Bei der ersten wissenschaftlichen Bildung des Völkerrechtes durch Hugo Grotius war philosophisches und positives Völkerrecht nicht sogleich getrennt, und es diente das letztere hauptsächlich, freilich fälschlich, als thatsächlicher Beleg für die Richtigkeit rechtsphilosophischer Sätze. Dennoch läßt sich von Grotius an eine Reihe von Schriftstellern verfolgen, welche das positive Völkerrecht, mehr oder weniger bewußt und mehr oder weniger ausschließlich, behandelten, so z. B. Zouch (Zuchäus) 1650, S. Rachel, 1676; Textor, 1680. Auch wurden einzelne Gegenstände von diesem Standpunkte aus besonders bear- beitet, so namentlich z. B. das Gesandtenrecht von Wicque- fort. Das eigentliche Verdienst einer scharfen Absonderung des lediglich auf positiven Satzungen beruhenden Rechtes vom philosophischen sowie einer umfassenden systematischen Bearbeitung des ersteren gebührt jedoch J. J. Moser. Schon als jüngerer Mann hatte er einige, zunächst wenig beachtete, kleinere Handbücher verfaßt; dann aber machte er in hohem Alter zwei sehr umfassende Werke bekannt; seinen "Versuch eines neuesten europäischen Völkerrechtes," 12 Bände, 1777--1780, und seine "Bei- träge zum neuesten europäischen Völkerrecht," 8 Bände, 1778 bis 1780 1).
Diese Grundlage ließ freilich in wissenschaftlicher Beziehung, und zwar sowohl was den höhern geschichtlichen Zusammenhang der Thatsachen, als was die scharfe Formulirung der daraus abgeleiteten Grundsätze betrifft, zunächst noch Vieles zu wünschen übrig; auf ihr wurde jedoch bald rüstig weiter gebaut, und die noch zu stellenden Forderungen fanden allmählig Erfüllung. Zunächst waren es deutsche Staatsgelehrte, welche sich Verdienste im positiven Völkerrechte erwarben, wie besonders G. F. von
v. Mohl, Encyclopädie. 30
§ 69. 2. Geſchichte und Literatur.
Bei der erſten wiſſenſchaftlichen Bildung des Völkerrechtes durch Hugo Grotius war philoſophiſches und poſitives Völkerrecht nicht ſogleich getrennt, und es diente das letztere hauptſächlich, freilich fälſchlich, als thatſächlicher Beleg für die Richtigkeit rechtsphiloſophiſcher Sätze. Dennoch läßt ſich von Grotius an eine Reihe von Schriftſtellern verfolgen, welche das poſitive Völkerrecht, mehr oder weniger bewußt und mehr oder weniger ausſchließlich, behandelten, ſo z. B. Zouch (Zuchäus) 1650, S. Rachel, 1676; Textor, 1680. Auch wurden einzelne Gegenſtände von dieſem Standpunkte aus beſonders bear- beitet, ſo namentlich z. B. das Geſandtenrecht von Wicque- fort. Das eigentliche Verdienſt einer ſcharfen Abſonderung des lediglich auf poſitiven Satzungen beruhenden Rechtes vom philoſophiſchen ſowie einer umfaſſenden ſyſtematiſchen Bearbeitung des erſteren gebührt jedoch J. J. Moſer. Schon als jüngerer Mann hatte er einige, zunächſt wenig beachtete, kleinere Handbücher verfaßt; dann aber machte er in hohem Alter zwei ſehr umfaſſende Werke bekannt; ſeinen „Verſuch eines neueſten europäiſchen Völkerrechtes,“ 12 Bände, 1777—1780, und ſeine „Bei- träge zum neueſten europäiſchen Völkerrecht,“ 8 Bände, 1778 bis 1780 1).
Dieſe Grundlage ließ freilich in wiſſenſchaftlicher Beziehung, und zwar ſowohl was den höhern geſchichtlichen Zuſammenhang der Thatſachen, als was die ſcharfe Formulirung der daraus abgeleiteten Grundſätze betrifft, zunächſt noch Vieles zu wünſchen übrig; auf ihr wurde jedoch bald rüſtig weiter gebaut, und die noch zu ſtellenden Forderungen fanden allmählig Erfüllung. Zunächſt waren es deutſche Staatsgelehrte, welche ſich Verdienſte im poſitiven Völkerrechte erwarben, wie beſonders G. F. von
v. Mohl, Encyclopädie. 30
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§ 69.
2. Geſchichte und Literatur.
Bei der erſten wiſſenſchaftlichen Bildung des Völkerrechtes
durch Hugo Grotius war philoſophiſches und poſitives
Völkerrecht nicht ſogleich getrennt, und es diente das letztere
hauptſächlich, freilich fälſchlich, als thatſächlicher Beleg für die
Richtigkeit rechtsphiloſophiſcher Sätze. Dennoch läßt ſich von
Grotius an eine Reihe von Schriftſtellern verfolgen, welche das
poſitive Völkerrecht, mehr oder weniger bewußt und mehr oder
weniger ausſchließlich, behandelten, ſo z. B. Zouch (Zuchäus)
1650, S. Rachel, 1676; Textor, 1680. Auch wurden
einzelne Gegenſtände von dieſem Standpunkte aus beſonders bear-
beitet, ſo namentlich z. B. das Geſandtenrecht von Wicque-
fort. Das eigentliche Verdienſt einer ſcharfen Abſonderung
des lediglich auf poſitiven Satzungen beruhenden Rechtes vom
philoſophiſchen ſowie einer umfaſſenden ſyſtematiſchen Bearbeitung
des erſteren gebührt jedoch J. J. Moſer. Schon als jüngerer
Mann hatte er einige, zunächſt wenig beachtete, kleinere Handbücher
verfaßt; dann aber machte er in hohem Alter zwei ſehr umfaſſende
Werke bekannt; ſeinen „Verſuch eines neueſten europäiſchen
Völkerrechtes,“ 12 Bände, 1777—1780, und ſeine „Bei-
träge zum neueſten europäiſchen Völkerrecht,“ 8 Bände, 1778
bis 1780 1).
Dieſe Grundlage ließ freilich in wiſſenſchaftlicher Beziehung,
und zwar ſowohl was den höhern geſchichtlichen Zuſammenhang
der Thatſachen, als was die ſcharfe Formulirung der daraus
abgeleiteten Grundſätze betrifft, zunächſt noch Vieles zu wünſchen
übrig; auf ihr wurde jedoch bald rüſtig weiter gebaut, und die
noch zu ſtellenden Forderungen fanden allmählig Erfüllung.
Zunächſt waren es deutſche Staatsgelehrte, welche ſich Verdienſte
im poſitiven Völkerrechte erwarben, wie beſonders G. F. von
v. Mohl, Encyclopädie. 30
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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/479>, abgerufen am 24.11.2024.
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