Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.VIERTES BUCH. KAPITEL I. Provinzen, die den grösseren östlichen und südlichen Theil derpyrenäischen Halbinsel umfassten. Es ist schon früher (I, 494 fg.) versucht worden die Zustände der Halbinsel zu schildern: Iberer und Kelten, Phöniker, Hellenen, Römer mischten sich hier bunt durch einander; gleichzeitig und vielfach sich durchkreuzend be- standen daselbst die verschiedensten Arten und Stufen der Civilisa- tion, die altiberische Cultur neben vollständiger Barbarei, die Bildungsverhältnisse phönikischer und griechischer Kaufstädte neben der aufkeimenden Latinisirung, die namentlich durch die in den Silberbergwerken zahlreich beschäftigten Italiker und durch die starke stehende Besatzung gefördert ward. In dieser Hinsicht erwähnenswerth ist die latinische Colonie Carteia (in der Bai von Gibraltar), nächst Agrigentum (I, 442) die erste überseeische Gemeinde latinischer Zunge und italischer Stadt- verfassung. Ihre Gründung fällt in das Jahr 583 und ward ver- anlasst durch die Menge der von römischen Soldaten mit spani- schen Sclavinnen erzeugten Lagerkinder, welche rechtlich als Sclaven, thatsächlich als freie Italiker aufwuchsen und nun von Staatswegen freigesprochen und in Verbindung mit den alten Ein- wohnern von Carteia als latinische Colonie constituirt wurden. In solcher friedlichen Entwickelung gediehen die spanischen Land- schaften längere Zeit fast ungestört; beinahe dreissig Jahre nach der Ordnung der Ebroprovinz durch Tiberius Sempronius Grac- chus (575. 576; I, 499) genoss das Land im Ganzen die Segnun- gen des Friedens, obwohl ein paarmal der Kriege gegen Keltiberer und Lusitaner gedacht wird. Der Friedensstand ward zuerst un- terbrochen durch den Einfall der Lusitaner in das römische Gebiet unter ihrem Führer Punicus im J. 600; sie schlugen die beiden gegen sie vereinigten römischen Statthalter und tödteten ihnen eine grosse Anzahl Leute. Die Vettonen (zwischen dem Tajo und dem obern Duero) wurden hiedurch bestimmt mit den Lusitanern ge- meinschaftliche Sache zu machen; so verstärkt vermochten diese ihre Streifzüge bis an das mittelländische Meer auszudehnen und das Gebiet der Bastulophöniker unweit der römischen Hauptstadt Neukarthago (Cartagena) zu brandschatzen. Man nahm in Rom die Sache ernst genug um die Absendung eines Consuls nach Spanien zu beschliessen, was seit 559 nicht geschehen war, und liess sogar zur Beschleunigung der Hülfleistung die neuen Con- suln zwei Monate vor der gesetzlichen Zeit ihr Amt antreten -- es war dies die Ursache, wesshalb der Amtsantritt der Consuln vom 1. März sich auf den 1. Januar verschob und damit der Jahresanfang sich feststellte, dessen wir noch heute uns be- VIERTES BUCH. KAPITEL I. Provinzen, die den gröſseren östlichen und südlichen Theil derpyrenäischen Halbinsel umfaſsten. Es ist schon früher (I, 494 fg.) versucht worden die Zustände der Halbinsel zu schildern: Iberer und Kelten, Phöniker, Hellenen, Römer mischten sich hier bunt durch einander; gleichzeitig und vielfach sich durchkreuzend be- standen daselbst die verschiedensten Arten und Stufen der Civilisa- tion, die altiberische Cultur neben vollständiger Barbarei, die Bildungsverhältnisse phönikischer und griechischer Kaufstädte neben der aufkeimenden Latinisirung, die namentlich durch die in den Silberbergwerken zahlreich beschäftigten Italiker und durch die starke stehende Besatzung gefördert ward. In dieser Hinsicht erwähnenswerth ist die latinische Colonie Carteia (in der Bai von Gibraltar), nächst Agrigentum (I, 442) die erste überseeische Gemeinde latinischer Zunge und italischer Stadt- verfassung. Ihre Gründung fällt in das Jahr 583 und ward ver- anlaſst durch die Menge der von römischen Soldaten mit spani- schen Sclavinnen erzeugten Lagerkinder, welche rechtlich als Sclaven, thatsächlich als freie Italiker aufwuchsen und nun von Staatswegen freigesprochen und in Verbindung mit den alten Ein- wohnern von Carteia als latinische Colonie constituirt wurden. In solcher friedlichen Entwickelung gediehen die spanischen Land- schaften längere Zeit fast ungestört; beinahe dreiſsig Jahre nach der Ordnung der Ebroprovinz durch Tiberius Sempronius Grac- chus (575. 