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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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UNTERWERFUNG DER LATINER UND CAMPANER.
schwächte vielmehr das Mutterland. Durch den Einfluss des
hellenischen Wesens, dem Rom in dieser Zeit entging, kam
ein tiefer Riss in den samnitischen Stamm. Die gesitteten ,Phil-
hellenen' Campaniens gewöhnten sich vor den rauheren Stäm-
men der Berge gleich den Hellenen selbst zu zittern; diese, die
eigentlichen Samniten hörten nicht auf in Campanien einzu-
dringen und die entarteten älteren Ansiedler zu beunruhigen.
Rom war ein geschlossener Staat, der über die Kraft von
ganz Latium verfügte; die Unterthanen mochten murren, aber
sie gehorchten. Der samnitische Stamm war zerfahren und
zersplittert und die Eidgenossenschaft im eigentlichen Samnium
hatte sich zwar die Sitten und die Tapferkeit der Väter unge-
schmälert bewahrt, war aber auch mit den übrigen samniti-
schen Völker- und Bürgerschaften völlig darüber zerfallen.

In der That war es dieser Zwist zwischen den Samniten
der Ebene und den Samniten der Gebirge, der die Römer
über den Liris führte. Die Sidiciner in Teanum, die Cam-
paner in Capua suchten gegen die eigenen Landsleute, die
mit immer neuen Schwärmen ihr Gebiet brandschatzten und
darin sich festzusetzten drohten, Hülfe bei den Römern (411).
Das begehrte Bündniss ward verweigert. Darauf bot die cam-
panische Gesandtschaft die Unterwerfung ihrer Landschaft unter
die Oberherrlichkeit Roms an und solcher Lockung vermoch-
ten die Römer nicht zu widerstehen. Römische Gesandte
gingen zu den Samniten ihnen den neuen Erwerb anzuzeigen
und sie aufzufordern das Gebiet der befreundeten Macht zu
respectiren. Wie die Ereignisse weiter verliefen, ist im Ein-
zelnen nicht mehr zu ermitteln *; wir sehen nur, dass zwi-
schen Rom und Samnium, sei es nach einem Feldzug, sei

* Vielleicht kein Abschnitt der römischen Annalen ist ärger entstellt
als die Erzählung des ersten samnitisch-latinischen Krieges, wie sie bei
Livius, Dionysios, Appian steht oder stand. Sie lautet etwa folgenderma-
ssen. Nachdem 411 beide Consuln in Campanien eingerückt waren, erfocht
zuerst der Consul Marcus Valerius Corvus am Berge Gaurus über die Sam-
niten einen schweren und blutigen Sieg; alsdann auch der College Aulus
Cornelius Cossus, nachdem er der Vernichtung in einem Engpass durch die
Hingebung einer von dem Kriegstribun Publius Decius geführten Abtheilung
entgangen war. Die dritte und entscheidende Schlacht ward am Eingang
der caudinischen Pässe bei Suessula von den beiden Consuln geschlagen;
die Samniten wurden vollständig überwunden -- man las vierzigtausend
ihrer Schilde auf dem Schlachtfeld auf -- und zum Frieden genöthigt, in
welchem die Römer Capua behielten, dagegen Teanum, das sich ihnen nicht
zu eigen gegeben, den Samniten überliessen (413). Glückwünsche kamen
von allen Seiten, selbst von Karthago. Die Latiner, die den Zuzug verwei-
15*

UNTERWERFUNG DER LATINER UND CAMPANER.
schwächte vielmehr das Mutterland. Durch den Einfluſs des
hellenischen Wesens, dem Rom in dieser Zeit entging, kam
ein tiefer Riſs in den samnitischen Stamm. Die gesitteten ‚Phil-
hellenen‘ Campaniens gewöhnten sich vor den rauheren Stäm-
men der Berge gleich den Hellenen selbst zu zittern; diese, die
eigentlichen Samniten hörten nicht auf in Campanien einzu-
dringen und die entarteten älteren Ansiedler zu beunruhigen.
Rom war ein geschlossener Staat, der über die Kraft von
ganz Latium verfügte; die Unterthanen mochten murren, aber
sie gehorchten. Der samnitische Stamm war zerfahren und
zersplittert und die Eidgenossenschaft im eigentlichen Samnium
hatte sich zwar die Sitten und die Tapferkeit der Väter unge-
schmälert bewahrt, war aber auch mit den übrigen samniti-
schen Völker- und Bürgerschaften völlig darüber zerfallen.

