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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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Endlich passirten wir noch eine sehr mißliche Stelle unter
einer Kreidefelswand, dicht oberhalb des alten Bergschlos-
ses Gerger, und von nun an ändert sich der ganze Cha-
rakter des Strombettes.

Mit sehr verminderter Geschwindigkeit fließt der Eu-
phrat jetzt zwischen hohen senkrechten Wänden, aber die
Gebirge treten auf beiden Seiten zurück und die Neben-
thäler sind von niedrigen mauerartigen Basalthängen ein-
geschlossen; das röthliche Gestein, welches lothrecht zum
Fluß abstürzt, erhebt sich zu 3- bis 400 Fuß Höhe, es
zeigt die grotesken Formen der Sandsteinbildung und viele
Höhlen; einige derselben enthalten die Trümmer uralter
Klöster, welche nur auf einem schmalen schwindelnden Pfad
längs der Felsmauer zu erreichen sind, und seltsame Wart-
thürme kleben an den Vorsprüngen.

Von dem merkwürdigen alten Schlosse Choris an be-
schreibt der Fluß zwei große Windungen; er tritt nun aus
dem Fels in ein offenes Hügelland und sieht der Oder bei
Frankfurt ähnlich, bis er, bald unterhalb Samosata in die
Steinwüste tritt. Auch dort setzt er seinen Lauf in west-
licher Richtung bis nahe an Zeugma oder Rumkaleh fort,
wo er sich im rechten Winkel südlich wendet; obwohl er
auf dieser Strecke durch ein ebenes Plateau zieht, so ist
doch sein Bette tief eingeschnitten und von senkrechten Sand-
steinwänden eingefaßt, welche nur an wenigen Stellen ein
Hinabsteigen zum Strome gestatten.

Jch endete meine Wasserfahrt bei Samsat, da ich frü-
her schon den Euphrat auf der Strecke von dort bis Birt
oder Biradschik zu Lande begleitet hatte, und meine Re-
cognoscirung sich so an die Aufnahme anschließen wird,
welche Oberst Chesney von Birt abwärts zu Stande ge-
bracht hat.

Wenn in der Türkei ein Mann von einiger Bedeutung
ankommt, so ist es unerläßlich, daß einige der vornehmsten
Einwohner ihm schon vor der Stadt entgegen gehen; man
hilft ihm vom Pferde, stützt ihn, wenn er die Treppe hin-

Endlich paſſirten wir noch eine ſehr mißliche Stelle unter
einer Kreidefelswand, dicht oberhalb des alten Bergſchloſ-
ſes Gerger, und von nun an aͤndert ſich der ganze Cha-
rakter des Strombettes.

Mit ſehr verminderter Geſchwindigkeit fließt der Eu-
phrat jetzt zwiſchen hohen ſenkrechten Waͤnden, aber die
Gebirge treten auf beiden Seiten zuruͤck und die Neben-
thaͤler ſind von niedrigen mauerartigen Baſalthaͤngen ein-
geſchloſſen; das roͤthliche Geſtein, welches lothrecht zum
Fluß abſtuͤrzt, erhebt ſich zu 3- bis 400 Fuß Hoͤhe, es
zeigt die grotesken Formen der Sandſteinbildung und viele
Hoͤhlen; einige derſelben enthalten die Truͤmmer uralter
Kloͤſter, welche nur auf einem ſchmalen ſchwindelnden Pfad
laͤngs der Felsmauer zu erreichen ſind, und ſeltſame Wart-
thuͤrme kleben an den Vorſpruͤngen.

