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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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AENDERUNG DER VERFASSUNG.
Opferkönig, der nur damit der Name vorhanden sei ernannt
ward, sondern der Consul, der für die Gemeinde betete und
opferte und in ihrem Namen den Willen der Götter mit Hülfe
der Sachverständigen erforschte. Für den Nothfall hielt man
sich überdiess die Möglichkeit offen die volle unumschränkte
Königsgewalt ohne vorherige Befragung der Gemeinde jeden
Augenblick wieder ins Leben zu rufen mit Beseitigung der
durch die Collegialität und durch die Specialrestrictionen ge-
zogenen Schranken; wesshalb denn auch dem Dictator gleich
dem König die vier und zwanzig Weibel mit Ruthen und
Beilen vorausschritten.

So gewann durch die Aenderung der Verfassung die Ge-
meinde die wichtigsten Rechte: das Recht die Gemeindevor-
steher jährlich zu bezeichnen und über Tod und Leben des
Bürgers in letzter Instanz zu entscheiden. Aber es konnte das
unmöglich diejenige Gemeinde sein, die auch nach Einführung
der servianischen Militärreform noch als die rechte Bürgerver-
sammlung gesetzlich betrachtet ward, obwohl sie thatsächlich
schon zum Adelstande geworden war. Die Kraft des Volkes
war bei der ,Menge', welche ,achtbare Leute' (nobiles, Gen-
tlemen) in grosser Zahl in sich schloss. Dass diese Menge
aus der Gemeindeversammlung ausgeschlossen war, obwohl
sie die gemeinen Lasten mit trug, mochte ertragen werden,
so lange die Gemeindeversammlung selbst im Wesentlichen
nicht eingriff in den Gang der Staatsmaschine und so lange
die Königsgewalt eben durch ihre hohe und freie Stellung
den Bürgern nicht viel weniger fürchterlich war als den In-
sassen und somit in der Nation die Rechtsgleichheit sich er-
hielt. Allein als die Gemeinde selbst zu regelmässigen Wahlen
und Entscheidungen berufen und der Vorsteher factisch aus
ihrem Herrn zum befristeten Auftragnehmer herabgedrückt
ward, konnte dies Verhältniss nicht aufrecht erhalten werden;
am wenigsten bei der Neugestaltung des Staates an dem Mor-
gen einer Revolution, die nur durch Zusammenwirken der
Patricier und der Insassen durchgesetzt werden konnte. Somit
war eine Transaction unvermeidlich. Die Patricier behielten
das Imperium wie den Verkehr mit den Göttern, das heisst
den Inbegriff der weltlichen wie der geistlichen Aemter und
ihre Versammlung sowohl das Huldigungsrecht oder vielmehr
die Huldigungspflicht als auch die bisher von ihr ausgeübte
Befugniss von den Gesetzen zu dispensiren, so weit diese
privatrechtlicher Natur war. Alle politischen Befugnisse, so-

11*

AENDERUNG DER VERFASSUNG.
Opferkönig, der nur damit der Name vorhanden sei ernannt
ward, sondern der Consul, der für die Gemeinde betete und
opferte und in ihrem Namen den Willen der Götter mit Hülfe
der Sachverständigen erforschte. Für den Nothfall hielt man
sich überdieſs die Möglichkeit offen die volle unumschränkte
Königsgewalt ohne vorherige Befragung der Gemeinde jeden
Augenblick wieder ins Leben zu rufen mit Beseitigung der
durch die Collegialität und durch die Specialrestrictionen ge-
zogenen Schranken; weſshalb denn auch dem Dictator gleich
dem König die vier und zwanzig Weibel mit Ruthen und
Beilen vorauſschritten.

