geändert werden, das Staatsrecht aber nicht; 2. im Staatsrechte ſei der Berechtigte verpflichtet, ſein Recht auszuüben, nicht aber ſo im Privatrechte. Vgl. Bluntſchli, Allgemeines Staatsrecht, 2. Aufl., S. 3; Zöpfl, d. Staatsrecht, 4. Aufl., Bd. I, S. 27; Gerber, Ueber öffentliche Rechte, S. 29 fg. Dieſe Regeln haben nun allerdings eine theilweiſe Wahrheit; allein ſie ſind nicht richtig ausgedrückt, und es finden viele Ausnahmen ſtatt. — Zu 1. Es iſt ein, mindeſtens theilweiſe, unrichtiger Ausdruck, daß das Privatrecht vom Einzelnen geändert werden könne. Der Einzelne kann allerdings in der Regel ſein ſubjectives Recht nach Willen ändern, einſeitig oder durch Vertrag; allein ſoweit das Recht objectiv feſtſteht, ſei es durch Gewohnheit, durch Geſetzgebung oder durch Richterſpruch, kann er es nicht ändern. Oft muß er ſogar ſubjectiv den vom Staate geſetzten oder auf Gewohnheit beruhenden Regeln gehorchen. Der Einzelne mag z. B. die Bedingungen einer Pachtung feſtſtellen, auch anders als das Geſetz ſie als Regel anordnet; allein er kann nicht nur an dem Geſetzbuche nichts ändern, ſondern er muß ſich auch ſubjectiv den Vor- ſchriften über Teſtamentsabfaſſung oder Notherbenrecht fügen, wenn ſeine Anordnungen zu Recht beſtehen ſollen. — Zu 2. Der ſogenannt Berechtigte im Staatsrechte hat in der Regel einen Auftrag zu vollziehen oder iſt die Perſonification einer Anſtalt; und inſoferne muß er allerdings handeln. Eine ſolche Handlung als Recht zu bezeichnen iſt jedoch unpaſſend. Soweit der Betheiligte in Frage ſteht, iſt die Vollziehung, richtig ausgedrückt, eine Verpflichtung, und auf eine ſolche kann der Verpflichtete allerdings nicht verzichten. Dagegen gibt es allerdings auch im Staatsrechte freie Rechte im eigentlichen Sinne, bloße Befugniſſe; und dieſe ſtehen denn ganz in der Verfügung des Berechtigten. Fälle dieſer Art ſind: das Petitions-, Aſſo- ciations-, Preßfreiheitsrecht der Bürger; oder das Veto, das Begnadigungs- recht, das Recht der Ehren und Belohnungen für den Fürſten. — Im Uebrigen ſollte es nicht erſt der Bemerkung bedürfen, daß Staats-Recht und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0210" n="196"/> Miniſterverantwortlichkeit; ferner die Beſtimmung über Gleichheit<lb/> vor dem Geſetze, über Bewahrung vor ungerechtfertigtem Ver-<lb/> hafte, das Verbot von Vermögenseinziehung.</p><lb/> <note place="end" n="1)">Dieſe beiderſeitige Begriffsbeſtimmung iſt ſchon ſo häufig, wenn<lb/> auch mit verſchiedenem Wortausdrucke, ausgeſprochen worden, daß ſie als<lb/> allgemein angenommen betrachtet werden kann. Man vergl. z. B. <hi rendition="#g">Savigny</hi>,<lb/> Syſtem des r. 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Miniſterverantwortlichkeit; ferner die Beſtimmung über Gleichheit
vor dem Geſetze, über Bewahrung vor ungerechtfertigtem Ver-
hafte, das Verbot von Vermögenseinziehung.
¹⁾ Dieſe beiderſeitige Begriffsbeſtimmung iſt ſchon ſo häufig, wenn
auch mit verſchiedenem Wortausdrucke, ausgeſprochen worden, daß ſie als
allgemein angenommen betrachtet werden kann. Man vergl. z. B. Savigny,
Syſtem des r. R., Bd. I, S. 22 fg.; Puchta, Curſus der Inſtitutionen,
Bd. I, § 21; Stahl, Rechtsphiloſophie, 2. Aufl., Bd. II, 1, S. 239;
Zachariä, H. A., D. Staatsrecht, 2. Aufl., Bd. I, S. 2 fg. — Zuwei-
len werden zur näheren Erläuterung zwei Regeln über den Unterſchied
zwiſchen Staats- und Privatrecht aufgeſtellt: 1. das Privatrecht könne nach
dem Willen der Betheiligten geändert werden, das Staatsrecht aber nicht;
2. im Staatsrechte ſei der Berechtigte verpflichtet, ſein Recht auszuüben,
nicht aber ſo im Privatrechte. Vgl. Bluntſchli, Allgemeines Staatsrecht,
2. Aufl., S. 3; Zöpfl, d. Staatsrecht, 4. Aufl., Bd. I, S. 27; Gerber,
Ueber öffentliche Rechte, S. 29 fg. Dieſe Regeln haben nun allerdings
eine theilweiſe Wahrheit; allein ſie ſind nicht richtig ausgedrückt, und es
finden viele Ausnahmen ſtatt. — Zu 1. Es iſt ein, mindeſtens theilweiſe,
unrichtiger Ausdruck, daß das Privatrecht vom Einzelnen geändert werden
könne. Der Einzelne kann allerdings in der Regel ſein ſubjectives Recht
nach Willen ändern, einſeitig oder durch Vertrag; allein ſoweit das Recht
objectiv feſtſteht, ſei es durch Gewohnheit, durch Geſetzgebung oder durch
Richterſpruch, kann er es nicht ändern. Oft muß er ſogar ſubjectiv den
vom Staate geſetzten oder auf Gewohnheit beruhenden Regeln gehorchen.
Der Einzelne mag z. B. die Bedingungen einer Pachtung feſtſtellen, auch
anders als das Geſetz ſie als Regel anordnet; allein er kann nicht nur an
dem Geſetzbuche nichts ändern, ſondern er muß ſich auch ſubjectiv den Vor-
ſchriften über Teſtamentsabfaſſung oder Notherbenrecht fügen, wenn ſeine
Anordnungen zu Recht beſtehen ſollen. — Zu 2. Der ſogenannt Berechtigte
im Staatsrechte hat in der Regel einen Auftrag zu vollziehen oder iſt die
Perſonification einer Anſtalt; und inſoferne muß er allerdings handeln.
Eine ſolche Handlung als Recht zu bezeichnen iſt jedoch unpaſſend. Soweit
der Betheiligte in Frage ſteht, iſt die Vollziehung, richtig ausgedrückt, eine
Verpflichtung, und auf eine ſolche kann der Verpflichtete allerdings nicht
verzichten. Dagegen gibt es allerdings auch im Staatsrechte freie Rechte
im eigentlichen Sinne, bloße Befugniſſe; und dieſe ſtehen denn ganz in der
Verfügung des Berechtigten. Fälle dieſer Art ſind: das Petitions-, Aſſo-
ciations-, Preßfreiheitsrecht der Bürger; oder das Veto, das Begnadigungs-
recht, das Recht der Ehren und Belohnungen für den Fürſten. — Im
Uebrigen ſollte es nicht erſt der Bemerkung bedürfen, daß Staats-Recht und
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