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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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ganze Stärke auf einmal zu mustern, auch fehlte hin und
wieder eine Kleinigkeit an der Ausrüstung, ein Flintenstein
oder ein Ladestock; daß meine Truppe zu Fuß focht, war
ein unleugbarer Vortheil im Vergleich mit meinen frühern
Escorten, denn wenn es zum Rückzuge kam, so mußten sie
nothgedrungen die Nachhut bilden; beim Avanciren blieben
sie freilich beträchtlich zurück, und ich glaube, sie kamen um
eben die Zeit wieder in ihre Häuser zu Devely, wie ich zu
Tomarse an.

Dieser Ort liegt in einer weiten Ebene, die mit Acker-
feldern und Viehweiden bedeckt ist; vor der Stadt erblickt
man die Trümmer einer schönen byzantinischen Kirche, welche
die Türken zerstört haben, aber in der Stadt ragt stolz aus
Steinen gefügt, und selbst mit einem Soupcon von einem
Glockenthurme versehen, ein neues Gotteshaus empor, wel-
ches der Bischof im vorigen Jahre vollendet. Die Gjaur
sahen uns beim Vorüberreiten in der Stadt so zuversicht-
lich an, als fühlten sie sich unter dem Schutz ihres geist-
lichen Hirten sicher gegen die Bedrückung, die ein Besuch,
wie der unsrige, gewöhnlich mit sich führt. Der Bischof
hatte unlängst einen Feldzug gegen die Awscharen unter-
nommen und einige zwanzig Räuber in sein Kloster einge-
sperrt; ich fing an, mir den Tomarser Prälaten ungefähr
wie einen Kurfürsten von Köln vorzustellen. Der Drago-
man war vorausgeeilt mit seinem epistolischen Meisterstück,
um, wenn ja etwas daran fehlte, es mündlich zu interpre-
tiren; man führte mich nun nach einer Felsspalte, in wel-
cher ein paar kleine Häuschen, von einer Mauer umgeben,
lagen; das war das Kloster und die Residenz des Bischofs.
Jm Hofe empfing mich ein kleines wohlgenährtes Männ-
chen, das war der Bischof.

Nachdem mein freundlicher Wirth mich mit Kaffee, Li-
kör und Pfeife erquickt, fragte ich ihn nach dem Ursprunge
seiner weltlichen Gewalt. Es hatte vor zehn Jahren die
gesammte Bevölkerung von Tomarse den Beschluß gefaßt,
auszuwandern, um dem unerträglichen Drucke der türki-

ganze Staͤrke auf einmal zu muſtern, auch fehlte hin und
wieder eine Kleinigkeit an der Ausruͤſtung, ein Flintenſtein
oder ein Ladeſtock; daß meine Truppe zu Fuß focht, war
ein unleugbarer Vortheil im Vergleich mit meinen fruͤhern
Escorten, denn wenn es zum Ruͤckzuge kam, ſo mußten ſie
nothgedrungen die Nachhut bilden; beim Avanciren blieben
ſie freilich betraͤchtlich zuruͤck, und ich glaube, ſie kamen um
eben die Zeit wieder in ihre Haͤuſer zu Devely, wie ich zu
Tomarſe an.

Dieſer Ort liegt in einer weiten Ebene, die mit Acker-
feldern und Viehweiden bedeckt iſt; vor der Stadt erblickt
man die Truͤmmer einer ſchoͤnen byzantiniſchen Kirche, welche
die Tuͤrken zerſtoͤrt haben, aber in der Stadt ragt ſtolz aus
Steinen gefuͤgt, und ſelbſt mit einem Soupçon von einem
Glockenthurme verſehen, ein neues Gotteshaus empor, wel-
ches der Biſchof im vorigen Jahre vollendet. Die Gjaur
ſahen uns beim Voruͤberreiten in der Stadt ſo zuverſicht-
lich an, als fuͤhlten ſie ſich unter dem Schutz ihres geiſt-
lichen Hirten ſicher gegen die Bedruͤckung, die ein Beſuch,
wie der unſrige, gewoͤhnlich mit ſich fuͤhrt. Der Biſchof
hatte unlaͤngſt einen Feldzug gegen die Awſcharen unter-
nommen und einige zwanzig Raͤuber in ſein Kloſter einge-
ſperrt; ich fing an, mir den Tomarſer Praͤlaten ungefaͤhr
wie einen Kurfuͤrſten von Koͤln vorzuſtellen. Der Drago-
man war vorausgeeilt mit ſeinem epiſtoliſchen Meiſterſtuͤck,
um, wenn ja etwas daran fehlte, es muͤndlich zu interpre-
tiren; man fuͤhrte mich nun nach einer Felsſpalte, in wel-
cher ein paar kleine Haͤuschen, von einer Mauer umgeben,
lagen; das war das Kloſter und die Reſidenz des Biſchofs.
Jm Hofe empfing mich ein kleines wohlgenaͤhrtes Maͤnn-
chen, das war der Biſchof.