So gewann durch die Aenderung der Verfassung die Ge-
meinde die wichtigsten Rechte: das Recht die Gemeindevor-
steher jährlich zu bezeichnen und über Tod und Leben des
Bürgers in letzter Instanz zu entscheiden. Aber es konnte das
unmöglich diejenige Gemeinde sein, die auch nach Einführung
der servianischen Militärreform noch als die rechte Bürgerver-
sammlung gesetzlich betrachtet ward, obwohl sie thatsächlich
schon zum Adelstande geworden war. Die Kraft des Volkes
war bei der ‚Menge‘, welche ‚achtbare Leute‘ (nobiles, Gen-
tlemen) in groſser Zahl in sich schloſs. Daſs diese Menge
aus der Gemeindeversammlung ausgeschlossen war, obwohl
sie die gemeinen Lasten mit trug, mochte ertragen werden,
so lange die Gemeindeversammlung selbst im Wesentlichen
nicht eingriff in den Gang der Staatsmaschine und so lange
die Königsgewalt eben durch ihre hohe und freie Stellung
den Bürgern nicht viel weniger fürchterlich war als den In-
sassen und somit in der Nation die Rechtsgleichheit sich er-
hielt. Allein als die Gemeinde selbst zu regelmäſsigen Wahlen
und Entscheidungen berufen und der Vorsteher factisch aus
ihrem Herrn zum befristeten Auftragnehmer herabgedrückt
ward, konnte dies Verhältniſs nicht aufrecht erhalten werden;
am wenigsten bei der Neugestaltung des Staates an dem Mor-
gen einer Revolution, die nur durch Zusammenwirken der
Patricier und der Insassen durchgesetzt werden konnte. Somit
war eine Transaction unvermeidlich. Die Patricier behielten
das Imperium wie den Verkehr mit den Göttern, das heiſst
den Inbegriff der weltlichen wie der geistlichen Aemter und
ihre Versammlung sowohl das Huldigungsrecht oder vielmehr
die Huldigungspflicht als auch die bisher von ihr ausgeübte
Befugniſs von den Gesetzen zu dispensiren, so weit diese
privatrechtlicher Natur war. Alle politischen Befugnisse, so-

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[163/0177] AENDERUNG DER VERFASSUNG. Opferkönig, der nur damit der Name vorhanden sei ernannt ward, sondern der Consul, der für die Gemeinde betete und opferte und in ihrem Namen den Willen der Götter mit Hülfe der Sachverständigen erforschte. Für den Nothfall hielt man sich überdieſs die Möglichkeit offen die volle unumschränkte Königsgewalt ohne vorherige Befragung der Gemeinde jeden Augenblick wieder ins Leben zu rufen mit Beseitigung der durch die Collegialität und durch die Specialrestrictionen ge- zogenen Schranken; weſshalb denn auch dem Dictator gleich dem König die vier und zwanzig Weibel mit Ruthen und Beilen vorauſschritten. So gewann durch die Aenderung der Verfassung die Ge- meinde die wichtigsten Rechte: das Recht die Gemeindevor- steher jährlich zu bezeichnen und über Tod und Leben des Bürgers in letzter Instanz zu entscheiden. Aber es konnte das unmöglich diejenige Gemeinde sein, die auch nach Einführung der servianischen Militärreform noch als die rechte Bürgerver- sammlung gesetzlich betrachtet ward, obwohl sie thatsächlich schon zum Adelstande geworden war. Die Kraft des Volkes war bei der ‚Menge‘, welche ‚achtbare Leute‘ (nobiles, Gen- tlemen) in groſser Zahl in sich schloſs. Daſs diese Menge aus der Gemeindeversammlung ausgeschlossen war, obwohl sie die gemeinen Lasten mit trug, mochte ertragen werden, so lange die Gemeindeversammlung selbst im Wesentlichen nicht eingriff in den Gang der Staatsmaschine und so lange die Königsgewalt eben durch ihre hohe und freie Stellung den Bürgern nicht viel weniger fürchterlich war als den In- sassen und somit in der Nation die Rechtsgleichheit sich er- hielt. Allein als die Gemeinde selbst zu regelmäſsigen Wahlen und Entscheidungen berufen und der Vorsteher factisch aus ihrem Herrn zum befristeten Auftragnehmer herabgedrückt ward, konnte dies Verhältniſs nicht aufrecht erhalten werden; am wenigsten bei der Neugestaltung des Staates an dem Mor- gen einer Revolution, die nur durch Zusammenwirken der Patricier und der Insassen durchgesetzt werden konnte. Somit war eine Transaction unvermeidlich. Die Patricier behielten das Imperium wie den Verkehr mit den Göttern, das heiſst den Inbegriff der weltlichen wie der geistlichen Aemter und ihre Versammlung sowohl das Huldigungsrecht oder vielmehr die Huldigungspflicht als auch die bisher von ihr ausgeübte Befugniſs von den Gesetzen zu dispensiren, so weit diese privatrechtlicher Natur war. Alle politischen Befugnisse, so- 11*

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/177>, abgerufen am 21.11.2024.