Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite
Willen des Staatsoberhauptes Beschränkungen seiner
persönlichen Thätigkeit als rathsam erscheinen lassen;
so z. B. hinsichtlich der alleinigen Erlassung von Rechts-
gesetzen, hinsichtlich der Leitung und der Entscheidung der
einzelnen Rechtsfälle u. s. w. Dann ist, bei der großen
Wichtigkeit der Sache, die Einhaltung der Beschränkungs-
vorschriften eine der ersten Regentenpflichten und der
wichtigsten Unterthanenrechte. Aber alle solche Maßregeln
rühren doch nur aus Zweckmäßigkeitsgründen, sind nur
Ausnahmen von der Regel, und grundsätzlich hat daher
das Staatsoberhaupt die ganze Aufgabe zu erfüllen,
steht ihm im Zweifel eine Berechtigung und eine Pflicht
zu 4).
b) Anwendung der Staatsgewalt zur Gewährung
einer Hülfe
für die einzelnen Unterthanen sowie für
die thatsächlich vorhandenen gesellschaftlichen Gliederungen
des Volkes in allen Fällen, in denen nach dem Wesen
der Gattung, welcher der Staat angehört, Thätigkeit
von seiner Seite Verpflichtung ist, weil die eigene Kraft
der zunächst Betheiligten zur Erreichung ihrer Zwecke
nicht ausreicht. Dieser Theil der Thätigkeit des Staats-
oberhauptes ist außerordentlich verschieden nach Umfang und
Richtung. Sehr klein und kaum merklich in einem haus-
väterlichen oder einem hausherrlichen Staate, macht er sich
in einer Theokratie in allen Beziehungen des Lebens fühlbar,
jedoch ausschließlich zur Durchführung der religiösen Ge-
bote und der von denselben vorgeschriebenen Lebensord-
nung, und ist er mit kaum erschwingbaren Aufgaben belastet
im Rechtsstaate, wo die Ausbildung der sämmtlichen mensch-
lichen Kräfte Lebenszweck des einzelnen Menschen, die eben
so weit gehende Förderung also Pflicht des Staates ist.
Wie groß oder klein jedoch die Aufgabe des Staatsober-
14*
Willen des Staatsoberhauptes Beſchränkungen ſeiner
perſönlichen Thätigkeit als rathſam erſcheinen laſſen;
ſo z. B. hinſichtlich der alleinigen Erlaſſung von Rechts-
geſetzen, hinſichtlich der Leitung und der Entſcheidung der
einzelnen Rechtsfälle u. ſ. w. Dann iſt, bei der großen
Wichtigkeit der Sache, die Einhaltung der Beſchränkungs-
vorſchriften eine der erſten Regentenpflichten und der
wichtigſten Unterthanenrechte. Aber alle ſolche Maßregeln
rühren doch nur aus Zweckmäßigkeitsgründen, ſind nur
Ausnahmen von der Regel, und grundſätzlich hat daher
das Staatsoberhaupt die ganze Aufgabe zu erfüllen,
ſteht ihm im Zweifel eine Berechtigung und eine Pflicht
zu 4).
b) Anwendung der Staatsgewalt zur Gewährung
einer Hülfe
für die einzelnen Unterthanen ſowie für
die thatſächlich vorhandenen geſellſchaftlichen Gliederungen
des Volkes in allen Fällen, in denen nach dem Weſen
der Gattung, welcher der Staat angehört, Thätigkeit
von ſeiner Seite Verpflichtung iſt, weil die eigene Kraft
der zunächſt Betheiligten zur Erreichung ihrer Zwecke
nicht ausreicht. Dieſer Theil der Thätigkeit des Staats-
oberhauptes iſt außerordentlich verſchieden nach Umfang und
Richtung. Sehr klein und kaum merklich in einem haus-
väterlichen oder einem hausherrlichen Staate, macht er ſich
in einer Theokratie in allen Beziehungen des Lebens fühlbar,
jedoch ausſchließlich zur Durchführung der religiöſen Ge-
bote und der von denſelben vorgeſchriebenen Lebensord-
nung, und iſt er mit kaum erſchwingbaren Aufgaben belaſtet
im Rechtsſtaate, wo die Ausbildung der ſämmtlichen menſch-
lichen Kräfte Lebenszweck des einzelnen Menſchen, die eben
ſo weit gehende Förderung alſo Pflicht des Staates iſt.