Nachdem mein freundlicher Wirth mich mit Kaffee, Li-
koͤr und Pfeife erquickt, fragte ich ihn nach dem Urſprunge
ſeiner weltlichen Gewalt. Es hatte vor zehn Jahren die
geſammte Bevoͤlkerung von Tomarſe den Beſchluß gefaßt,
auszuwandern, um dem unertraͤglichen Drucke der tuͤrki-

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[325/0335] ganze Staͤrke auf einmal zu muſtern, auch fehlte hin und wieder eine Kleinigkeit an der Ausruͤſtung, ein Flintenſtein oder ein Ladeſtock; daß meine Truppe zu Fuß focht, war ein unleugbarer Vortheil im Vergleich mit meinen fruͤhern Escorten, denn wenn es zum Ruͤckzuge kam, ſo mußten ſie nothgedrungen die Nachhut bilden; beim Avanciren blieben ſie freilich betraͤchtlich zuruͤck, und ich glaube, ſie kamen um eben die Zeit wieder in ihre Haͤuſer zu Devely, wie ich zu Tomarſe an. Dieſer Ort liegt in einer weiten Ebene, die mit Acker- feldern und Viehweiden bedeckt iſt; vor der Stadt erblickt man die Truͤmmer einer ſchoͤnen byzantiniſchen Kirche, welche die Tuͤrken zerſtoͤrt haben, aber in der Stadt ragt ſtolz aus Steinen gefuͤgt, und ſelbſt mit einem Soupçon von einem Glockenthurme verſehen, ein neues Gotteshaus empor, wel- ches der Biſchof im vorigen Jahre vollendet. Die Gjaur ſahen uns beim Voruͤberreiten in der Stadt ſo zuverſicht- lich an, als fuͤhlten ſie ſich unter dem Schutz ihres geiſt- lichen Hirten ſicher gegen die Bedruͤckung, die ein Beſuch, wie der unſrige, gewoͤhnlich mit ſich fuͤhrt. Der Biſchof hatte unlaͤngſt einen Feldzug gegen die Awſcharen unter- nommen und einige zwanzig Raͤuber in ſein Kloſter einge- ſperrt; ich fing an, mir den Tomarſer Praͤlaten ungefaͤhr wie einen Kurfuͤrſten von Koͤln vorzuſtellen. Der Drago- man war vorausgeeilt mit ſeinem epiſtoliſchen Meiſterſtuͤck, um, wenn ja etwas daran fehlte, es muͤndlich zu interpre- tiren; man fuͤhrte mich nun nach einer Felsſpalte, in wel- cher ein paar kleine Haͤuschen, von einer Mauer umgeben, lagen; das war das Kloſter und die Reſidenz des Biſchofs. Jm Hofe empfing mich ein kleines wohlgenaͤhrtes Maͤnn- chen, das war der Biſchof. Nachdem mein freundlicher Wirth mich mit Kaffee, Li- koͤr und Pfeife erquickt, fragte ich ihn nach dem Urſprunge ſeiner weltlichen Gewalt. Es hatte vor zehn Jahren die geſammte Bevoͤlkerung von Tomarſe den Beſchluß gefaßt, auszuwandern, um dem unertraͤglichen Drucke der tuͤrki-

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/335>, abgerufen am 21.11.2024.