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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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auf steigt, zieht ihm die Stiefeln aus und legt ihn auf das
Kissen rechts vom Kamin. Der Müsselim, oder wer der
Herr des Hauses sein mag, räumt sogleich das Zimmer;
er läßt sich nur auf ausdrückliche Einladung und in der
Nähe der Thür auf dem bloßen Fußboden nieder, und wenn
man ihm gestattet von seinem eigenen Kaffee zu trinken,
so empfängt er ihn mit einer tiefen Verbeugung und dem
Gruße mit der Hand an die Erde. "Das Haus ist Deins"
ist, so lange man bleibt, nicht bloß die übliche Redensart,
und ein solcher Gast muß zum Abschiede noch obendrein
reichlich beschenkt werden. Die größern Pascha's haben oft
funfzig Diener oder Aga's, die nicht bezahlt sind und nur
durch Reiseaufträge entschädigt werden; wo sie die Nacht
bleiben, erhalten sie ein Geschenk. Mir führte der Müsse-
lim ein junges Pferd, dem Aga einen Maulesel vor, und
meinem türkischen Diener dachte er einen halben Beutel zu;
er war sehr betreten, daß ich mich weigerte, sein Geschenk
anzunehmen, und betheuerte, daß in der ganzen Stadt kein
edleres Thier zu haben sei; denn einen andern Grund konnte
er sich nicht denken, als daß mir die Gabe zu gering sei.
Jn übergroße Verlegenheit gerieth Aly-Aga. Man durfte
nur auf das elende Samsat blicken, welches sich in einen
Winkel der alten prachtvollen Stadt verkrochen hat, und
kaum so viel Flächenraum bedecken mag, als einst der be-
rühmte Circus von Samosata, um Erbarmen zu haben;
denn der Müsselim macht solche Largessen keineswegs aus
seiner Tasche, sondern erholt sich an den Einwohnern, be-
sonders den christlichen. Diese Betrachtungen kamen mei-
nem Begleiter aber nicht in den Sinn; dagegen fürchtete
er, daß ich dem Pascha Unvortheilhaftes von ihm berich-
ten könne, was ihm sehr schlecht bekommen wäre; er
kämpfte einen harten Kampf und schlug endlich auch sein
Geschenk aus. Das Thier muß sich aber irgendwie wäh-
rend der Nacht losgemacht haben, und mit Gewalt mit-
gegangen sein, denn am folgenden Morgen fand ich es un-
ter den Packpferden; dagegen hatte ich meinen ehrlichen

auf ſteigt, zieht ihm die Stiefeln aus und legt ihn auf das
Kiſſen rechts vom Kamin. Der Muͤſſelim, oder wer der
Herr des Hauſes ſein mag, raͤumt ſogleich das Zimmer;
er laͤßt ſich nur auf ausdruͤckliche Einladung und in der
Naͤhe der Thuͤr auf dem bloßen Fußboden nieder, und wenn
man ihm geſtattet von ſeinem eigenen Kaffee zu trinken,
ſo empfaͤngt er ihn mit einer tiefen Verbeugung und dem
Gruße mit der Hand an die Erde. „Das Haus iſt Deins“
iſt, ſo lange man bleibt, nicht bloß die uͤbliche Redensart,
und ein ſolcher Gaſt muß zum Abſchiede noch obendrein
reichlich beſchenkt werden. Die groͤßern Paſcha's haben oft
funfzig Diener oder Aga's, die nicht bezahlt ſind und nur
durch Reiſeauftraͤge entſchaͤdigt werden; wo ſie die Nacht
bleiben, erhalten ſie ein Geſchenk. Mir fuͤhrte der Muͤſſe-
lim ein junges Pferd, dem Aga einen Mauleſel vor, und
meinem tuͤrkiſchen Diener dachte er einen halben Beutel zu;
er war ſehr betreten, daß ich mich weigerte, ſein Geſchenk
anzunehmen, und betheuerte, daß in der ganzen Stadt kein
edleres Thier zu haben ſei; denn einen andern Grund konnte
er ſich nicht denken, als daß mir die Gabe zu gering ſei.
Jn uͤbergroße Verlegenheit gerieth Aly-Aga. Man durfte
nur auf das elende Samſat blicken, welches ſich in einen
Winkel der alten prachtvollen Stadt verkrochen hat, und
kaum ſo viel Flaͤchenraum bedecken mag, als einſt der be-
ruͤhmte Circus von Samoſata, um Erbarmen zu haben;
denn der Muͤſſelim macht ſolche Largeſſen keineswegs aus
ſeiner Taſche, ſondern erholt ſich an den Einwohnern, be-
ſonders den chriſtlichen. Dieſe Betrachtungen kamen mei-
nem Begleiter aber nicht in den Sinn; dagegen fuͤrchtete
er, daß ich dem Paſcha Unvortheilhaftes von ihm berich-
ten koͤnne, was ihm ſehr ſchlecht bekommen waͤre; er
kaͤmpfte einen harten Kampf und ſchlug endlich auch ſein
Geſchenk aus. Das Thier muß ſich aber irgendwie waͤh-
rend der Nacht losgemacht haben, und mit Gewalt mit-
gegangen ſein, denn am folgenden Morgen fand ich es un-
ter den Packpferden; dagegen hatte ich meinen ehrlichen

