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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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Die Willkühr der Grundherren ist beschränkt; es giebt
Gerichtshöfe, bei denen der Unterthan sein Recht verfolgen
kann. Durch die Begrenzung der Frohndienste hat er an
Zeit und an Kräften gewonnen; aber Kräfte, Zeit und
Freiheit sind Schätze, die für ihn keinen Werth haben,
und die er auch wirklich nicht gebraucht, um in dem Zu-
stande fortzuleben, in welchem er aufgewachsen, und der
ihm lieb geworden ist. Der Wallache hat von seinem Va-
ter gelernt, nie mehr zu bauen, als gerade ausreicht, sein
Leben kümmerlich zu fristen; ein Mehr wäre nur die Beute
seiner Machthaber oder seiner Feinde gewesen. Gewohnt,
sich mit dem Allergeringsten zu begnügen, kennt er keine
der tausend Bedürfnisse anderer Nationen, scheut die Dürf-
tigkeit nicht so sehr, wie die Arbeit, den Zwang der Gesit-
tung mehr, als das Elend der Barbarei. Die Wallachen
sind ein auffallend schöner, großer Menschenschlag; ihre
Sprache ist eine Tochter der römischen und noch heute der
italienischen ähnlich. Aber das türkische Joch hat dies
Volk völlig geknechtet. Die Waffen sind ihm lange schon
fremd geworden, es ergiebt sich in jede Forderung. Jeder
wohlgekleidete Mann imponirt dem Wallachen, er hält ihn
für völlig berechtigt, ihm zu befehlen und Dienstleistungen
von ihm zu verlangen. Nie wird man einen Wallachen
danken sehen, selbst wenn ein Geschenk alle seine Erwar-
tungen übersteigt, aber eben so stillschweigend nimmt er
auch Mißhandlungen hin; er hält es für unklug, seine
Freude, für fruchtlos, seinen Schmerz zu verrathen. Da-
gegen findet man ihn stets heiter, wenn er in einer elenden
Erdhöhle am mächtigen Feuer seine durchnäßten Lumpen
trocknen, eine Kuckrutz-Aehre rösten, oder gar eine Pfeife
rauchen kann. Uebrigens giebt es in diesen Wohnungen
weder Brot noch andere Lebensmittel, weder Topf, noch
Kessel, noch irgend ein Geräth. Der Wallache führt sein
Messer, seine Pfeife und seinen Tabacksbeutel am Gürtel,
und wenn er aus dem Hause geht, so läßt er nichts zu-

Die Willkuͤhr der Grundherren iſt beſchraͤnkt; es giebt
Gerichtshoͤfe, bei denen der Unterthan ſein Recht verfolgen
kann. Durch die Begrenzung der Frohndienſte hat er an
Zeit und an Kraͤften gewonnen; aber Kraͤfte, Zeit und
Freiheit ſind Schaͤtze, die fuͤr ihn keinen Werth haben,
und die er auch wirklich nicht gebraucht, um in dem Zu-
ſtande fortzuleben, in welchem er aufgewachſen, und der
ihm lieb geworden iſt. Der Wallache hat von ſeinem Va-
ter gelernt, nie mehr zu bauen, als gerade ausreicht, ſein
Leben kuͤmmerlich zu friſten; ein Mehr waͤre nur die Beute
ſeiner Machthaber oder ſeiner Feinde geweſen. Gewohnt,
ſich mit dem Allergeringſten zu begnuͤgen, kennt er keine
der tauſend Beduͤrfniſſe anderer Nationen, ſcheut die Duͤrf-
tigkeit nicht ſo ſehr, wie die Arbeit, den Zwang der Geſit-
tung mehr, als das Elend der Barbarei. Die Wallachen
ſind ein auffallend ſchoͤner, großer Menſchenſchlag; ihre
Sprache iſt eine Tochter der roͤmiſchen und noch heute der
italieniſchen aͤhnlich. Aber das tuͤrkiſche Joch hat dies
Volk voͤllig geknechtet. Die Waffen ſind ihm lange ſchon
fremd geworden, es ergiebt ſich in jede Forderung. Jeder
wohlgekleidete Mann imponirt dem Wallachen, er haͤlt ihn
fuͤr voͤllig berechtigt, ihm zu befehlen und Dienſtleiſtungen
von ihm zu verlangen. Nie wird man einen Wallachen
danken ſehen, ſelbſt wenn ein Geſchenk alle ſeine Erwar-
tungen uͤberſteigt, aber eben ſo ſtillſchweigend nimmt er
auch Mißhandlungen hin; er haͤlt es fuͤr unklug, ſeine
Freude, fuͤr fruchtlos, ſeinen Schmerz zu verrathen. Da-
gegen findet man ihn ſtets heiter, wenn er in einer elenden
Erdhoͤhle am maͤchtigen Feuer ſeine durchnaͤßten Lumpen
trocknen, eine Kuckrutz-Aehre roͤſten, oder gar eine Pfeife
rauchen kann. Uebrigens giebt es in dieſen Wohnungen
weder Brot noch andere Lebensmittel, weder Topf, noch
Keſſel, noch irgend ein Geraͤth. Der Wallache fuͤhrt ſein
Meſſer, ſeine Pfeife und ſeinen Tabacksbeutel am Guͤrtel,
und wenn er aus dem Hauſe geht, ſo laͤßt er nichts zu-