576; I, 499) genoſs das Land im Ganzen die Segnun- gen des Friedens, obwohl ein paarmal der Kriege gegen Keltiberer und Lusitaner gedacht wird. Der Friedensstand ward zuerst un- terbrochen durch den Einfall der Lusitaner in das römische Gebiet unter ihrem Führer Punicus im J. 600; sie schlugen die beiden gegen sie vereinigten römischen Statthalter und tödteten ihnen eine groſse Anzahl Leute. Die Vettonen (zwischen dem Tajo und dem obern Duero) wurden hiedurch bestimmt mit den Lusitanern ge- meinschaftliche Sache zu machen; so verstärkt vermochten diese ihre Streifzüge bis an das mittelländische Meer auszudehnen und das Gebiet der Bastulophöniker unweit der römischen Hauptstadt Neukarthago (Cartagena) zu brandschatzen. Man nahm in Rom die Sache ernst genug um die Absendung eines Consuls nach Spanien zu beschlieſsen, was seit 559 nicht geschehen war, und lieſs sogar zur Beschleunigung der Hülfleistung die neuen Con- suln zwei Monate vor der gesetzlichen Zeit ihr Amt antreten — es war dies die Ursache, weſshalb der Amtsantritt der Consuln vom 1. März sich auf den 1. Januar verschob und damit der Jahresanfang sich feststellte, dessen wir noch heute uns be- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0014" n="4"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. KAPITEL I.</fw><lb/> Provinzen, die den gröſseren östlichen und südlichen Theil der<lb/> pyrenäischen Halbinsel umfaſsten. Es ist schon früher (I, 494 fg.)<lb/> versucht worden die Zustände der Halbinsel zu schildern: Iberer<lb/> und Kelten, Phöniker, Hellenen, Römer mischten sich hier bunt<lb/> durch einander; gleichzeitig und vielfach sich durchkreuzend be-<lb/> standen daselbst die verschiedensten Arten und Stufen der Civilisa-<lb/> tion, die altiberische Cultur neben vollständiger Barbarei, die<lb/> Bildungsverhältnisse phönikischer und griechischer Kaufstädte<lb/> neben der aufkeimenden Latinisirung, die namentlich durch die<lb/> in den Silberbergwerken zahlreich beschäftigten Italiker und<lb/> durch die starke stehende Besatzung gefördert ward. 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VIERTES BUCH. KAPITEL I.
Provinzen, die den gröſseren östlichen und südlichen Theil der
pyrenäischen Halbinsel umfaſsten. Es ist schon früher (I, 494 fg.)
versucht worden die Zustände der Halbinsel zu schildern: Iberer
und Kelten, Phöniker, Hellenen, Römer mischten sich hier bunt
durch einander; gleichzeitig und vielfach sich durchkreuzend be-
standen daselbst die verschiedensten Arten und Stufen der Civilisa-
tion, die altiberische Cultur neben vollständiger Barbarei, die
Bildungsverhältnisse phönikischer und griechischer Kaufstädte
neben der aufkeimenden Latinisirung, die namentlich durch die
in den Silberbergwerken zahlreich beschäftigten Italiker und
durch die starke stehende Besatzung gefördert ward. In dieser
Hinsicht erwähnenswerth ist die latinische Colonie Carteia (in
der Bai von Gibraltar), nächst Agrigentum (I, 442) die erste
überseeische Gemeinde latinischer Zunge und italischer Stadt-
verfassung. Ihre Gründung fällt in das Jahr 583 und ward ver-
anlaſst durch die Menge der von römischen Soldaten mit spani-
schen Sclavinnen erzeugten Lagerkinder, welche rechtlich als
Sclaven, thatsächlich als freie Italiker aufwuchsen und nun von
Staatswegen freigesprochen und in Verbindung mit den alten Ein-
wohnern von Carteia als latinische Colonie constituirt wurden. In
solcher friedlichen Entwickelung gediehen die spanischen Land-
schaften längere Zeit fast ungestört; beinahe dreiſsig Jahre nach
der Ordnung der Ebroprovinz durch Tiberius Sempronius Grac-
chus (575. 576; I, 499) genoſs das Land im Ganzen die Segnun-
gen des Friedens, obwohl ein paarmal der Kriege gegen Keltiberer
und Lusitaner gedacht wird. Der Friedensstand ward zuerst un-
terbrochen durch den Einfall der Lusitaner in das römische Gebiet
unter ihrem Führer Punicus im J. 600; sie schlugen die beiden
gegen sie vereinigten römischen Statthalter und tödteten ihnen eine
groſse Anzahl Leute. Die Vettonen (zwischen dem Tajo und dem
obern Duero) wurden hiedurch bestimmt mit den Lusitanern ge-
meinschaftliche Sache zu machen; so verstärkt vermochten diese
ihre Streifzüge bis an das mittelländische Meer auszudehnen und
das Gebiet der Bastulophöniker unweit der römischen Hauptstadt
Neukarthago (Cartagena) zu brandschatzen. Man nahm in Rom
die Sache ernst genug um die Absendung eines Consuls nach
Spanien zu beschlieſsen, was seit 559 nicht geschehen war, und
lieſs sogar zur Beschleunigung der Hülfleistung die neuen Con-
suln zwei Monate vor der gesetzlichen Zeit ihr Amt antreten —
es war dies die Ursache, weſshalb der Amtsantritt der Consuln
vom 1. März sich auf den 1. Januar verschob und damit der
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