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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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herzig auf uns herab, meine Kleider waren so schwer, daß
sie mich fast erdrückten, und die armen Pferde konnten die
Füße kaum aus dem tiefen Lehmboden herausziehen. Un-
ser Einzug in das Städtchen Gemerick gewährte den trüb-
seligsten Anblick; ich kroch in ein Paar weite rothe Bein-
kleider und den Pelzmantel des Mollahs, während mein
wattirter Ueberrock an einem mächtigen Feuer geröstet und
die Stiefeln ausgegossen wurden. Eine halbe Stunde jen-
seits des Städtchens aber war es wieder dasselbe Elend.

Wir übernachteten in einem Dorfe unweit Pallaß an
den Salzquellen, welche die Gegend weit umher mit diesem
Bedürfniß versorgen; es giebt aber dort weder Pumpen
noch Dampfmaschinen, weder Gradirhäuser noch Kochheerde;
die flachen Teiche füllen sich von selbst, die Sonne trocknet
sie aus, das Salz bleibt fertig zurück, und Kameele in lan-
gen Reihen tragen es davon. Als am folgenden Morgen
früh der Wolkenvorhang sich auseinander zog, stand vor
uns der mächtige Riese Erdschiesch; er hatte während der
Nacht ein neues schneeweißes Kleid angelegt, purpurn ge-
färbt von der Sonne, der er schon ins Antlitz schaute, ob-
wohl sie für uns noch tief unter dem Horizont weilte; noch
nie ist es einem Sterblichen gelungen*), bis an die letzte
Spitze der weißen Mütze zu gelangen, die der Erdschiesch
auch im heißesten Sommer nicht ablegt, und funfzig Stun-
den weit bis nahe vor Konieh sah ich den Giganten hoch
über alle anderen Bergen emporragen. Die Form dieses
Berges ist überaus schön; der schroffe Gipfel spaltet sich
in drei Zacken, die mit ewigem Schnee überschüttet sind,
und rings umstehen diese Riesenpyramide eine Menge run-
der Bergkegel mit überaus abschüssiger Böschung, der Fuß
ist mit endlosen Weinbergen bedeckt und verläuft sich in
eine Ebene, aus der die Kuppeln und Minarehs des neuen
Cäsarea emporstreben.

Kaisarieh ist eine der hübschesten Städte in der Tür-

*) Als der Verf. dies schrieb, war ihm noch die Besteigung durch
Hamilton unbekannt.

herzig auf uns herab, meine Kleider waren ſo ſchwer, daß
ſie mich faſt erdruͤckten, und die armen Pferde konnten die
Fuͤße kaum aus dem tiefen Lehmboden herausziehen. Un-
ſer Einzug in das Staͤdtchen Gemerick gewaͤhrte den truͤb-
ſeligſten Anblick; ich kroch in ein Paar weite rothe Bein-
kleider und den Pelzmantel des Mollahs, waͤhrend mein
wattirter Ueberrock an einem maͤchtigen Feuer geroͤſtet und
die Stiefeln ausgegoſſen wurden. Eine halbe Stunde jen-
ſeits des Staͤdtchens aber war es wieder daſſelbe Elend.