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[6/0016] Die Willkuͤhr der Grundherren iſt beſchraͤnkt; es giebt Gerichtshoͤfe, bei denen der Unterthan ſein Recht verfolgen kann. Durch die Begrenzung der Frohndienſte hat er an Zeit und an Kraͤften gewonnen; aber Kraͤfte, Zeit und Freiheit ſind Schaͤtze, die fuͤr ihn keinen Werth haben, und die er auch wirklich nicht gebraucht, um in dem Zu- ſtande fortzuleben, in welchem er aufgewachſen, und der ihm lieb geworden iſt. Der Wallache hat von ſeinem Va- ter gelernt, nie mehr zu bauen, als gerade ausreicht, ſein Leben kuͤmmerlich zu friſten; ein Mehr waͤre nur die Beute ſeiner Machthaber oder ſeiner Feinde geweſen. Gewohnt, ſich mit dem Allergeringſten zu begnuͤgen, kennt er keine der tauſend Beduͤrfniſſe anderer Nationen, ſcheut die Duͤrf- tigkeit nicht ſo ſehr, wie die Arbeit, den Zwang der Geſit- tung mehr, als das Elend der Barbarei. Die Wallachen ſind ein auffallend ſchoͤner, großer Menſchenſchlag; ihre Sprache iſt eine Tochter der roͤmiſchen und noch heute der italieniſchen aͤhnlich. Aber das tuͤrkiſche Joch hat dies Volk voͤllig geknechtet. Die Waffen ſind ihm lange ſchon fremd geworden, es ergiebt ſich in jede Forderung. Jeder wohlgekleidete Mann imponirt dem Wallachen, er haͤlt ihn fuͤr voͤllig berechtigt, ihm zu befehlen und Dienſtleiſtungen von ihm zu verlangen. Nie wird man einen Wallachen danken ſehen, ſelbſt wenn ein Geſchenk alle ſeine Erwar- tungen uͤberſteigt, aber eben ſo ſtillſchweigend nimmt er auch Mißhandlungen hin; er haͤlt es fuͤr unklug, ſeine Freude, fuͤr fruchtlos, ſeinen Schmerz zu verrathen. Da- gegen findet man ihn ſtets heiter, wenn er in einer elenden Erdhoͤhle am maͤchtigen Feuer ſeine durchnaͤßten Lumpen trocknen, eine Kuckrutz-Aehre roͤſten, oder gar eine Pfeife rauchen kann. Uebrigens giebt es in dieſen Wohnungen weder Brot noch andere Lebensmittel, weder Topf, noch Keſſel, noch irgend ein Geraͤth. Der Wallache fuͤhrt ſein Meſſer, ſeine Pfeife und ſeinen Tabacksbeutel am Guͤrtel, und wenn er aus dem Hauſe geht, ſo laͤßt er nichts zu-

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/16>, abgerufen am 23.11.2024.