In der That war es dieser Zwist zwischen den Samniten
der Ebene und den Samniten der Gebirge, der die Römer
über den Liris führte. Die Sidiciner in Teanum, die Cam-
paner in Capua suchten gegen die eigenen Landsleute, die
mit immer neuen Schwärmen ihr Gebiet brandschatzten und
darin sich festzusetzten drohten, Hülfe bei den Römern (411).
Das begehrte Bündniſs ward verweigert. Darauf bot die cam-
panische Gesandtschaft die Unterwerfung ihrer Landschaft unter
die Oberherrlichkeit Roms an und solcher Lockung vermoch-
ten die Römer nicht zu widerstehen. Römische Gesandte
gingen zu den Samniten ihnen den neuen Erwerb anzuzeigen
und sie aufzufordern das Gebiet der befreundeten Macht zu
respectiren. Wie die Ereignisse weiter verliefen, ist im Ein-
zelnen nicht mehr zu ermitteln *; wir sehen nur, daſs zwi-
schen Rom und Samnium, sei es nach einem Feldzug, sei

* Vielleicht kein Abschnitt der römischen Annalen ist ärger entstellt
als die Erzählung des ersten samnitisch-latinischen Krieges, wie sie bei
Livius, Dionysios, Appian steht oder stand. Sie lautet etwa folgenderma-
ſsen. Nachdem 411 beide Consuln in Campanien eingerückt waren, erfocht
zuerst der Consul Marcus Valerius Corvus am Berge Gaurus über die Sam-
niten einen schweren und blutigen Sieg; alsdann auch der College Aulus
Cornelius Cossus, nachdem er der Vernichtung in einem Engpaſs durch die
Hingebung einer von dem Kriegstribun Publius Decius geführten Abtheilung
entgangen war. Die dritte und entscheidende Schlacht ward am Eingang
der caudinischen Pässe bei Suessula von den beiden Consuln geschlagen;
die Samniten wurden vollständig überwunden — man las vierzigtausend
ihrer Schilde auf dem Schlachtfeld auf — und zum Frieden genöthigt, in
welchem die Römer Capua behielten, dagegen Teanum, das sich ihnen nicht
zu eigen gegeben, den Samniten überlieſsen (413). Glückwünsche kamen
von allen Seiten, selbst von Karthago. Die Latiner, die den Zuzug verwei-
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[227/0241] UNTERWERFUNG DER LATINER UND CAMPANER. schwächte vielmehr das Mutterland. Durch den Einfluſs des hellenischen Wesens, dem Rom in dieser Zeit entging, kam ein tiefer Riſs in den samnitischen Stamm. Die gesitteten ‚Phil- hellenen‘ Campaniens gewöhnten sich vor den rauheren Stäm- men der Berge gleich den Hellenen selbst zu zittern; diese, die eigentlichen Samniten hörten nicht auf in Campanien einzu- dringen und die entarteten älteren Ansiedler zu beunruhigen. Rom war ein geschlossener Staat, der über die Kraft von ganz Latium verfügte; die Unterthanen mochten murren, aber sie gehorchten. Der samnitische Stamm war zerfahren und zersplittert und die Eidgenossenschaft im eigentlichen Samnium hatte sich zwar die Sitten und die Tapferkeit der Väter unge- schmälert bewahrt, war aber auch mit den übrigen samniti- schen Völker- und Bürgerschaften völlig darüber zerfallen. In der That war es dieser Zwist zwischen den Samniten der Ebene und den Samniten der Gebirge, der die Römer über den Liris führte. Die Sidiciner in Teanum, die Cam- paner in Capua suchten gegen die eigenen Landsleute, die mit immer neuen Schwärmen ihr Gebiet brandschatzten und darin sich festzusetzten drohten, Hülfe bei den Römern (411). Das begehrte Bündniſs ward verweigert. Darauf bot die cam- panische Gesandtschaft die Unterwerfung ihrer Landschaft unter die Oberherrlichkeit Roms an und solcher Lockung vermoch- ten die Römer nicht zu widerstehen. Römische Gesandte gingen zu den Samniten ihnen den neuen Erwerb anzuzeigen und sie aufzufordern das Gebiet der befreundeten Macht zu respectiren. Wie die Ereignisse weiter verliefen, ist im Ein- zelnen nicht mehr zu ermitteln *; wir sehen nur, daſs zwi- schen Rom und Samnium, sei es nach einem Feldzug, sei * Vielleicht kein Abschnitt der römischen Annalen ist ärger entstellt als die Erzählung des ersten samnitisch-latinischen Krieges, wie sie bei Livius, Dionysios, Appian steht oder stand. Sie lautet etwa folgenderma- ſsen. Nachdem 411 beide Consuln in Campanien eingerückt waren, erfocht zuerst der Consul Marcus Valerius Corvus am Berge Gaurus über die Sam- niten einen schweren und blutigen Sieg; alsdann auch der College Aulus Cornelius Cossus, nachdem er der Vernichtung in einem Engpaſs durch die Hingebung einer von dem Kriegstribun Publius Decius geführten Abtheilung entgangen war. Die dritte und entscheidende Schlacht ward am Eingang der caudinischen Pässe bei Suessula von den beiden Consuln geschlagen; die Samniten wurden vollständig überwunden — man las vierzigtausend ihrer Schilde auf dem Schlachtfeld auf — und zum Frieden genöthigt, in welchem die Römer Capua behielten, dagegen Teanum, das sich ihnen nicht zu eigen gegeben, den Samniten überlieſsen (413). Glückwünsche kamen von allen Seiten, selbst von Karthago. Die Latiner, die den Zuzug verwei- 15*

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/241>, abgerufen am 21.11.2024.