Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.VIERTES BUCH. KAPITEL VIII. den Rücken zu decken und einen mächtigen Bundesgenossen zusichern. -- In Kleinasien endlich richtete der König die Blicke auf Paphlagonien und Kappadokien *. Auf jenes machte man pontischer Seits Ansprüche als durch Testament des letzten der Pylaemeniden vermacht an den König Mithradates Euergetes; wogegen freilich legitime oder illegitime Prätendenten und das Land selbst protestirten. Was Kappadokien anlangt, so hatten die pontischen Herrscher nicht vergessen, dass dies Land und Kappadokien am Meer einst zusammengehört hatten und trugen sich fortwährend mit Reunionsideen. Paphlagonien ward von Mithradates besetzt in Gemeinschaft mit König Nikomedes von Bithynien, mit dem er das Land theilte und ihn dadurch völlig in sein Interesse zog. Um die offenbare Rechtsverletzung eini- germassen zu verdecken, ward von Nikomedes einer seiner Söhne mit dem Namen Pylaemenes ausgestattet und als nomineller Re- gent des Reiches bezeichnet. Noch schlimmere Wege ging die pontische Politik in Kappadokien. König Ariarathes VI. ward er- mordet durch Gordios, es hiess im Auftrage, jedenfalls im In- teresse des Schwagers des Ariarathes Mithradates Eupator; sein junger Sohn Ariarathes sah sich genöthigt, um den Uebergriffen des Königs von Bithynien zu begegnen, sich auf die zweideutige Hülfe seines Oheims zu stützen, welcher sie ihm zwar gewährte, dafür aber ihm ansann dem flüchtig gewordenen Mörder seines Vaters die Rückkehr nach Kappadokien zu gestatten. Es kam hierüber zum Bruch und zum Krieg; jedoch als beide Heere zur Schlacht sich gegenüber standen, begehrte der Oheim eine Zu- sammenkunft mit dem Neffen und stiess dabei den unbewaffneten Jüngling mit eigener Hand nieder. Gordios, der Mörder des Va- ters, übernahm hierauf im Auftrag Mithradats die Regierung; und obwohl die unwillige Bevölkerung sich gegen ihn erhob und den jüngeren Sohn des letzten Königs zur Herrschaft berief, ver- * Die Chronologie der folgenden Ereignisse ist nur ungefähr zu be-
stimmen. Um 640 etwa scheint Mithradates Eupator thatsächlich die Re- gierung angetreten zu haben; Sullas Intervention fällt 662 (Livius epit. 70), womit die Berechnung der mithradatischen Kriege auf einen Zeitraum von dreissig Jahren (662-691) zusammenstimmt (Plinius h. n. 7, 26, 97). In die Zwischenzeit fallen die paphlagonischen und kappadokischen Succes- sionshändel, mit denen der Bestechungsversuch, den Mithradates wie es scheint in Saturninus erstem Tribunat 651 (S. 190) in Rom versuchte (Diod. 631), wahrscheinlich schon zusammenhängt. Marius, der 655 Rom verliess und nicht lange im Osten verweilte, traf Mithradates schon in Kap- padokien und verhandelte mit ihm wegen seiner Uebergriffe (Cic. ad Brut. 1, 5; Plut. Mar. 31); Ariarathes VI. war also damals schon ermordet. VIERTES BUCH. KAPITEL VIII. den Rücken zu decken und einen mächtigen Bundesgenossen zusichern. — In Kleinasien endlich richtete der König die Blicke auf Paphlagonien und Kappadokien *. Auf jenes machte man pontischer Seits Ansprüche als durch Testament des letzten der Pylaemeniden vermacht an den König Mithradates Euergetes; wogegen freilich legitime oder illegitime Prätendenten und das Land selbst protestirten. Was Kappadokien anlangt, so hatten die pontischen Herrscher nicht vergessen, daſs dies Land und Kappadokien am Meer einst zusammengehört hatten und trugen sich fortwährend mit Reunionsideen. Paphlagonien ward von Mithradates besetzt in Gemeinschaft mit König Nikomedes von Bithynien, mit dem er das Land theilte und ihn dadurch völlig in sein Interesse zog. Um die offenbare Rechtsverletzung eini- germaſsen zu verdecken, ward von Nikomedes einer seiner Söhne mit dem Namen Pylaemenes ausgestattet und als nomineller Re- gent des Reiches bezeichnet. Noch schlimmere Wege ging die pontische Politik in Kappadokien. König Ariarathes VI. ward er- mordet durch Gordios, es hieſs im Auftrage, jedenfalls im In- teresse des Schwagers des Ariarathes Mithradates Eupator; sein junger Sohn Ariarathes sah sich genöthigt, um den Uebergriffen des Königs von Bithynien zu begegnen, sich auf die zweideutige Hülfe seines Oheims zu stützen, welcher sie ihm zwar gewährte, dafür aber ihm ansann dem flüchtig gewordenen Mörder seines Vaters die Rückkehr nach Kappadokien zu gestatten. Es kam hierüber zum Bruch und zum Krieg; jedoch als beide Heere zur Schlacht sich gegenüber standen, begehrte der Oheim eine Zu- sammenkunft mit dem Neffen und stieſs dabei den unbewaffneten Jüngling mit eigener Hand nieder. Gordios, der Mörder des Va- ters, übernahm hierauf im Auftrag Mithradats die Regierung; und obwohl die unwillige Bevölkerung sich gegen ihn erhob und den jüngeren Sohn des letzten Königs zur Herrschaft berief, ver- * Die Chronologie der folgenden Ereignisse ist nur ungefähr zu be-