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[295/0305] auf ſteigt, zieht ihm die Stiefeln aus und legt ihn auf das Kiſſen rechts vom Kamin. Der Muͤſſelim, oder wer der Herr des Hauſes ſein mag, raͤumt ſogleich das Zimmer; er laͤßt ſich nur auf ausdruͤckliche Einladung und in der Naͤhe der Thuͤr auf dem bloßen Fußboden nieder, und wenn man ihm geſtattet von ſeinem eigenen Kaffee zu trinken, ſo empfaͤngt er ihn mit einer tiefen Verbeugung und dem Gruße mit der Hand an die Erde. „Das Haus iſt Deins“ iſt, ſo lange man bleibt, nicht bloß die uͤbliche Redensart, und ein ſolcher Gaſt muß zum Abſchiede noch obendrein reichlich beſchenkt werden. Die groͤßern Paſcha's haben oft funfzig Diener oder Aga's, die nicht bezahlt ſind und nur durch Reiſeauftraͤge entſchaͤdigt werden; wo ſie die Nacht bleiben, erhalten ſie ein Geſchenk. Mir fuͤhrte der Muͤſſe- lim ein junges Pferd, dem Aga einen Mauleſel vor, und meinem tuͤrkiſchen Diener dachte er einen halben Beutel zu; er war ſehr betreten, daß ich mich weigerte, ſein Geſchenk anzunehmen, und betheuerte, daß in der ganzen Stadt kein edleres Thier zu haben ſei; denn einen andern Grund konnte er ſich nicht denken, als daß mir die Gabe zu gering ſei. Jn uͤbergroße Verlegenheit gerieth Aly-Aga. Man durfte nur auf das elende Samſat blicken, welches ſich in einen Winkel der alten prachtvollen Stadt verkrochen hat, und kaum ſo viel Flaͤchenraum bedecken mag, als einſt der be- ruͤhmte Circus von Samoſata, um Erbarmen zu haben; denn der Muͤſſelim macht ſolche Largeſſen keineswegs aus ſeiner Taſche, ſondern erholt ſich an den Einwohnern, be- ſonders den chriſtlichen. Dieſe Betrachtungen kamen mei- nem Begleiter aber nicht in den Sinn; dagegen fuͤrchtete er, daß ich dem Paſcha Unvortheilhaftes von ihm berich- ten koͤnne, was ihm ſehr ſchlecht bekommen waͤre; er kaͤmpfte einen harten Kampf und ſchlug endlich auch ſein Geſchenk aus. Das Thier muß ſich aber irgendwie waͤh- rend der Nacht losgemacht haben, und mit Gewalt mit- gegangen ſein, denn am folgenden Morgen fand ich es un- ter den Packpferden; dagegen hatte ich meinen ehrlichen

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/305>, abgerufen am 21.11.2024.