Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.DRITTES BUCH. KAPITEL VIII. dem Siege fürchtend und getäuscht durch obligate Lügenüber die Beschaffenheit der Friedensbedingungen und das Heranrücken der Aetoler und der Asiaten, den von dem rö- mischen Feldherrn gegebenen Frieden und der Kampf begann aufs Neue. Es kam zu einer Schlacht vor den Mauern und zu einem Sturm auf die Stadt, die schon von den Römern erstiegen war, als sie das Anzünden der genommenen Strassen wieder zur Umkehr zwang. Endlich nahm denn doch der eigensinnige Widerstand ein Ende. Sparta behielt seine Selbst- ständigkeit und ward weder gezwungen die Emigranten wieder aufzunehmen noch dem achaeischen Bunde beizutreten; sogar die bestehende monarchische Verfassung und Nabis selbst blieben unangetastet. Dagegen musste Nabis seine auswärtigen Besitzungen, Argos, Messene, die kretischen Städte und über- diess noch die ganze Küste abtreten, sich verpflichten weder auswärtige Bündnisse zu schliessen noch Krieg zu führen und keine anderen Schiffe zu halten als zwei offene Kähne, end- lich alles Raubgut wieder abzuliefern, den Römern Geisseln zu stellen und eine Kriegscontribution zu zahlen. Den spartanischen Emigranten wurden die Städte an der lakoni- schen Küste angewiesen und diese neue Volksgemeinde, die sogenannten ,freien Lakonen' im Gegensatz der monarchisch regierten Spartaner, angewiesen in den achaeischen Bund einzutreten. Ihr Vermögen erhielten die Emigrirten nicht zurück, indem die ihnen angewiesene Landschaft dafür als Ersatz angesehen ward, wogegen verfügt ward, dass den Emi- grirten die Weiber und Kinder nicht wider deren Willen in Sparta zurückgehalten werden sollten. Die Achaeer, obwohl sie durch diese Verfügungen ausser Argos noch die freien Lakonen erhielten, waren dennoch wenig zufrieden; sie hatten die Beseitigung des gefürchteten und gehassten Nabis, die Rückführung der Emigrirten und die Ausdehnung der achaei- schen Symmachie auf den ganzen Peloponnes erwartet. Der Unbefangene wird indess nicht verkennen, dass Flamininus diese schwierigen Angelegenheiten so billig und gerecht regelte, wie es möglich ist, wo sich zwei beiderseits unbillige und ungerechte politische Parteien gegenüberstehen. Bei der alten und tiefen Verfeindung zwischen den Spartanern und Achaeern wäre die Einverleibung Spartas in den achaeischen Bund einer Unterwerfung Spartas unter die Achaeer gleichgekommen, was der Billigkeit nicht minder zuwiderlief als der Klugheit. Die Rückführung der Emigranten und die vollständige Re- DRITTES BUCH. KAPITEL VIII. dem Siege fürchtend und getäuscht durch obligate Lügenüber die Beschaffenheit der Friedensbedingungen und das Heranrücken der Aetoler und der Asiaten, den von dem rö- mischen Feldherrn gegebenen Frieden und der Kampf begann aufs Neue. Es kam zu einer Schlacht vor den Mauern und zu einem Sturm auf die Stadt, die schon von den Römern erstiegen war, als sie das Anzünden der genommenen Straſsen wieder zur Umkehr zwang. Endlich nahm denn doch der eigensinnige Widerstand ein Ende. Sparta behielt seine Selbst- ständigkeit und ward weder gezwungen die Emigranten wieder aufzunehmen noch dem achaeischen Bunde beizutreten; sogar die bestehende monarchische Verfassung und Nabis selbst blieben unangetastet. Dagegen muſste Nabis seine auswärtigen Besitzungen, Argos, Messene, die kretischen Städte und über- dieſs noch die ganze Küste abtreten, sich verpflichten weder auswärtige Bündnisse zu schlieſsen noch Krieg zu führen und keine anderen Schiffe zu halten als zwei offene Kähne, end- lich alles Raubgut wieder abzuliefern, den Römern Geiſseln zu stellen und eine Kriegscontribution zu zahlen. Den spartanischen Emigranten wurden die Städte an der lakoni- schen Küste angewiesen und diese neue Volksgemeinde, die sogenannten ‚freien Lakonen‘ im Gegensatz der monarchisch regierten