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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL XI.
reich gewesen'. Einigermassen einen Massstab gewähren die
Angaben, dass Lucius Paullus, der kein reicher Senator war,
ein Vermögen von 60 Talenten (90000 Thlr.) hinterliess, wäh-
rend allein die Mitgift jeder der Töchter des ältern Scipio
Africanus sich auf 50 Talente (75000 Thlr.) belief. Der
reichste Grieche des sechsten Jahrhunderts besass ein Ver-
mögen von 200 Talenten (300000 Thlr.); dagegen kosteten
Gladiatorenspiele, wie sie sich schickten für die Leichenfeier
eines angesehenen Römers, 300 Talente (450000 Thlr.). Zu
diesen ungeheuren Geldmitteln kam hinzu, dass der kaufmän-
nische Associationsgeist geweckt und künstlich genährt ward
durch das System der römischen Regierung die Einziehung
der Einnahmen und die Ausführung der öffentlichen Werke
durch Mittelsmänner besorgen zu lassen, und zwar regelmässig,
vielleicht sogar gesetzlich, der grösseren Sicherheit wegen nicht
durch Einzelne, sondern durch Gesellschaften. Aufs tiefste grif-
fen diese Associationen ein in die Wirthschaft im Ganzen
wie im Einzelnen; es gab kaum einen vermögenden Römer,
der nicht bei den Staatspachtungen betheiligt war, und nach
dem Muster dieser Unternehmungen und eng mit ihnen ver-
bündet organisirte sich der gesammte Gross- und Geldhandel.
Ein kaufmännischer Geist bemächtigte sich der Nation, mit
seiner ganzen Pünktlichkeit im Leisten wie im Fordern, aber
auch mit seiner ganzen Gewissensweite und Unerbittlichkeit.
In Rom, sagt Polybios, schenkt keiner keinem, wenn er nicht
muss, und Niemand zahlt einen Pfennig vor dem Verfalltag,
auch nicht unter nahen Angehörigen. Die Gesetzgebung selbst
ist von diesem Geiste kaufmännischer Moral durchdrungen;
Zusammenhaltung des Vermögens für sich und die Erben
wird gewissermassen Bürgerpflicht, die Uebernahme von Bürg-
schaften, das Geben von Geschenken und von Vermächtnissen
werden durch besondere Volksschlüsse beschränkt, die Erb-
schaften, wenn sie nicht an die nächsten Verwandten fielen,
wenigstens besteuert. An sich war diese Entwickelung natur-
gemäss und hätte von grossem Nutzen für Italien sein können,
wenn sie nicht mit dem Ruin des Ackerbaus zusammen auf-
getreten wäre; wie es war, mehrten sich wohl die Capitalien
des Volkes, aber auch diese allein. Dazu ist es bemerkens-
werth, dass die sterilsten Verkehrszweige eben diejenigen
waren, die vorzugsweise in Rom Aufnahme fanden. Die Steuer-
pachtungen selbst waren nothwendig unproductiv wie alles
blosse Hebungswesen; es kam noch hinzu, dass die Pächter

DRITTES BUCH. KAPITEL XI.
reich gewesen‘. Einigermaſsen einen Maſsstab gewähren die
Angaben, daſs Lucius Paullus, der kein reicher Senator war,
ein Vermögen von 60 Talenten (90000 Thlr.) hinterlieſs, wäh-
rend allein die Mitgift jeder der Töchter des ältern Scipio
Africanus sich auf 50 Talente (75000 Thlr.) belief. Der
reichste Grieche des sechsten Jahrhunderts besaſs ein Ver-
mögen von 200 Talenten (300000 Thlr.); dagegen kosteten
Gladiatorenspiele, wie sie sich schickten für die Leichenfeier
eines angesehenen Römers, 300 Talente (450000 Thlr.). Zu
diesen ungeheuren Geldmitteln kam hinzu, daſs der kaufmän-
nische Associationsgeist geweckt und künstlich genährt ward
durch das System der römischen Regierung die Einziehung
der Einnahmen und die Ausführung der öffentlichen Werke
durch Mittelsmänner besorgen zu lassen, und zwar regelmäſsig,
vielleicht sogar gesetzlich, der gröſseren Sicherheit wegen nicht
durch Einzelne, sondern durch Gesellschaften. Aufs tiefste grif-
fen diese Associationen ein in die Wirthschaft im Ganzen
wie im Einzelnen; es gab kaum einen vermögenden Römer,
der nicht bei den Staatspachtungen betheiligt war, und nach
dem Muster dieser Unternehmungen und eng mit ihnen ver-
bündet organisirte sich der gesammte Groſs- und Geldhandel.
Ein kaufmännischer Geist bemächtigte sich der Nation, mit
seiner ganzen Pünktlichkeit im Leisten wie im Fordern, aber
auch mit seiner ganzen Gewissensweite und Unerbittlichkeit.
In Rom, sagt Polybios, schenkt keiner keinem, wenn er nicht
muſs, und Niemand zahlt einen Pfennig vor dem Verfalltag,
auch nicht unter nahen Angehörigen. Die Gesetzgebung selbst
ist von diesem Geiste kaufmännischer Moral durchdrungen;
Zusammenhaltung des Vermögens für sich und die Erben
wird gewissermaſsen Bürgerpflicht, die Uebernahme von Bürg-
schaften, das Geben von Geschenken und von Vermächtnissen
werden durch besondere Volksschlüsse beschränkt, die Erb-
schaften, wenn sie nicht an die nächsten Verwandten fielen,
wenigstens besteuert. An sich war diese Entwickelung natur-
gemäſs und hätte von groſsem Nutzen für Italien sein können,
wenn sie nicht mit dem Ruin des Ackerbaus zusammen auf-
getreten wäre; wie es war, mehrten sich wohl die Capitalien
des Volkes, aber auch diese allein. Dazu ist es bemerkens-
werth, daſs die sterilsten Verkehrszweige eben diejenigen
waren, die vorzugsweise in Rom Aufnahme fanden. Die Steuer-
pachtungen selbst waren nothwendig unproductiv wie alles
bloſse Hebungswesen; es kam noch hinzu, daſs die Pächter