Wie groß oder klein jedoch die Aufgabe des Staatsober-
14*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <list>
                      <item><pb facs="#f0225" n="211"/>
Willen des Staatsoberhauptes Be&#x017F;chränkungen &#x017F;einer<lb/>
per&#x017F;önlichen Thätigkeit als rath&#x017F;am er&#x017F;cheinen la&#x017F;&#x017F;en;<lb/>
&#x017F;o z. B. hin&#x017F;ichtlich der alleinigen Erla&#x017F;&#x017F;ung von Rechts-<lb/>
ge&#x017F;etzen, hin&#x017F;ichtlich der Leitung und der Ent&#x017F;cheidung der<lb/>
einzelnen Rechtsfälle u. &#x017F;. w. Dann i&#x017F;t, bei der großen<lb/>
Wichtigkeit der Sache, die Einhaltung der Be&#x017F;chränkungs-<lb/>
vor&#x017F;chriften eine der er&#x017F;ten Regentenpflichten und der<lb/>
wichtig&#x017F;ten Unterthanenrechte. Aber alle &#x017F;olche Maßregeln<lb/>
rühren doch nur aus Zweckmäßigkeitsgründen, &#x017F;ind nur<lb/>
Ausnahmen von der Regel, und grund&#x017F;ätzlich hat daher<lb/>
das Staatsoberhaupt die ganze Aufgabe zu erfüllen,<lb/>
&#x017F;teht ihm <hi rendition="#g">im Zweifel</hi> eine Berechtigung und eine Pflicht<lb/>
zu <hi rendition="#sup">4</hi>).</item><lb/>
                      <item><hi rendition="#aq">b)</hi> Anwendung der Staatsgewalt <hi rendition="#g">zur Gewährung<lb/>
einer Hülfe</hi> für die einzelnen Unterthanen &#x017F;owie für<lb/>
die that&#x017F;ächlich vorhandenen ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen Gliederungen<lb/>
des Volkes in allen Fällen, in denen nach dem We&#x017F;en<lb/>
der Gattung, welcher der Staat angehört, Thätigkeit<lb/>
von &#x017F;einer Seite Verpflichtung i&#x017F;t, weil die eigene Kraft<lb/>
der zunäch&#x017F;t Betheiligten zur Erreichung ihrer Zwecke<lb/>
nicht ausreicht. Die&#x017F;er Theil der Thätigkeit des Staats-<lb/>
oberhauptes i&#x017F;t außerordentlich ver&#x017F;chieden nach Umfang und<lb/>
Richtung. Sehr klein und kaum merklich in einem haus-<lb/>
väterlichen oder einem hausherrlichen Staate, macht er &#x017F;ich<lb/>
in einer Theokratie in allen Beziehungen des Lebens fühlbar,<lb/>
jedoch aus&#x017F;chließlich zur Durchführung der religiö&#x017F;en Ge-<lb/>
bote und der von den&#x017F;elben vorge&#x017F;chriebenen Lebensord-<lb/>
nung, und i&#x017F;t er mit kaum er&#x017F;chwingbaren Aufgaben bela&#x017F;tet<lb/>
im Rechts&#x017F;taate, wo die Ausbildung der &#x017F;ämmtlichen men&#x017F;ch-<lb/>
lichen Kräfte Lebenszweck des einzelnen Men&#x017F;chen, die eben<lb/>
&#x017F;o weit gehende Förderung al&#x017F;o Pflicht des Staates i&#x017F;t.<lb/>
Wie groß oder klein jedoch die Aufgabe des Staatsober-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">14*</fw><lb/></item>
                    </list>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[211/0225] Willen des Staatsoberhauptes Beſchränkungen ſeiner perſönlichen Thätigkeit als rathſam erſcheinen laſſen; ſo z. B. hinſichtlich der alleinigen Erlaſſung von Rechts- geſetzen, hinſichtlich der Leitung und der Entſcheidung der einzelnen Rechtsfälle u. ſ. w. Dann iſt, bei der großen Wichtigkeit der Sache, die Einhaltung der Beſchränkungs- vorſchriften eine der erſten Regentenpflichten und der wichtigſten Unterthanenrechte. Aber alle ſolche Maßregeln rühren doch nur aus Zweckmäßigkeitsgründen, ſind nur Ausnahmen von der Regel, und grundſätzlich hat daher das Staatsoberhaupt die ganze Aufgabe zu erfüllen, ſteht ihm im Zweifel eine Berechtigung und eine Pflicht zu 4). b) Anwendung der Staatsgewalt zur Gewährung einer Hülfe für die einzelnen Unterthanen ſowie für die thatſächlich vorhandenen geſellſchaftlichen Gliederungen des Volkes in allen Fällen, in denen nach dem Weſen der Gattung, welcher der Staat angehört, Thätigkeit von ſeiner Seite Verpflichtung iſt, weil die eigene Kraft der zunächſt Betheiligten zur Erreichung ihrer Zwecke nicht ausreicht. Dieſer Theil der Thätigkeit des Staats- oberhauptes iſt außerordentlich verſchieden nach Umfang und Richtung. Sehr klein und kaum merklich in einem haus- väterlichen oder einem hausherrlichen Staate, macht er ſich in einer Theokratie in allen Beziehungen des Lebens fühlbar, jedoch ausſchließlich zur Durchführung der religiöſen Ge- bote und der von denſelben vorgeſchriebenen Lebensord- nung, und iſt er mit kaum erſchwingbaren Aufgaben belaſtet im Rechtsſtaate, wo die Ausbildung der ſämmtlichen menſch- lichen Kräfte Lebenszweck des einzelnen Menſchen, die eben ſo weit gehende Förderung alſo Pflicht des Staates iſt. Wie groß oder klein jedoch die Aufgabe des Staatsober- 14*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/225
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/225>, abgerufen am 23.11.2024.