Wir uͤbernachteten in einem Dorfe unweit Pallaß an
den Salzquellen, welche die Gegend weit umher mit dieſem
Beduͤrfniß verſorgen; es giebt aber dort weder Pumpen
noch Dampfmaſchinen, weder Gradirhaͤuſer noch Kochheerde;
die flachen Teiche fuͤllen ſich von ſelbſt, die Sonne trocknet
ſie aus, das Salz bleibt fertig zuruͤck, und Kameele in lan-
gen Reihen tragen es davon. Als am folgenden Morgen
fruͤh der Wolkenvorhang ſich auseinander zog, ſtand vor
uns der maͤchtige Rieſe Erdſchieſch; er hatte waͤhrend der
Nacht ein neues ſchneeweißes Kleid angelegt, purpurn ge-
faͤrbt von der Sonne, der er ſchon ins Antlitz ſchaute, ob-
wohl ſie fuͤr uns noch tief unter dem Horizont weilte; noch
nie iſt es einem Sterblichen gelungen*), bis an die letzte
Spitze der weißen Muͤtze zu gelangen, die der Erdſchieſch
auch im heißeſten Sommer nicht ablegt, und funfzig Stun-
den weit bis nahe vor Konieh ſah ich den Giganten hoch
uͤber alle anderen Bergen emporragen. Die Form dieſes
Berges iſt uͤberaus ſchoͤn; der ſchroffe Gipfel ſpaltet ſich
in drei Zacken, die mit ewigem Schnee uͤberſchuͤttet ſind,
und rings umſtehen dieſe Rieſenpyramide eine Menge run-
der Bergkegel mit uͤberaus abſchuͤſſiger Boͤſchung, der Fuß
iſt mit endloſen Weinbergen bedeckt und verlaͤuft ſich in
eine Ebene, aus der die Kuppeln und Minarehs des neuen
Caͤſarea emporſtreben.

Kaiſarieh iſt eine der huͤbſcheſten Staͤdte in der Tuͤr-

*) Als der Verf. dies ſchrieb, war ihm noch die Beſteigung durch
Hamilton unbekannt.
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[314/0324] herzig auf uns herab, meine Kleider waren ſo ſchwer, daß ſie mich faſt erdruͤckten, und die armen Pferde konnten die Fuͤße kaum aus dem tiefen Lehmboden herausziehen. Un- ſer Einzug in das Staͤdtchen Gemerick gewaͤhrte den truͤb- ſeligſten Anblick; ich kroch in ein Paar weite rothe Bein- kleider und den Pelzmantel des Mollahs, waͤhrend mein wattirter Ueberrock an einem maͤchtigen Feuer geroͤſtet und die Stiefeln ausgegoſſen wurden. Eine halbe Stunde jen- ſeits des Staͤdtchens aber war es wieder daſſelbe Elend. Wir uͤbernachteten in einem Dorfe unweit Pallaß an den Salzquellen, welche die Gegend weit umher mit dieſem Beduͤrfniß verſorgen; es giebt aber dort weder Pumpen noch Dampfmaſchinen, weder Gradirhaͤuſer noch Kochheerde; die flachen Teiche fuͤllen ſich von ſelbſt, die Sonne trocknet ſie aus, das Salz bleibt fertig zuruͤck, und Kameele in lan- gen Reihen tragen es davon. Als am folgenden Morgen fruͤh der Wolkenvorhang ſich auseinander zog, ſtand vor uns der maͤchtige Rieſe Erdſchieſch; er hatte waͤhrend der Nacht ein neues ſchneeweißes Kleid angelegt, purpurn ge- faͤrbt von der Sonne, der er ſchon ins Antlitz ſchaute, ob- wohl ſie fuͤr uns noch tief unter dem Horizont weilte; noch nie iſt es einem Sterblichen gelungen *), bis an die letzte Spitze der weißen Muͤtze zu gelangen, die der Erdſchieſch auch im heißeſten Sommer nicht ablegt, und funfzig Stun- den weit bis nahe vor Konieh ſah ich den Giganten hoch uͤber alle anderen Bergen emporragen. Die Form dieſes Berges iſt uͤberaus ſchoͤn; der ſchroffe Gipfel ſpaltet ſich in drei Zacken, die mit ewigem Schnee uͤberſchuͤttet ſind, und rings umſtehen dieſe Rieſenpyramide eine Menge run- der Bergkegel mit uͤberaus abſchuͤſſiger Boͤſchung, der Fuß iſt mit endloſen Weinbergen bedeckt und verlaͤuft ſich in eine Ebene, aus der die Kuppeln und Minarehs des neuen Caͤſarea emporſtreben. Kaiſarieh iſt eine der huͤbſcheſten Staͤdte in der Tuͤr- *) Als der Verf. dies ſchrieb, war ihm noch die Beſteigung durch Hamilton unbekannt.

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/324>, abgerufen am 21.11.2024.