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[624/0638] DRITTES BUCH. KAPITEL XI. reich gewesen‘. Einigermaſsen einen Maſsstab gewähren die Angaben, daſs Lucius Paullus, der kein reicher Senator war, ein Vermögen von 60 Talenten (90000 Thlr.) hinterlieſs, wäh- rend allein die Mitgift jeder der Töchter des ältern Scipio Africanus sich auf 50 Talente (75000 Thlr.) belief. Der reichste Grieche des sechsten Jahrhunderts besaſs ein Ver- mögen von 200 Talenten (300000 Thlr.); dagegen kosteten Gladiatorenspiele, wie sie sich schickten für die Leichenfeier eines angesehenen Römers, 300 Talente (450000 Thlr.). Zu diesen ungeheuren Geldmitteln kam hinzu, daſs der kaufmän- nische Associationsgeist geweckt und künstlich genährt ward durch das System der römischen Regierung die Einziehung der Einnahmen und die Ausführung der öffentlichen Werke durch Mittelsmänner besorgen zu lassen, und zwar regelmäſsig, vielleicht sogar gesetzlich, der gröſseren Sicherheit wegen nicht durch Einzelne, sondern durch Gesellschaften. Aufs tiefste grif- fen diese Associationen ein in die Wirthschaft im Ganzen wie im Einzelnen; es gab kaum einen vermögenden Römer, der nicht bei den Staatspachtungen betheiligt war, und nach dem Muster dieser Unternehmungen und eng mit ihnen ver- bündet organisirte sich der gesammte Groſs- und Geldhandel. Ein kaufmännischer Geist bemächtigte sich der Nation, mit seiner ganzen Pünktlichkeit im Leisten wie im Fordern, aber auch mit seiner ganzen Gewissensweite und Unerbittlichkeit. In Rom, sagt Polybios, schenkt keiner keinem, wenn er nicht muſs, und Niemand zahlt einen Pfennig vor dem Verfalltag, auch nicht unter nahen Angehörigen. Die Gesetzgebung selbst ist von diesem Geiste kaufmännischer Moral durchdrungen; Zusammenhaltung des Vermögens für sich und die Erben wird gewissermaſsen Bürgerpflicht, die Uebernahme von Bürg- schaften, das Geben von Geschenken und von Vermächtnissen werden durch besondere Volksschlüsse beschränkt, die Erb- schaften, wenn sie nicht an die nächsten Verwandten fielen, wenigstens besteuert. An sich war diese Entwickelung natur- gemäſs und hätte von groſsem Nutzen für Italien sein können, wenn sie nicht mit dem Ruin des Ackerbaus zusammen auf- getreten wäre; wie es war, mehrten sich wohl die Capitalien des Volkes, aber auch diese allein. Dazu ist es bemerkens- werth, daſs die sterilsten Verkehrszweige eben diejenigen waren, die vorzugsweise in Rom Aufnahme fanden. Die Steuer- pachtungen selbst waren nothwendig unproductiv wie alles bloſse Hebungswesen; es kam noch hinzu, daſs die Pächter

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 624. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/638>, abgerufen am 22.11.2024.