stimmen. Um 640 etwa scheint Mithradates Eupator thatsächlich die Re- gierung angetreten zu haben; Sullas Intervention fällt 662 (Livius epit. 70), womit die Berechnung der mithradatischen Kriege auf einen Zeitraum von dreiſsig Jahren (662-691) zusammenstimmt (Plinius h. n. 7, 26, 97). In die Zwischenzeit fallen die paphlagonischen und kappadokischen Succes- sionshändel, mit denen der Bestechungsversuch, den Mithradates wie es scheint in Saturninus erstem Tribunat 651 (S. 190) in Rom versuchte (Diod. 631), wahrscheinlich schon zusammenhängt. Marius, der 655 Rom verlieſs und nicht lange im Osten verweilte, traf Mithradates schon in Kap- padokien und verhandelte mit ihm wegen seiner Uebergriffe (Cic. ad Brut. 1, 5; Plut. Mar. 31); Ariarathes VI. war also damals schon ermordet. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0274" n="264"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. KAPITEL VIII.</fw><lb/> den Rücken zu decken und einen mächtigen Bundesgenossen zu<lb/> sichern. — In Kleinasien endlich richtete der König die Blicke<lb/> auf Paphlagonien und Kappadokien <note place="foot" n="*">Die Chronologie der folgenden Ereignisse ist nur ungefähr zu be-<lb/> stimmen. Um 640 etwa scheint Mithradates Eupator thatsächlich die Re-<lb/> gierung angetreten zu haben; Sullas Intervention fällt 662 (Livius <hi rendition="#i">epit.</hi> 70),<lb/> womit die Berechnung der mithradatischen Kriege auf einen Zeitraum von<lb/> dreiſsig Jahren (662-691) zusammenstimmt (Plinius <hi rendition="#i">h. n.</hi> 7, 26, 97). In<lb/> die Zwischenzeit fallen die paphlagonischen und kappadokischen Succes-<lb/> sionshändel, mit denen der Bestechungsversuch, den Mithradates wie es<lb/> scheint in Saturninus erstem Tribunat 651 (S. 190) in Rom versuchte<lb/> (Diod. 631), wahrscheinlich schon zusammenhängt. Marius, der 655 Rom<lb/> verlieſs und nicht lange im Osten verweilte, traf Mithradates schon in Kap-<lb/> padokien und verhandelte mit ihm wegen seiner Uebergriffe (Cic. <hi rendition="#i">ad Brut.</hi><lb/> 1, 5; Plut. Mar. 31); Ariarathes VI. war also damals schon ermordet.</note>. Auf jenes machte man<lb/> pontischer Seits Ansprüche als durch Testament des letzten der<lb/> Pylaemeniden vermacht an den König Mithradates Euergetes;<lb/> wogegen freilich legitime oder illegitime Prätendenten und das<lb/> Land selbst protestirten. Was Kappadokien anlangt, so hatten<lb/> die pontischen Herrscher nicht vergessen, daſs dies Land und<lb/> Kappadokien am Meer einst zusammengehört hatten und trugen<lb/> sich fortwährend mit Reunionsideen. Paphlagonien ward von<lb/> Mithradates besetzt in Gemeinschaft mit König Nikomedes von<lb/> Bithynien, mit dem er das Land theilte und ihn dadurch völlig<lb/> in sein Interesse zog. Um die offenbare Rechtsverletzung eini-<lb/> germaſsen zu verdecken, ward von Nikomedes einer seiner Söhne<lb/> mit dem Namen Pylaemenes ausgestattet und als nomineller Re-<lb/> gent des Reiches bezeichnet. Noch schlimmere Wege ging die<lb/> pontische Politik in Kappadokien. König Ariarathes VI. ward er-<lb/> mordet durch Gordios, es hieſs im Auftrage, jedenfalls im In-<lb/> teresse des Schwagers des Ariarathes Mithradates Eupator; sein<lb/> junger Sohn Ariarathes sah sich genöthigt, um den Uebergriffen<lb/> des Königs von Bithynien zu begegnen, sich auf die zweideutige<lb/> Hülfe seines Oheims zu stützen, welcher sie ihm zwar gewährte,<lb/> dafür aber ihm ansann dem flüchtig gewordenen Mörder seines<lb/> Vaters die Rückkehr nach Kappadokien zu gestatten. Es kam<lb/> hierüber zum Bruch und zum Krieg; jedoch als beide Heere zur<lb/> Schlacht sich gegenüber standen, begehrte der Oheim eine Zu-<lb/> sammenkunft mit dem Neffen und stieſs dabei den unbewaffneten<lb/> Jüngling mit eigener Hand nieder. Gordios, der Mörder des Va-<lb/> ters, übernahm hierauf im Auftrag Mithradats die Regierung;<lb/> und obwohl die unwillige Bevölkerung sich gegen ihn erhob und<lb/> den jüngeren Sohn des letzten Königs zur Herrschaft berief, ver-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [264/0274]
VIERTES BUCH. KAPITEL VIII.