Spartaner, angewiesen in den achaeischen Bund einzutreten. Ihr Vermögen erhielten die Emigrirten nicht zurück, indem die ihnen angewiesene Landschaft dafür als Ersatz angesehen ward, wogegen verfügt ward, daſs den Emi- grirten die Weiber und Kinder nicht wider deren Willen in Sparta zurückgehalten werden sollten. Die Achaeer, obwohl sie durch diese Verfügungen auſser Argos noch die freien Lakonen erhielten, waren dennoch wenig zufrieden; sie hatten die Beseitigung des gefürchteten und gehaſsten Nabis, die Rückführung der Emigrirten und die Ausdehnung der achaei- schen Symmachie auf den ganzen Peloponnes erwartet. Der Unbefangene wird indeſs nicht verkennen, daſs Flamininus diese schwierigen Angelegenheiten so billig und gerecht regelte, wie es möglich ist, wo sich zwei beiderseits unbillige und ungerechte politische Parteien gegenüberstehen. Bei der alten und tiefen Verfeindung zwischen den Spartanern und Achaeern wäre die Einverleibung Spartas in den achaeischen Bund einer Unterwerfung Spartas unter die Achaeer gleichgekommen, was der Billigkeit nicht minder zuwiderlief als der Klugheit. Die Rückführung der Emigranten und die vollständige Re- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0550" n="536"/><fw place="top" type="header">DRITTES BUCH. 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DRITTES BUCH. KAPITEL VIII.
dem Siege fürchtend und getäuscht durch obligate Lügen
über die Beschaffenheit der Friedensbedingungen und das
Heranrücken der Aetoler und der Asiaten, den von dem rö-
mischen Feldherrn gegebenen Frieden und der Kampf begann
aufs Neue. Es kam zu einer Schlacht vor den Mauern und
zu einem Sturm auf die Stadt, die schon von den Römern
erstiegen war, als sie das Anzünden der genommenen Straſsen
wieder zur Umkehr zwang. Endlich nahm denn doch der
eigensinnige Widerstand ein Ende. Sparta behielt seine Selbst-
ständigkeit und ward weder gezwungen die Emigranten wieder
aufzunehmen noch dem achaeischen Bunde beizutreten; sogar
die bestehende monarchische Verfassung und Nabis selbst
blieben unangetastet. Dagegen muſste Nabis seine auswärtigen
Besitzungen, Argos, Messene, die kretischen Städte und über-
dieſs noch die ganze Küste abtreten, sich verpflichten weder
auswärtige Bündnisse zu schlieſsen noch Krieg zu führen und
keine anderen Schiffe zu halten als zwei offene Kähne, end-
lich alles Raubgut wieder abzuliefern, den Römern Geiſseln
zu stellen und eine Kriegscontribution zu zahlen. Den
spartanischen Emigranten wurden die Städte an der lakoni-
schen Küste angewiesen und diese neue Volksgemeinde, die
sogenannten ‚freien Lakonen‘ im Gegensatz der monarchisch
regierten Spartaner, angewiesen in den achaeischen Bund
einzutreten. Ihr Vermögen erhielten die Emigrirten nicht
zurück, indem die ihnen angewiesene Landschaft dafür als
Ersatz angesehen ward, wogegen verfügt ward, daſs den Emi-
grirten die Weiber und Kinder nicht wider deren Willen in
Sparta zurückgehalten werden sollten. Die Achaeer, obwohl
sie durch diese Verfügungen auſser Argos noch die freien
Lakonen erhielten, waren dennoch wenig zufrieden; sie hatten
die Beseitigung des gefürchteten und gehaſsten Nabis, die
Rückführung der Emigrirten und die Ausdehnung der achaei-
schen Symmachie auf den ganzen Peloponnes erwartet. Der
Unbefangene wird indeſs nicht verkennen, daſs Flamininus
diese schwierigen Angelegenheiten so billig und gerecht regelte,
wie es möglich ist, wo sich zwei beiderseits unbillige und
ungerechte politische Parteien gegenüberstehen. Bei der alten
und tiefen Verfeindung zwischen den Spartanern und Achaeern
wäre die Einverleibung Spartas in den achaeischen Bund
einer Unterwerfung Spartas unter die Achaeer gleichgekommen,
was der Billigkeit nicht minder zuwiderlief als der Klugheit.
Die Rückführung der Emigranten und die vollständige Re-
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