Von dem merkwuͤrdigen alten Schloſſe Choris an be-
ſchreibt der Fluß zwei große Windungen; er tritt nun aus
dem Fels in ein offenes Huͤgelland und ſieht der Oder bei
Frankfurt aͤhnlich, bis er, bald unterhalb Samoſata in die
Steinwuͤſte tritt. Auch dort ſetzt er ſeinen Lauf in weſt-
licher Richtung bis nahe an Zeugma oder Rumkaleh fort,
wo er ſich im rechten Winkel ſuͤdlich wendet; obwohl er
auf dieſer Strecke durch ein ebenes Plateau zieht, ſo iſt
doch ſein Bette tief eingeſchnitten und von ſenkrechten Sand-
ſteinwaͤnden eingefaßt, welche nur an wenigen Stellen ein
Hinabſteigen zum Strome geſtatten.

Jch endete meine Waſſerfahrt bei Samſat, da ich fruͤ-
her ſchon den Euphrat auf der Strecke von dort bis Birt
oder Biradſchik zu Lande begleitet hatte, und meine Re-
cognoſcirung ſich ſo an die Aufnahme anſchließen wird,
welche Oberſt Chesney von Birt abwaͤrts zu Stande ge-
bracht hat.

Wenn in der Tuͤrkei ein Mann von einiger Bedeutung
ankommt, ſo iſt es unerlaͤßlich, daß einige der vornehmſten
Einwohner ihm ſchon vor der Stadt entgegen gehen; man
hilft ihm vom Pferde, ſtuͤtzt ihn, wenn er die Treppe hin-

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[294/0304] Endlich paſſirten wir noch eine ſehr mißliche Stelle unter einer Kreidefelswand, dicht oberhalb des alten Bergſchloſ- ſes Gerger, und von nun an aͤndert ſich der ganze Cha- rakter des Strombettes. Mit ſehr verminderter Geſchwindigkeit fließt der Eu- phrat jetzt zwiſchen hohen ſenkrechten Waͤnden, aber die Gebirge treten auf beiden Seiten zuruͤck und die Neben- thaͤler ſind von niedrigen mauerartigen Baſalthaͤngen ein- geſchloſſen; das roͤthliche Geſtein, welches lothrecht zum Fluß abſtuͤrzt, erhebt ſich zu 3- bis 400 Fuß Hoͤhe, es zeigt die grotesken Formen der Sandſteinbildung und viele Hoͤhlen; einige derſelben enthalten die Truͤmmer uralter Kloͤſter, welche nur auf einem ſchmalen ſchwindelnden Pfad laͤngs der Felsmauer zu erreichen ſind, und ſeltſame Wart- thuͤrme kleben an den Vorſpruͤngen. Von dem merkwuͤrdigen alten Schloſſe Choris an be- ſchreibt der Fluß zwei große Windungen; er tritt nun aus dem Fels in ein offenes Huͤgelland und ſieht der Oder bei Frankfurt aͤhnlich, bis er, bald unterhalb Samoſata in die Steinwuͤſte tritt. Auch dort ſetzt er ſeinen Lauf in weſt- licher Richtung bis nahe an Zeugma oder Rumkaleh fort, wo er ſich im rechten Winkel ſuͤdlich wendet; obwohl er auf dieſer Strecke durch ein ebenes Plateau zieht, ſo iſt doch ſein Bette tief eingeſchnitten und von ſenkrechten Sand- ſteinwaͤnden eingefaßt, welche nur an wenigen Stellen ein Hinabſteigen zum Strome geſtatten. Jch endete meine Waſſerfahrt bei Samſat, da ich fruͤ- her ſchon den Euphrat auf der Strecke von dort bis Birt oder Biradſchik zu Lande begleitet hatte, und meine Re- cognoſcirung ſich ſo an die Aufnahme anſchließen wird, welche Oberſt Chesney von Birt abwaͤrts zu Stande ge- bracht hat. Wenn in der Tuͤrkei ein Mann von einiger Bedeutung ankommt, ſo iſt es unerlaͤßlich, daß einige der vornehmſten Einwohner ihm ſchon vor der Stadt entgegen gehen; man hilft ihm vom Pferde, ſtuͤtzt ihn, wenn er die Treppe hin-

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/304>, abgerufen am 21.11.2024.