den Rücken zu decken und einen mächtigen Bundesgenossen zu
sichern. — In Kleinasien endlich richtete der König die Blicke
auf Paphlagonien und Kappadokien *. Auf jenes machte man
pontischer Seits Ansprüche als durch Testament des letzten der
Pylaemeniden vermacht an den König Mithradates Euergetes;
wogegen freilich legitime oder illegitime Prätendenten und das
Land selbst protestirten. Was Kappadokien anlangt, so hatten
die pontischen Herrscher nicht vergessen, daſs dies Land und
Kappadokien am Meer einst zusammengehört hatten und trugen
sich fortwährend mit Reunionsideen. Paphlagonien ward von
Mithradates besetzt in Gemeinschaft mit König Nikomedes von
Bithynien, mit dem er das Land theilte und ihn dadurch völlig
in sein Interesse zog. Um die offenbare Rechtsverletzung eini-
germaſsen zu verdecken, ward von Nikomedes einer seiner Söhne
mit dem Namen Pylaemenes ausgestattet und als nomineller Re-
gent des Reiches bezeichnet. Noch schlimmere Wege ging die
pontische Politik in Kappadokien. König Ariarathes VI. ward er-
mordet durch Gordios, es hieſs im Auftrage, jedenfalls im In-
teresse des Schwagers des Ariarathes Mithradates Eupator; sein
junger Sohn Ariarathes sah sich genöthigt, um den Uebergriffen
des Königs von Bithynien zu begegnen, sich auf die zweideutige
Hülfe seines Oheims zu stützen, welcher sie ihm zwar gewährte,
dafür aber ihm ansann dem flüchtig gewordenen Mörder seines
Vaters die Rückkehr nach Kappadokien zu gestatten. Es kam
hierüber zum Bruch und zum Krieg; jedoch als beide Heere zur
Schlacht sich gegenüber standen, begehrte der Oheim eine Zu-
sammenkunft mit dem Neffen und stieſs dabei den unbewaffneten
Jüngling mit eigener Hand nieder. Gordios, der Mörder des Va-
ters, übernahm hierauf im Auftrag Mithradats die Regierung;
und obwohl die unwillige Bevölkerung sich gegen ihn erhob und
den jüngeren Sohn des letzten Königs zur Herrschaft berief, ver-
* Die Chronologie der folgenden Ereignisse ist nur ungefähr zu be-
stimmen. Um 640 etwa scheint Mithradates Eupator thatsächlich die Re-
gierung angetreten zu haben; Sullas Intervention fällt 662 (Livius epit. 70),
womit die Berechnung der mithradatischen Kriege auf einen Zeitraum von
dreiſsig Jahren (662-691) zusammenstimmt (Plinius h. n. 7, 26, 97). In
die Zwischenzeit fallen die paphlagonischen und kappadokischen Succes-
sionshändel, mit denen der Bestechungsversuch, den Mithradates wie es
scheint in Saturninus erstem Tribunat 651 (S. 190) in Rom versuchte
(Diod. 631), wahrscheinlich schon zusammenhängt. Marius, der 655 Rom
verlieſs und nicht lange im Osten verweilte, traf Mithradates schon in Kap-
padokien und verhandelte mit ihm wegen seiner Uebergriffe (Cic. ad Brut.
1, 5; Plut. Mar. 31); Ariarathes VI. war also damals schon ermordet.
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